Italiens rechtskonservative Regierung

Italiens rechtskonservative Regierung

Roman Maruhn im Interview

Von  Gloria Grünwald | Simon Kerber
Es schadet nicht, sich mit der politischen Situation in den Ländern zu beschäftigen, in denen viele von uns gerne Urlaub machen. Deswegen beschäftigen wir uns mit einem der Lieblingsreiseziele der Deutschen: Italien.

Am 25. September 2022 fanden Parlamentswahlen in Italien statt. Nachdem die vorherige Regierung von Mario Draghi zerbrochen war, waren viele gespannt auf das Ergebnis. Heute wissen wir: Der Mitte-Rechts-Block hat eine klare Mehrheit, stärkste Partei wurden die Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni. Aber was hat sich eigentlich seit ihrem Amtsantritt getan? Wir fassen's einmal zusammen...

Italien unter Meloni

Die erste Ministerpräsidentin des Landes regiert Italien seit dem 22. Oktober 2022 – noch nicht mal ein Jahr also. Die Kursänderungen unter ihrer Regierung sind außenpolitisch kaum zu erkennen – entgegen einigen Befürchtungen bleibt Italien zum Beispiel im Ukraine-Konflikt auf EU-Linie.

Innenpolitisch aber tut sich seit dem vergangenen Herbst einiges

  • So beschloss die Koalition im Mai, eine wichtige Sozialhilfe, das Bürgergeld, zu streichen. Anfang August wurden 169.000 Bürger*innen darüber per SMS informiert – es kam zu Protesten vor den Behörden der Sozialversicherung.
  • Genauso leidet die queere Community unter Meloni. Es gab die Anweisung, vorerst keine Kinder von homosexuellen Paaren anzuerkennen. Das Europäische Parlament verurteilte diese Maßnahme, umgesetzt wurde sie trotzdem.
  • Auch in anderer Hinsicht ist die Familienpolitik betroffen: Die neue Regierung unterstützt sog. Pro-Life-Vereinigungen finanziell. Diese wollen in Krankenhäusern Beratung für alle anbieten, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollen.
  • Die Seenotrettung durch private Initiativen hat das Kabinett durch ein Dekret stark eingeschränkt beziehungsweise erschwert. Allerdings konnte Meloni ihre Ankündigung aus dem Wahlkampf, nämlich eine komplette "Seeblockade", nicht in die Tat umsetzen. Stattdessen spricht sie jetzt von mehr Unterstützung für afrikanische Staaten und einer Bekämpfung von Fluchtursachen.
  • Meloni plant außerdem eine Verfassungsreform. An deren Ende soll ein ähnliches System wie in Deutschland stehen, bei dem Kanzler oder Kanzlerin nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgesetzt werden können – in Italien ist das momentan deutlich einfacher. Die Neuregelung soll für mehr politische Stabilität sorgen. Allerdings sind vor Meloni schon andere Regierungschefs an einer Verfassungsreform gescheitert.

Ob sie mit einer Verfassungsreform erfolgreich sein wird, daran gibt es Zweifel.

Überhaupt ist Italien bekannt dafür, dass Regierungen oft als nicht besonders stabil gelten und es häufiger Rücktritte oder Neuwahlen gibt. Wohin entwickelt sich Italien unter Giorgia Meloni? Welche Probleme gibt es aktuell im Land und wo hat Meloni vielleicht anders gehandelt, als von ihr erwartet wurde. Darüber sprechen wir mit Roman Maruhn, Politikwissenschaftler und Italien Experte.
  • Italien unter Meloni
    egoFM Reflexikon
  • Roman Maruhn im Interview
    Über die Zukunft Italiens

Über die politische Situation in Italien

Seit fast einem Jahr wird Italien von einer rechten Koalition regiert. Was dies konkret bedeutet, darüber sprechen wir mit dem Politikwissenschaftler Roman Maruhn. Vor ziemlich genau einem Jahr war er schon mal im Interview bei uns zu Gast. Damals war der Ausgang der Wahl in Italien noch ungewiss, viele fürchteten damals allerdings bereits den Rechtsruck, mit dem Wahlsieg von Giorgio Meloni schien der dann auch besiegelt. Doch gerade außenpolitisch verhält sie sich gemäßigter als erwartet. Italien bleibt sozusagen auf Linie, auch was die Position der EU-Länder zum Beispiel im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine betrifft. Tatsächlich hat Meloni einen eingeschränkten Handlungsspielraum, wie uns Roman Maruhn erklärt. Immerhin wacht auch der Staatspräsident in Italien über die Verfassung und achtet darauf, dass die Grundprinzipien eingehalten werden. Ein paar Änderungen, gerade innenpolitische, hat Meloni seit ihrem Amtsantritt allerdings auf den Weg gebracht, wie wir oben bereits erwähnt haben. 

Die drängenden Probleme Italiens 

Damals kündigte Meloni an, dass ihre Regierung schnell arbeiten wird, um auf die drängenden Probleme der Nation einzugehen. Aber: Was sind denn die drängendsten Themen gerade? 

Migration und Seenotrettung

Migration ist in Italien durch die unmittelbare Position am Mittelmeer natürlich ein großes Thema. Die Zahlen der Menschen, die versuchen, über das Mittelmeer zu fliehen, steigen weiter an. Dadurch steht Italien außenpolitisch unter einem hohen Druck. Giorgia Meloni versucht, die EU stärker in dem Thema zu verantworten, diese wiederum fordert Italien auf, unbedingt in Sachen Seenotrettung mehr tun zu müssen. Allerdings haben die führenden Parteien, Fratelli d'Italia und Lega, eine dezidierte Meinung zu Migration und dementsprechend auch zur Seenotrettung haben - dass diese nicht gefördert werden sollten. Roman Maruhn ist allerdings der Meinung, dass Italien in erster Linie selbst gefordert sei und "nicht abwarten sollte, bis private Seenotrettungsorganisationen handeln und diesen dann auch noch das Leben schwer machen".

Eben diesen Rettungsorganisationen hat Giorgia Meloni bereits kurz nach Amtsantritt schon die Arbeit erschwert. Es gab beispielsweise neue, strengere Anforderungen für die Schiffe oder auch ein neues Gesetz, dass diese Schiffe nach erfolgter Rettung direkt einen weit entfernten Hafen anlaufen sollen - auch wenn noch weitere Menschen in Seenot stecken. Das wurde von den Organisationen und der EU-Bevölkerung natürlich heftig kritisiert.

Bürgergeldstreichung

Tausende Italiener*innen wurden über die Streichung des Bürgergelds per SMS aufm Handy informiert, woraufhin es große Proteste gab. Immerhin hätte die Sozialmaßnahme große Teile der Bevölkerung aus der Armut geholt, wie uns Roman Maruhn erklärt. Allerdings betont er, dass es durchaus auch einige negative Begleiterscheinungen gegeben hätte. So habe das Bürgergeld nicht die Schwarzarbeit bekämpft und manche Leute, die vorher für einen sehr geringen Stundenlohn gearbeitet haben, hätten das Bürgergeld vorgezogen. Motive, das Bürgergeld abzuschaffen, gab es also ein paar. Allerdings dürfe es nicht ersatzlos abgeschafft werden, sondern eine Alternative angeboten werden, sagt Roman Maruhn. So wird beispielsweise die Forderungen nach einem Mindestlohn lauter - diesen gibt es in Italien bisher noch nicht.

"Die sozialen Baustellen [in Italien] sind riesig, genauso wie bei der Familienpolitik. Ich halte es auch für recht mutige Maßnahme das Geld für einen Teil der Empfänger gestrichen zu haben, weil das Ding wirklich mit vielen Teilen nicht funktioniert hat und teuer war." - Roman Maruhn

Rechte von queeren Menschen

Vor allem für die Rechte von Frauen und queeren Menschen wurden bereits Einschränkungen durchgesetzt, zum Beispiel beim Thema Abtreibungen oder Familie. Gleichgeschlechtlichen Paaren könnte in Zukunft die Elternschaft angefochten werden, der Fall von einer Regenbogenfamilie aus Padua ging auch bei uns durch die Nachrichten. Damit ändert sich das gesellschaftspolitische Klima in Italien, wie Roman Maruhn erläutert:

"Die klare Konfrontation von Queer-Communities ist [...] genetisch drin in diesen Parteien, die nicht nur konservativ sind, sondern rechtskonservativ, nationalkonservativ, die ein sehr antiquiertes Gesellschaftsbild haben." - Roman Maruhn

Laut dem Politikwissenschaftler können wir nur darauf warten, dass es aus der italienischen Gesellschaft größeren Protest und größeren Widerstand gibt:

"Ich glaube, die großen Stolpersteine dieser Regierung gegenüber der heutigen italienischen Gesellschaft werden wahrscheinlich auch erst noch kommen." - Roman Maruhn.

Italien und der Klimaschutz

In Italien gab es zuletzt viele Extremwetterereignisse wie Unwetter mit Starkregen oder Hitze, Dürre und Brände. Die Auswirkungen der Klimakrise sind in Italien also deutlich zu spüren sagen Expert*innen. Aber was unternimmt die Meloni Regierung, um im Klimaschutz voranzukommen? Laut Roman Maruhn nicht viel, im Gegenteil sogar. Giorgia Meloni und Matteo Salvini würden eher Aspekte des Klimaschutzes klein reden. Und das, obwohl schon jetzt eine hohe Sterblichkeit bei Senioren durch immer häufigere Hitzewellen in den Städten beobachtet werden kann.

"Italien hat [in Sachen Klimaschutz] sehr viel zu tun und da ist die Regierung komplett fehl am Platz, weil sie bewegt sich da glaube ich irgendwie noch in so Welten von vor 70 oder 80 Jahren, wo die Natur unterworfen und erobert werden musste und nicht, wo die Natur geschützt werden muss. Und es ist natürlich nicht akzeptabel." - Roman Maruhn



Beschäftigst du dich vor dem Planen mit der politischen Situation deines Reisezieles?

Schreib uns deine Meinung per Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder via WhatsApp an die 089 360 550 460.

Design ❤ Agentur zwetschke