So steht es um die Energiewende in Deutschland

So steht es um die Energiewende in Deutschland

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Sascha Samadi vom Wuppertal Institut

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Erst vor Kurzem hat der rückläufige Trend beim Ausbau von Windkraft für Schlagzeilen gesorgt, dabei ist der Umstieg auf erneuerbare Energien eigentlich eines der zentralen Ziele der Ampel-Regierung.

Sascha Samadi ist Senior Researcher für Zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und hat im Interview mit Gloria darüber gesprochen, ob die drohende Energiekrise im Kontrast zur Energiewende steht und warum der Ausbau von Windenergie aktuell so stockt.

Gefährdet die aktuelle Krise die Energiewende in Deutschland?

In der aktuellen Diskussion um Kohle und Atom als kurzfristige Überbrückungsmöglichkeit einem Energiemangel entgegenzuwirken, könnte man den Eindruck bekommen, dass die Ampel-Regierung vergessen hat, dass sie eigentlich einen 1,5-Grad-Pfad einschlagen und dabei vor allem auch den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen wollte. Sascha Samadi glaubt das allerdings nicht: Denn in den letzten Wochen und Monaten wurden durchaus auch neue Gesetze auf den Weg gebracht, die die Energiewende beschleunigen sollen.

"Von daher hoffe ich schon, dass es dort in den nächsten Jahren zu Besserungen kommt und dass auch die aktuelle Krise im Idealfall dazu führt, dass diese Energiewende nochmal beschleunigt wird. Weil wir merken ja alle, wie wichtig es ist, sich von fossilen Energieträgern zu lösen, eben auch, aber nicht nur wegen des Klimawandels." - Sascha Samadi
  • Sascha Samadi über die Energiewende
    Das komplette Interview aus egoFM Reflex

Einige der kurzfristigen Lösungen wie zum Beispiel, dass aktuell verstärkt wieder Kohlekraftwerke ans Netz gehen, dürfen in Anbetracht des Klimawandels allerdings wirklich nur das sein - kurzfristige Lösungen. Außerdem betont Sascha Samadi, dass die derzeitige Lage in keinem Gegensatz dazu steht, dass wir bis spätestens 2030 aus der Kohlekraft aussteigen.

Dass aus Angst vor einem Energieengpass auch wieder über Atomkraft diskutiert wird, versteht Samadi, er sagt allerdings auch, dass Atomkraft da auch wirklich nur sehr begrenzt aushelfen kann. Aktuell haben wir noch drei Atomkraftwerke in Betrieb, die allerdings alle Ende des Jahres abgeschaltet werden sollten. Das kann auch nicht ohne Weiteres um ein paar Jahre verschoben werden, da es dafür neue Brennelemente und eine große Sicherheitsüberprüfung bräuchte. Die Erdgasersparnisse einer AKW-Verlängerung stehen für ihn allerdings nicht im Verhältnis zu Geld und Aufwand, was dafür notwendig wäre - immerhin fließen nur 15 Prozent unseres Erdgasbedarfs in die Stromerzeugung und selbst diese könnten durch die Atomkraftwerke bei Weitem nicht ausgeglichen werden. Mehr Hintergrundinfos zur aktuellen Atomkraft-Debatte findest du hier. Langfristige Lösungen können weder die fossile, noch die nukleare Energie sein.

Um CO2 einzusparen und künftig unabhängiger von Erdgasimporten zu werden, liegt deswegen viel Hoffnung auf der Windenergie. 

In diesem Jahr ist bisher aber wenig passiert: Laut einer Auswertung des SWR sind bis jetzt deutschlandweit 238 neue Windkraftanlagen installiert worden (das ist ungefähr das gleiche Niveau wie im Vorjahr) und 311 neue Windkraftanlagen genehmigt worden (etwas weniger als letztes Jahr um dieselbe Zeit). Dabei gab es in der Vergangenheit schon Jahre, in denen dreimal so viele Windkraftanlagen entstanden sind. 

Das hat laut Sascha Samadi mehrere Gründe, einer der wichtigsten ist allerdings, dass zu wenig Flächen für neue Windenergieanlagen zur Verfügung gestellt werden. Wenn Flächen genehmigt werden kommt außerdem oft erschwerend hinzu, dass dagegen geklagt wird, wodurch sich die sowieso schon langwierigen Genehmigungsprozesse zusätzlich in die Länge ziehen. Die Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung hält Sascha Samadi nicht für den einzigen beziehungsweise nicht den wichtigsten Grund für den langsamen Ausbau der letzten Jahre, allerdings kann die aktuelle Krise durchaus dazu führen, dass noch mehr Menschen verstehen, wie wichtig der Ausbau von Windenergie ist. Außerdem hofft er, dass das sogenannte Wind-an-Land-Gesetz, mit dem die Bundesregierung die Bundesländer verpflichtet ein Mindestmaß an Flächen (ungefähr zwei Prozent der Landesfläche) zur Verfügung zu stellen, dabei hilft, den Ausbau zu erhöhen. Diese zwei Prozent müssten durchaus genügen, um so viel Windenergieanlagen an Land zu bauen, dass ein Stromsystem, das zu hundert Prozent auf erneuerbaren Energien beruht, funktioniert.

"Dabei ist wichtig zu sagen: Glücklicherweise haben wir ja nicht nur die Windenergie an Land was die erneuerbaren Energien angeht, sondern wichtige Beiträge werden in Zukunft auch von der Photovoltaik, also von Solaranlagen, und von Windenergie auf dem Meer ausgehen." - Sascha Samadi 

Aktuelle Studien gehen davon aus, dass bei einem Stromsystem, dass zu hundert Prozent auf erneuerbaren Energien beruht, 30 bis 40 Prozent von der Windenergie an Land kommen und der Rest durch Photovoltaik und Windenergie auf dem Meer erzeugt wird.


Wie Windkraftanlagen überhaupt funktionieren und wie zuverlässig diese Strom liefern, erfährst du hier im egoFM Reflexikon.


Beim Ausbau der Windkraft gibt es je nach Bundesland große Unterschiede

In Bayern oder Sachsen schaut es besonders schlecht aus, dort wurden seit Anfang des Jahres nur vier beziehungsweise zwei neue Windräder genehmigt, während es in Nordrhein-Westfalen immerhin 79 Stück waren. 2021 wurden in Bayern gerade einmal acht neue Anlagen errichtet - dass es in Bayern so schleppend voran geht, liegt vor allem an der 10H Regel, einer Mindestabstandregelung von Windenergieanlagen zu Siedlungen.

Um das Potenzial von Windkraft für Bayern auszurechnen, hat Sascha Samadi eine Studie für den Bayerischen Landtag im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen veröffentlicht. Erwiesenermaßen hat die 10H Regelung in Bayern zu einem deutlichen Rückgang des Ausbaus geführt. In der Studie kamen Samadi und seine Kolleg*innen zu dem Ergebnis, dass ohne die 10H Regel bis 2030 120 Windkraftanagen pro Jahr in Bayern errichtet werden könnten. Wenn das gelingt, könnte Bayern zumindest annähernd einen angemessenen Beitrag zu dem bundesweiten Ausbauziel für die Windenergie bis 2030 leisten, meint Samadi. Das kann aber natürlich nicht von heute auf morgen passieren, weswegen die Rahmenbedingungen möglichst schnell verändert werden müssen.

"Die Bundesregierung hat jetzt angefangen, an einigen wichtigen Stellen anzupacken und deswegen gehe ich davon aus, dass wir tatsächlich in ein paar Jahren einen stärkeren Ausbau der Windenergie endlich wieder sehen werden." - Sascha Samadi

Ob die derzeitigen Änderungen ausreichen, um die ambitionierten Ziele der Bundesregierung zu erreichen, oder ob noch Nachschärfungen nötig sind, um den Ausbau zu beschleunigen, wird sich zeigen. 

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Sascha Samadi | Wuppertal Institut | S. Michaelis

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