Kritik fühlt sich an wie Wachstumsschmerzen

Kritik fühlt sich an wie Wachstumsschmerzen

Diplompsychologin Laura Ritthaler im Interview

Lob hören wir gerne, bei Kritik müssen wir oft erstmal schlucken. Dabei kann sie uns aber durchaus auch weiterbringen. Wie wir andere richtig kritisieren und sie für uns selbst schaffen anzunehmen, weiß Diplompsychologin Laura Ritthaler.


Der Zusammenhang zwischen Kritik und Selbstbewusstsein

In ihrer therapeutischen Arbeit beschäftigt sich Diplompsychologin Laura Ritthaler unter anderem mit den Themen Selbstwert und Selbstbewusstsein und weiß: Kritik ist damit sehr eng verbunden. Je mehr Selbstbewusstsein eine Person hat, desto kritikfähiger ist sie. Im Umkehrschluss: Je weniger Selbstwert, desto öfter kritisiert man sich innerlich selbst. Äußert dann jemand anderes zusätzlich Kritik, kommt die noch obendrauf und wirkt dann gleich mal doppelt und dreifach.
  • Laura Ritthaler über Kritik
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Aber warum nehmen wir Kritik oft als etwas Negatives wahr?

Zum einen liegt das laut der Diplompsychologin daran, dass der Begriff umgangssprachlich oft verwendet wird. Wir leben in einer Kultur, in der oft wenig Lob, Anerkennung oder Wertschätzung stattfindet. Wenn wir es nicht gewohnt sind, uns das selbst viel zu geben, bräuchten wir das aber von anderen. Selbst in der Schule wird sich aber eher an Defiziten orientiert und Fehler gezählt, statt Positives herauszuheben. Laura Ritthaler verwendet deshalb auch lieber das Wort "Feedback".

Kritik bleibt länger im Kopf

Vielleicht kennst du das auch: Mehrere Personen loben dich für etwas und machen dir Komplimente. Du freust dich, bedankst dich. Plötzlich kritisiert aber eine andere Person etwas an dir – das wirft dich etwas aus der Bahn und bleibt dir viel eher im Kopf hängen als die vorherigen Komplimente. Evolutionsbiologisch ist das tatsächlich eigentlich sehr sinnvoll, erzählt die Psychologin. Da galt nämlich die stärkere Bewertung von Fehlern als gute Sache, weil Fehler den Ausschluss aus einer Gruppe oder sogar den Tod bedeuten konnten. In dem Zusammenhang erwähnt sie auch die U.S.-amerikanische Psychologin Barbara Lee Fredrickson. Sie hat den sogenannten"3-to-1 ratio" erforscht. Das heißt: Wir brauchen drei positive Situationen, in diesem Fall Lob und Anerkennung, um eine negative Lage, beispielsweise Kritik, wettzumachen.

Kritik ist wie Wachstumsschmerzen

Dabei ist Kritik aber nicht nur früher evolutionsbiologisch wichtig gewesen, sondern auch heute von extremer Bedeutung für unser Miteinander. Wir sind soziale Wesen, wir agieren miteinander. Wenn Menschen lange allein sind, so Laura Ritthaler, fehle ihnen oft die Spiegelung, also Feedback oder Kritik. Die ist aber wichtig, um zu lernen. Auch wenn sie manchmal weh tut.

"Im besten Fall fühlt sich das dann an wie Wachstumsschmerzen. […] Ich glaube, Kritik tut immer auch ein bisschen weh - darf auch. Wenn sie sozusagen dann in das Wachstum übergeht und man dann am nächsten Tag oder nach kurzem das sozusagen angenommen hat und größer werden kann, dann ist es gut." – Laura Ritthaler

Wie können wir Kritik annehmen?

Damit Kritik einen weiterbringt, muss jede*r lernen, mit ihr umzugehen und sie anzunehmen. Im ersten Moment fühlt man sich vielleicht erst einmal überfordert oder sogar verletzt und angegriffen. Die Diplompsychologin rät deshalb dazu, sich die Kritik aufzuschreiben.

"Und dann gucken, was davon man irgendwie mitnehmen könnte, weil […] nicht jede Kritik, die mir gesagt wird, heißt ja ich muss mich komplett verändern oder muss die annehmen. […] Sondern notieren und wenn dann bestimmte Themen immer mal wieder aufkommen, dann könnte da was dran sein und dann wäre es natürlich gut für mich selber, wenn ich guck: wie kann ich daran wachsen oder lernen oder das für mich so dann umformulieren, […] dass ich damit weitergehen kann." – Laura Ritthaler

Und wie kritisieren wir richtig?

Es ist aber auch wichtig, Kritik richtig zu äußern. Egal ob in Freundschaften, Beziehungen oder in der Arbeit. Wann und ob man überhaupt berechtigt ist, andere zu kritisieren, das handhabt jeder Mensch anders, meint Laura Ritthaler. Allerdings sollte man sich immer wieder in den Kopf rufen: Im besten Falle hilft Kritik ja vor allem dem Gegenüber. Wenn sie absolut und abwertend ist oder die ganze Person kritisiert, ist Kritik also nicht sehr sinnvoll. Außerdem ist der Zeitpunkt der Kritik essenziell:

"Also wenn jetzt jemand gerade rasend vor Wut ist, dann hilft es überhaupt nichts, egal welche psychologischen Kommunikationstechniken ich anwende, mit dem zu sprechen verbal, sondern der muss sich erst beruhigen. Und ich handhabe das tatsächlich so, dass ich immer warte, bis mich jemand fragt." – Laura Ritthaler

Natürlich kann man aber nicht immer warten, bis einen jemand fragt.

Kritik rüttelt auf und Kritik ist manchmal lebenswichtig, beispielsweise wenn man die Sorge hat, dass eine nahestehende Person in eine Sucht, in ein Burnout oder andere gefährliche Situationen rutscht. Selbst da kann man laut Laura Ritthaler aber Folgendes beachten:

"Da ist es immer ganz gut, wenn ich von mir rede. Also: 'Ich mach mir Sorgen' oder: 'Es macht mich traurig, dass…'. […] Also dass ich von mir und meinen Gefühlen spreche, was das mit mir macht. […] Und wenn das dann ein paar Mal vorkommt oder auch mehrere Freunde demjenigen das sagen, dann ist das schon eindrücklicher." – Laura Ritthaler

Von sich selbst ausgehen oder erzählen, was einem selbst mal geholfen hätte, das hält Diplompsychologin Laura Ritthaler für einen guten Weg, Kritik zu äußern.

Von seinen Gefühlen zu sprechen, signalisiere der anderen Person auch, dass die Kritik kein Angriff oder Bevormundung ist, sondern eigentlich etwas Gutes will. Außerdem rät sie dazu, schwierige Themen dann zu besprechen, wenn der Körper entspannt ist. Sei es nach einem Saunabesuch, nach dem Sport oder während eines Spaziergangs. Denn dann sind wir körperlich in Frieden und können Kritik eher annehmen.

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