Was heißt "White Saviorism"?

Was heißt "White Saviorism"?

Dr. Natasha A. Kelly beantwortet deine Fragen

White Saviorism, White Savior Complex, White Savior - wenn du dich schon mal mit dem Thema Rassismus auseinandergesetzt hast, hast du diese Begriffe sicherlich schon einmal gehört. Und auch in den sozialen Medien tritt dieser Begriff immer häufiger auf. Aber was steckt eigentlich dahinter?

Dr. Natasha A. Kelly beantwortet jede Woche eine Frage aus der egoFM Community zum Thema Rassismus. Diese Woche: Was heißt "White Saviorism"?

Natasha ist Afrofuturistin, promovierte Soziologin, Kommunikationswissenschaftlerin, Autorin, Kuratorin, Künstlerin und Mutter.

Bis zum 30. Juni hattest du die Möglichkeit, deine Fragen rund um das Thema Rassismus zu stellen und ab jetzt kommen von Natasha wöchentlich die Antworten.



Das Bild der weißen "Retter*innen"

Obwohl dir der Begriff vielleicht recht neu vorkommt - der Ursprung und die Idee von White Saviorism sind sehr alt und reichen weit bis in den Kolonialismus zurück. Weiße Europäer*innen haben bereits damals die Idee gehabt, es ist richtig und wichtig, nach Afrika zu fahren, um dort Afrikaner*innen zu "retten", zu "erziehen", zu "kultivieren".
"Weil sie der Meinung waren, dass Afrikaner*innen unterentwickelt waren, kindlich sind und erzogen werden müssen. "- Dr. Natasha A. Kelly 

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Genau diese Vorstellung - auch wenn sie schon sehr alt ist - besteht heute eben immer noch.


Gerade wenn es um das Thema Entwicklungshilfe- und politik geht. Heute wie damals gibt es immer noch weiße Europäer*innen, die nach Afrika fliegen und der festen Überzeugung sind, sie müssen Afrikaner*innen erziehen, kultivieren, zivilisieren. Du kennst sicherlich diese Bilder von Kindern mit kaputter Kleidung, großen Augen und einen durch Hunger aufgeblähten Bauch. Dazu gibt es einen Spendenaufruf, "jede noch so kleine Spende kann diesem Kind helfen". Inspiriert durch solche Kampagnen und Berichterstattungen, zieht es immer wieder Volunteers, berühmte Persönlichkeiten oder auch Influencer*innen in den globalen Süden, um sich dort als Retter*innen zu positionieren und zu "helfen". Oftmals hören diese Menschen dann den Vorwurf, sie würden White Saviorism betreiben. Warum genau und was hinter diesem Vorwurf steckt, zeigen wir dir kurz am Beispiel des Volunteerings.

Volunteers sind oft keine helfenden Held*innen

Während des Studiums legen viele junge Menschen ein Urlaubssemester ein, um mit irgendeiner Organisation in südliche Länder zu fahren und zu helfen. Organisationen gibt es viele und die Teilnahme ist nicht immer ganz günstig. Trotzdem - diese jungen Menschen wollen nicht nur einfach die Welt sehen und ihren Lebenslauf aufbessern, sondern auch etwas "Gutes" tun. Anforderungen gibt es an die angehenden Volunteers dabei wenig bis keine. Ungelernte junge Menschen können so beispielsweise an Programmen teilnehmen und Kinder in Schulen unterrichten oder betreuen - und nebenbei das Land kennenlernen. Dabei spricht man auch von Voluntourism (also Volunteering und Tourism). Oftmals ist der White Saviorism dieser Volunteers, wenn sie von ihrer Tätigkeit und ihrer Reise Fotos in den sozialen Netzwerken teilen, gar nicht beabsichtigt. Fakt ist aber, dass sie allein aufgrund ihre Herkunft annehmen, dass sie auch ungelernt gut genug ausgebildet sind, um in Krankenhäusern, Schulen oder anderweitig zu helfen - und sich dann zurück in der Heimat als weiße Retter*innen präsentieren

Das ist sehr problematisch.


Da Volunteering meist nur in einem sehr kurzen Zeitraum stattfindet, kann diese Art der Hilfe auch nicht nachhaltig sein. Abgesehen von der fehlenden fachlichen Kompetenz ist dieser ständige Wechsel von Volunteer-Lehrkräften an Schulen beispielsweise nicht förderlich für die Ausbildung der Schüler*innen. Deswegen ist es wichtig, einen Blick auf die Organisationen hinter Volunteering-Programme zu werfen. Was sind ihre Ziele? Wie finanzieren sie sich? Haben die Menschen vor Ort tatsächlich um diese Art von Hilfe gebeten? Schaffen die Organisationen Abhängigkeit? Welche Positionen nehmen die ungelernten Volunteers ein - reicht allein ihre Herkunft aus dem globalen Norden bereits, um machtvolle Positionen vor Ort zu besetzen? Und wie beeinflussen Fotos in den sozialen Netzwerken von Volunteers das Bild auf den globalen Süden? Welches Bild wird überhaupt geschaffen - und vom wem? Allein wenn du dir diese Fragen stellst und dir beispielsweise auf Social Media Fotos von Volunteering-Programmen anschaust, wird dir das Problem des White Saviorism sicherlich schnell klar.

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White Saviorism rettet keine Menschen, sondern richtet eher Schaden an.

Die Idee, die hinter dem White Saviorism steht, zeigt auch noch einmal deutlich das Machtverhältnis zwischen weißen und Schwarzen Menschen. Während Weiße ganz oben an der Spitze des rassistischen Systems stehen, blicken sie auf Schwarze Menschen von oben herab. Durch diese Position, die sich weiße Menschen historisch durch Gewalt (jahrhundertlange, systematische Unterdrückung, Kolonialismus, Versklavung, wirtschaftliche und kulturelle Ausbeutung) genommen haben, entsteht der Gedanke, man darf und sollte Schwarze Menschen retten. Vielen White Saviors ist die historische und komplexe Problematik ihres Handelns dabei nicht bewusst und sie reproduzieren die oben bereits angesprochenen Machtverhältnisse aus dem Zeitalter des Kolonialismus.

Mit Aufklärung White Saviorism bekämpfen

Stattdessen ist es wichtig, dass wir genau diese Sicht auf den globalen Norden und den globalen Süden ändern. Warum wird Ersteres immer noch als weit aus fortschrittlich angesehen, während beim globalen Süden von "Entwicklungsländer" die Rede ist, die zum Beispiel Europa hinterherhinken? Ein erster Schritt, um dieses Bild zu ändern ist es, sich mit der eigenen Kolonialgeschichte auseinander zusetzen und zu reflektieren - und zwar nicht aus dem europäischen Blickwinkel. Auch der Blick über den Tellerrand hinaus in die aktuellen Geschehnisse außerhalb von Europas ist wichtig. Wer spenden möchte, sollte sich vorher genausten über die Organisationen informieren. Fließen die Gelder direkt ohne Umwege an Projekte, die den Menschen vor Ort nachhaltig helfen? Wie transparent ist der Umgang mit den Spenden? Wie präsentiert sich die Organisation in den Medien und auf Social Media?

White Saviorism ist übrigens etwas anderes als Allyship. Was genau hinter diesem Begriff steht, erklärt dir Dr. Natasha A. Kelly nächste Woche.




Dr. Natasha A. Kelly beantwortet deine Fragen


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