Verantwortung ist gut, Grenzen kennen ist besser

Verantwortung ist gut, Grenzen kennen ist besser

Viola Windgassen im Interview mit egoFM Elise

Von  Elise Hoffmann (Interview)
Verantwortungsbewusstsein und die Stärke, Verantwortung übernehmen – oft ein Plus, vor allem im Job! Warum es aber auch eigene Grenzen braucht, verrät Psychologin Viola Windgassen.

Viola Windgassen ist Psychologin und systemische Therapeutin aus München. Sie hat ihre eigene Praxis und bietet psychologische Beratung und systemische Therapie an, auch online oder per E-Mail. Auf ihrem Instagram-Account @die.systemische.therapeutin macht sie auf mentale Gesundheit und Selbstliebe aufmerksam und erklärt psychologische Themen anschaulich. Zum Beispiel erklärt sie, was man gegen Überforderung tun kann. Im Interview mit Elise erzählt sie, wie genau Überforderung mit Verantwortung zusammenhängt, warum wir alle unterschiedlich viel Verantwortung vertragen und wie man am besten Entscheidungen trifft.
  • Verantwortung ist gut, Grenzen kennen ist besser
    Viola Windgassen im Interview
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Foto: Viola Windgassen


Das erste Mal Verantwortung

Wann übernehmen wir überhaupt das erste Mal in unserem Leben Verantwortung? Laut Viola Windgassen lässt sich das nicht pauschal sagen. Ungefähr im Teeangeralter beginnen wir, selbst Dinge auszuprobieren. Allerdings gebe es eine Ausnahme: Die Parentifizierung. Der Begriff stammt aus der Familientherapie und besagt: Wenn soziale Rollen sich tauschen, die Eltern sich trennen oder ein Elternteil fehlt, dann übernimmt oft das älteste Kind Verantwortung. Das kann aber dazu führen, dass es im späteren Alter ein permanentes Verantwortungsgefühl verspürt, einfach, weil die Verantwortung schon viel früher übernommen werden musste, als normalerweise üblich.

Wenn Eltern ihren Kindern bewusst Verantwortung übertragen wollen, zum Beispiel mit dem ersten eigenen Haustürschlüssel, dann gibt es zwar keinen richtigen Zeitpunkt, weil sich Kinder ganz unterschiedlich entwickeln. Allerdings sei es dann als Elternteil wichtig, sich am Wesen des Kindes zu orientieren, mit ihnen darüber zu sprechen und diese neue Verantwortung zu thematisieren. So könne man ausprobieren, ob die Kinder sich damit wohlfühlen oder ob man sich doch noch länger Zeit damit lassen sollte.

Übrigens: Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene unterscheiden sich hinsichtlich der Menge an Verantwortung, die sie vertragen.

Laut Viola Windgassen liegt das an der Resilienz. Resilienzfaktoren sind Widerstandskräfte. Diese seien genetisch bedingt, werden uns aber auch von Zuhause mitgegeben. Je nachdem, Ob man in Stresssituationen reagiert, panisch oder gelassen, komme auch daher, wie die Eltern damit umgegangen sind und was man sich in gewisser Weise abgeschaut hat.



Entscheidungen treffen durch Ambivalenzarbeit

Situationen, die oft mit Stress einhergehen, sind beispielsweise die, in denen wir Entscheidungen treffen. Laut Wissenschaftler*innen treffen wir jeden Tag 20.000 bis 100.000 davon. Hier zählen aber auch kleine Dinge dazu, wie die Wahl der Socken. Und manchmal nehmen wir sie gar nicht als solche wahr. Die Entscheidungen, die uns aber oft richtig ins Schwitzen bringen, sind die, die mit großen Veränderungen verbunden sind: Ein Umzug, ein Jobwechsel oder ein Studienabbruch. Wie fällt man denn so große Entscheidungen am besten? Viola Windgassen sagt: Wichtig zu wissen sei erst einmal: Man zahlt mit jeder Entscheidung einen Preis und jede Entscheidung hat Vor- und Nachteile. Bevor aber zu viel Druck entsteht: Das meiste kann man auch wieder rückgängig machen. Eine Übung, die Viola Windgassen mit ihren Klient*innen durchführt ist die sogenannte Ambivalenzarbeit. Hier legt sie zwei Seile V-förmig auf den Boden. Sie repräsentieren die zwei Wege, die man mit einer Entscheidung geht oder nicht geht. Du kannst das Ganze aber auch im Kopf durchspielen: Dabei stellst du dir vor, du hättest die Entscheidung bereits getroffen. Jetzt fragst du dich: Wie geht es mir mit dieser Entscheidung morgen? Wie geht es mir übermorgen? Wie geht es mir in einer Woche, in einem Monat? Und was, wenn ich mich dagegen entscheide? Wie geht es mir dann?

"Dass man mal so ein bisschen durchspielt: Wie könnte denn die Zukunft aussehen mit dieser Entscheidung? Kommen mir da gleich ganz gruselige Bilder und komische Gefühle oder löst das auch ganz viel Freude aus neben der Angst die davor steht? Und dann kriegt man schon Hinweise darauf, wo es vielleicht eher hingehen könnte." – Viola Windgassen



Wenn du merkst, dass es doch die falsche Entscheidung war, hat Viola Windgassen ebenfalls einen Tipp: Akzeptanz! Natürlich ist das ein langer Weg dahin und oft besteht auch ein gewisser Druck von außen, wenn zum Beispiel die Stimme der Eltern im Kopf ist, die einem sagt, man dürfe kein Studium abbrechen oder müsse Dinge auch beenden. Aber letztlich gehe es darum, Verantwortung für die Situation und so auch für das eigene Glück zu übernehmen und sich selbst einzugestehen, dass es der falsche Weg war.

"Jede Entscheidung liegt in der eigenen Verantwortung und die darf entschieden werden. […] Man kann das für sich selbst entscheiden und ist für das eigene Glück verantwortlich." -  Viola Windgassen



Kenne die Grenzen deiner Verantwortung!

Natürlich ist es auf eine Art eine Charakterstärke, wenn wir uns unserer Verantwortung bewusst sind und für ein Projekt oder für andere Verantwortung übernehmen. Viola Windgassen rät aber dringend, zu wissen, wo die Grenzen der eigenen Verantwortung liegen. Wie schafft man es denn, Verantwortung abzugeben und sich nicht damit überfordern zu lassen?

"Übung, Übung, Übung! In kleinen Dingen mal nein sagen. Wenn man beim Bäcker das falsche Brötchen eingepackt bekommt, zu sagen: Das wollte ich eigentlich gar nicht. Und dann kann man anfangen, das auch im Job auszuprobieren. Und sehen, da passiert gar nicht schlimmes. […] Vielleicht steigt sogar der Respekt von den anderen weil man eine klare Grenze gezogen hat. […] Auch psychologische Hilfe kann hilfreich sein, wenn man merkt, dass man immer wieder Probleme damit hat." – Viola Windgassen
 

Wenn du dich überfordert fühlst, egal ob wegen einer Entscheidung, zu viel Verantwortung oder aus anderen Gründen und du alleine nicht mehr weiter weißt, dann wende dich zum Beispiel an:

Die Telefonseelsorge Deutschland (24h erreichbar)
+49 (0)800 111 0 111 (gebührenfrei)
+49 (0)800 111 0 222 (gebührenfrei)

Nummer gegen Kummer
Für Kinder und Jugendliche: 116 111
Für Eltern: 0800 / 111 0 550

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