Überschwemmungen, Waldbrände, schmelzende Gletscher - Wir können die Augen nicht mehr vor dem Klimawandel verschließen und müssen alle unseren Beitrag leisten. Aber wie viel Nachhaltigkeit ist eigentlich genug?
Als Kind wollte ich vegetarisch leben, aber nicht auf Hackfleisch verzichten. Ich hab damals immer gesagt "Ich bin Halb-Vegetarierin, ich esse nur Hackfleisch". Wie man sich denken kann, wurde ich damit nicht unbedingt ernst genommen und um ehrlich zu sein, hat auch mein erwachsenes Ich die kleine Halb-Vegetarierin mit ihrer Halbherzigkeit lange belächelt.
Inzwischen find ich die kleine Miriam aber gar nicht mehr so dumm.
Mir haben die Tiere leidgetan, aber auf Mamas Fleischküchle wollte ich eben nicht verzichten – und anstatt wegen dieses Dilemmas gar nichts zu machen, hab ich für mich einen Kompromiss gefunden. Und nach jahrelangem striktem Veganismus, Fast Fashion-Verzicht und anderen Regeln, habe ich diesen Kompromiss für mich wiederentdeckt. Und das ist auch gut so, denn ich bin der Meinung:
Der Druck hinter dem grünen Lebensstil ist kontraproduktiv
Bei mir daheim gibt's keine tierische Milch, kein Fleisch, kein Fisch, keine Eier, keine Butter – aber es gibt Käse. Und das zu sagen, hab ich mich lange nicht getraut. Als wäre alles andere durch diesen einen Fakt wertlos. Du isst Käse? JA DANN GEH DOCH GLEICH ZU MCDONALDS UND ZÜND AUF DEM WEG DORTHIN JEDEN EINZELNEN BAUM AN.Klar, man könnte schon anprangern, was das für eine Doppelmoral ist, Erbsenmilch zu kaufen, wenn man zwei Stunden später ein Stück Gouda isst. Aber man könnte auch sagen: Hey super, dass du auf so vieles verzichtest, jede*r macht es eben so gut, wie er*sie es gerade kann.
Und ich persönlich lebe mein Leben lieber nach dem zweiten Prinzip.
Denn bevor mich der Druck und die Erwartungen an einen nachhaltigen Lebensstil so einschüchtern, dass ich gar nichts mehr mache, lebe ich lieber nach meinen eigenen Regeln.Wenn ich also zweimal im Jahr frühstücken gehe und Lachs bestelle, ist das nicht gut - I know - aber wenn ich danach wieder motiviert und glücklich ein halbes Jahr komplett auf Fisch verzichte, ist es auch nicht ganz so schlimm. Und wenn ich selbst kein Fleisch kaufe, aber bei anderen zu Besuch ab und an doch mal ein Stück probiere, ist das immer noch besser, als wöchentlich Fleisch zu essen. Und wenn ich im Alltag vegan lebe und im Urlaub gern die Kulinarik des Landes kennenlerne, hat das auch seine Berechtigung. Kurz gesagt: Die vielen kleinen Schritte, die jemand in die richtige Richtung geht, sind nicht weniger wert, nur weil die imaginären 100 Prozent eines grünen Lebensstils nicht erreicht werden.
Also wenn du gerne vegan wärst, aber nicht auf Käse verzichten willst – dann leb vegan, abgesehen vom Käse. Niemand sollte sich da von irgendwelchen Erwartungen oder Labels abschrecken lassen.
Denn wer im Kampf gegen den Klimawandel schon auf derselben Seite steht, sollte sich nicht gegenseitig fertigmachen, sondern bestärken. Und versteh mich nicht falsch: Jeder Mensch, der sich komplett vegan ernährt, ist für mich ein*e Held*in. Aber nur weil ich das nicht kann/will, bin ich nicht persönlich am Untergang unseres Planeten schuld. Ich mache immerhin vieles andere richtig.Und sowieso: Vegan sein alleine rettet die Welt nicht
Kürzlich meinte eine Influencerin "Wenn ihr in Zukunft noch auf dieser Welt leben wollt, müsst ihr vegan leben" – Aber um ehrlich zu sein: Schön wär's, wenn die Welt so einfach funktionieren würde. Deswegen an dieser Stelle noch mal ein kleiner Reminder:Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Wer nicht komplett auf Fleisch verzichten will, ist also nicht zwangsläufig der*die größte Umweltsünder*in des Planeten.
Vielleicht verzichtet der- oder diejenige dafür ganz bewusst auf ein Auto, baut selbst Gemüse an oder kauft viel Secondhand-Kleidung. Und ja, es fällt mir auch immer wieder schwer, andere Menschen nicht zu verurteilen, aber das Ding ist doch: Wenn wir einmal so anfangen, kommen wir vom Hundertsten ins Tausendste und sind am Ende alle irgendwie Umweltsünder*innen. Damit befeuern wir nur eine "Greta Thunberg ist scheinheilig, weil sie mal ein Flugzeug betreten hat"-Attitüde und erhalten so die unverhältnismäßigen Erwartungen an einen grünen Lebensstil aufrecht. Und das führt im Endeffekt nur dazu, dass weniger Menschen ihr Leben nachhaltiger ausrichten, weil sie denken, den Erwartungen sowieso nicht gerecht werden zu können.Und betrachten wir das Problem Mal in einem globaleren Kontext, sieht die Sache sowieso noch mal ganz anders aus.
Der Klimawandel braucht globale und politische Lösungen
Aber der Druck, der mit einem grünen Lebensstil einhergeht, gibt mir das Gefühl, ich alleine wäre schuld daran, ob wir das 1,5 Grad Ziel erreichen, oder nicht. Und das hat wiederum dazu geführt, dass ich mich jedes Mal furchtbar gefühlt habe, wenn ich in der Drogerie irgendwelche Einmal-Produkte aus Plastik gekauft habe, obwohl meine Wohnung fast nur mit Dingen von eBay Kleinanzeigen eingerichtet ist, ich kein Auto habe, viele Klamotten Secondhand kaufe, Obst und Gemüse möglichst saisonal kaufe und und und. Da braucht es dann schon ab und an Mal einen Reality Check, wie viel Einfluss mein Handeln als Individuum jetzt tatsächlich hat.— Stronnictwo Popularów (@Popularzy) July 6, 2021
Ich will damit nicht sagen, dass die Gesellschaft gar keine Macht hat – wie gesagt: Jeder noch so kleine Schritt zählt.
Aber bevor wir andere Menschen dafür verurteilen, was sie machen (oder eben nicht machen), sollten wir uns schon bewusst werden, dass es am Ende globale und politische Lösungen braucht, um den Klimawandel zu stoppen. Oder anders ausgedrückt: Jede*r einzelne trägt Verantwortung und sollte im Alltag den Klimaschutz auf dem Schirm haben. Aber meine Möglichkeiten sind auch irgendwo begrenzt - ob wir das 1,5 Grad Ziel erreichen, hängt am Ende nicht allein davon ab, ob ich einen Jutebeutel zum Einkaufen mitnehme oder auf Fleisch verzichte. Und das sage ich sowieso schon aus einer sehr privilegierten Position - dass sich viele Menschen einen nachhaltigen Lebensstil gar nicht leisten können, ist noch einmal ein ganz anderes Problem...
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