"Kreuzberg tickt ein bisschen anders"

"Kreuzberg tickt ein bisschen anders"

Thilo Schmied über die Musikszene von Berlin

Was zog David Bowie nach Kreuzberg und lohnt es sich heute noch, als Musiker*in nach Berlin zu gehen? Thilo Schmied von Berlin Musictours über die Musikszene der Hauptstadt.


"Die Berliner Luft im Vergleich zu anderen Städten bietet leckersten Geschmack, allerbeste Qualitäten

So zumindest SEEED in ihrem Song "Dickes B." Aber auch andere Musiker*innen sind begeistert von den (musikalischen) Qualitäten Berlins. Immer wieder verschlägt es Künstler*innen in die Hauptstadt. Das Klischee nach wie vor: irgendwann gehen sie alle nach Berlin.

Was Berlin und vor allem Bezirke wie Kreuzberg so besonders macht, weiß Thilo Schmied

Er ist gelernter Toningenieur und hat jahrelange Erfahrung in der Musikbranche unter anderem als Talent Scout, Promoter und Booker. Im Jahr 2005 hat er dann Berlin Musictours gegründet. Während verschiedener Touren durch die Hauptstadt erzählt er alles mögliche über die Musikszene Berlins, von früher bis heute. Sein musikalischer Lieblingsort sind die legendären Hansa Studios in Kreuzberg. Eine der Führung dreht sich deshalb auch rund um die Studios, geschichtlich und technisch.

"Da waren sie wirklich alle oder da sind sie eigentlich fast alle und das macht Spaß, da zu sein und den Leuten das zu zeigen, das ist wirklich unangefochten mein Lieblingsplatz." - Thilo Schmied

Im Interview erzählt Thilo, was die Musikszene in Kreuzberg so besonders macht und wie sich die Musiklandschaft Berlins in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt hat.
  • Thilo Schmied über die Musikszene von Berlin
    Das komplette Gespräch zum Anhören


Die Hansa Studios in Kreuzberg

In London die Abbey Road Studios, in München die ehemaligen Musicland Studios und in Berlin sind es eben die Hansa Studios, die sich in die Liste der legendären Tonstudios einreihen dürfen. 1913 ist das Haus erbaut wurden, in den Sechzigern dann das erste Mal als Studio genutzt worden. Vor allem sind sie dafür bekannt, dass David Bowie und Iggy Pop ihre legendären Alben Heroes und Lust for Life dort aufgenommen haben. Aber auch Depeche Mode oder Nick Cave waren zu Gast in den Studios. Natürlich haben aber auch deutsche Künstler*innen wie Malaria!, Nina Hagen, Die Ärzte oder jüngere Bands wie AnnenMayKantereit die Studios genutzt. Sie sind kein Museum, sondern immer noch in Betrieb. Deshalb muss Thilo seinen Touren immer mal wieder pausieren, wenn gerade jemand wieder zur Albumproduktion drin ist.

"Also das geht bis heute tatsächlich so. Wenn Coldplay da sind leben die oder wollen eben auch noch was von der Inspiration der Künstler haben, die da da waren. Und das sind in erster Linie David Bowie und Iggy Pop." - Thilo Schmied

"Kreuzberg hatte schon immer einen sehr alternativen Touch."

Kein Wunder, dass die Studios gerade in Kreuzberg sind. Immerhin ist es auch eins der bedeutendsten Viertel für die Musiklandschaft der Stadt. In den Sechziger Jahren zogen viele Gastarbeiter*innen aus der Türkei dorthin, aber auch viele Studierende, denn Kreuzberg war am günstigsten. Dann entwickelte sich dort eine große Hausbesetzerszene. Und die hatte eben auch musikalische Mitstreiter*innen, erzählt Thilo.

"Zum Beispiel die Ton Steine Scherben ne - Rio Reiser, das ist ein ganz wichtiger Punkt - der ist ja schon umbenannt worden der Heinrichplatz vor nicht allzu langer Zeit in Rio-Reiser-Platz. [...] Und Kreuzberg hat eben über diese ganze alternative Kultur, das waren ja auch nicht nur Musiker, sondern viele Maler oder Aktionskünstler oder Schriftsteller oder eben auch Schauspieler, die da gewohnt haben oder immer noch da wohnen. Dann hat war Kreuzberg immer so ein bisschen eigenständig in Berlin. [...] es ist eben auch aktuell ein Punkt, wo Berlin noch ein bisschen anders tickt als der Rest der Republik." - Thilo Schmied


Die Musikszene Berlins wird internationaler

In den letzten Jahren hat sich die Musiklandschaft immer weiterentwickelt. Nach dem Mauerfall war man erst noch unter deutschsprachigen Künstler*innen, dann kamen vereinzelt US-Amerikaner*innen oder Brit*innen, vor allem auch wegen der Loveparade, die ein großer Interessenpunkt für viele war und Grund, sich auch mal elektronische Musik anzuschauen. Heute ist die Musikszene noch viel internationaler geworden, meint Thilo.

"Also es gibt viele Bands, die komplett international zusammen sind und in unterschiedlichsten Besetzungen dann auch spielen. Aber es gibt natürlich auch so Lokalmatadoren, klar, wie die Beatsteaks, die jetzt auch wieder was Neues machen oder die Ärzte natürlich [...].  In der kleineren Szene, so erleb ich das zumindest, gibt es immer wieder oder immer mehr, auch internationale Leute, die sich zusammenfinden über die verschiedensten Plattformen und sozialen Medien und die dann zusammen Musik machen oder Projekte zusammen starten." - Thilo Schmied

Lohnt es sich noch, nach Berlin zu ziehen?

Frittenbude oder internationale Bands wie die Parcels und noch ganz viele weitere Künstler*innen machen irgendwann den Schritt und entscheiden sich, nach Berlin zu ziehen. Wenn das jede*r macht, ist Berlin dann nicht irgendwann überfüllt und die Chancen für Musiker*innen und andere Kreative werden wieder geringer? Thilo denkt, es sei genug Platz für alle da.

"Ich glaube, der Platz ist ist da, der wird zwar von den Clubs insgesamt tatsächlich immer weniger ne, weil die Clubs eben weichen müssen [...] aber trotzdem gibt es ja noch eine große Anzahl an Möglichkeiten. Es gibt die Plattenfirmen, Universal und Sony sind mittlerweile mit ihren Divisionen [hier], es sind eben auch viele Talent Scouts unterwegs in der Stadt und gucken sich Sachen an, gehen in kleine Läden auch gerne nach wie vor rein und gucken sich da Bands an und entdecken da Bands für sich. Also das erlebe ich auch so von den Leuten, die ich kenne in der Branche, dass das immer noch der Fall ist und dass man hier auch seinen Weg machen kann." - Thilo Schmied

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