Was "I Have a Dream" & Black Lives Matter bewirkt haben

Was "I Have a Dream" & Black Lives Matter bewirkt haben

Prof. Dr. Sebastian Jobs vom JFK Institute for North American Studies im Interview

Von  Gloria Grünwald | Simon Kerber
Zehn Jahre Black Lives Matter, 60 Jahre "I Have a Dream" - was ist vom Momentum geblieben und was hat sich verändert?

"I have a Dream"

97% der amerikanischen Schüler*innen konnten in einer Umfrage vor ein paar Jahren dieses Zitat Martin Luther King zuordnen. Am Montag, den 28. August 2023, ist es 60 Jahre her, dass er die weltberühmte Rede gehalten hat.

Grund für uns auf die Umstände und die Entstehung zu schauen

Washington D.C. am 28. August 1963. Über 200.000 Menschen haben sich auf den Stufen und dem Platz rund um das Lincoln Memorial in der US-Hauptstadt versammelt. Sie alle haben sich dem "March on Washington for Jobs and Freedom" angeschlossen. Sie demonstrieren gegen Rassentrennung und Diskriminierung – ein Höhepunkt für die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 60er-Jahre.

Der Prediger Martin Luther King ist an diesem Tag 34 Jahre alt und tritt als 17. und letzter Redner ans Pult vor die Protestierenden. Schon seit Mitte der 50er-Jahre engagiert er sich in der afroamerikanischen Bewegung, 1964 erhält er den Friedensnobelpreis. Bewusst wird King die Abschlussrede gewährt, so soll er die Möglichkeit haben, die eigentlich fünf Minuten Redezeit zu überziehen – was er auch tut. In der ersten Hälfte hält er sich an sein Skript, erinnert beispielsweise an die Befreiung der Sklaven durch Abraham Lincoln 100 Jahre zuvor. Er spricht langsam, viele der Zuhörenden sind erschöpft durch die Hitze. Es heißt, die Verbindung zum Publikum erreicht King nicht wie sonst. Vielleicht auch deshalb legt er irgendwann sein Manuskript zur Seite und spricht frei.

"I have a dream" – ein Part, den er in der Nacht zuvor eigentlich aus seinem Text gestrichen hatte, auf Anraten eines Freundes und Beraters. Im Nachhinein ist klar: Mit diesem Ausspruch wird Martin Luther King Teil der Menschheitsgeschichte.



Wie sich dieser Tag, beziehungsweise die ganze Bürgerrechtsbewegung heute noch auf die amerikanische Gesellschaft auswirkt – das besprechen wir im Interview mit Prof. Dr. Sebastian Jobs vom John F. Kennedy Institut in Berlin.
  • Worum es in Martin Luther Kings Rede ging
    egoFM Reflexikon
  • Die Wirkung von "I Have a Dream" & Black Lives Matter
    Prof. Dr. Sebastian Jobs im Interview

Zehn Jahre Black Lives Matter

Zwei wichtige Jahrestage fallen in dieses Jahr: Im Juli 2023 war es zehn Jahre her, dass den Protesten gegen Polizeigewalt mit dem Hashtag Black Lives Matter ein Name gegeben wurde und am Montag vor 60 Jahren stand Martin Luther King auf den Stufen des Lincoln Memorial in Washington in den USA und hielt die Rede, die Geschichte geschrieben hat - "I Have A Dream".


Wie diese beiden Ereignisse zusammenhängen und wie es um die Schwarze Protestbewegung in Amerika heute steht, darüber sprechen wir mit Sebastian Jobs, Professor für amerikanische Geschichte an der Freien Universität Berlin. Er erklärt uns unter anderem, welche Kernforderung eigentlich in Martin Luther Kings Rede steckt und ob die Botschaft heute vielleicht sogar dieselbe wie vor 60 Jahren ist: 

"Was die Rede so erfolgreich gemacht hat, ist, dass es dieses kraftvolle Bild des Traums verwendet [...] - das korrespondiert ganz stark mit dem amerikanischen Traum. Dass es jeder und jede irgendwie schaffen kann in den USA. Und gleichzeitig steckt in dieser sehr versöhnlichen und sehr anschlussfähigen Sprache auch eine ganz radikale Botschaft. Denn Martin Luther King sagt in der Rede, das Versprechen, dieser Traum ist gegenüber Afroamerikaner*innen gar nicht eingehalten worden. Und die Veranstaltung auf der das gehalten wurde, diese Rede, die heißt 'Mount Washington for Jobs and Freedom', also es geht einerseits um Diskriminierung und Polizeigewalt, also dagegen zu argumentieren, aber auch gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit. Und das wird manchmal ein bisschen vergessen innerhalb dieses Traumbildes, was so stark ist und was so populär ist." - Prof. Dr. Sebastian Jobs

Im Prinzip hat die Rede also eine ähnliche Botschaft wie heute noch die Black Lives Matter-Proteste.

Wie es 2023 um die Black Lives Matter-Bewegung steht

Nach dem Tod von George Floyd erreichte die Black Lives Matter Bewegung 2020 ihren bis heute größten Höhepunkt – Millionen Menschen beteiligten sich an den Protesten in den USA, und auch hier bei uns gab es Demos – auf Twitter oder X gibt es Stand heute 44 Millionen Tweets mit #BlackLivesMatter. Doch trotz aller Proteste und Berichterstattung in den letzten Jahren scheint die Aufmerksamkeit für Black Lives Matter zurückgegangen zu sein: Laut einer Studie des "Pew Research Center" hat die Unterstützung in der breiten Bevölkerung ziemlich nachgelassen. Vor drei Jahren waren es zwei Drittel, heute steht nur noch rund die Hälfte der US-Bevölkerung hinter der "black liberation" - der schwarzen Befreiung.

Warum hat das Interesse abgenommen?

Polizeigewalt und Diskriminierung gegen PoC ist immerhin nach wie vor Alltag in den USA. Prof. Dr. Sebastian Jobs erläutert, es habe einerseits etwas mit der Pandemie, also einer großen sozialen und gesundheitlichen Krise, zu tun, die schlichtweg alles überschattet hat. Andererseits hätte es auch etwas mit der politischen Opposition zu Black Lives Matter zu tun. Black Lives Matter sei sehr gut darin gewesen, "abstrakten, für manche ganz entfernte politischen Krisen" ein Gesicht zu geben, sagt Prof. Dr. Sebastian Jobs - "George Floyd, Breonna Taylor – da waren auf einmal Namen zu ansonsten relativ abstrakten Problemen". US-amerikanische Republikaner*innen jedoch haben sich nicht nur konkret gegen die Forderungen der Bewegung gestellt, sondern einen neuen Konflikt erfunden – Stichwort "Wokes". Menschen, die sich für Gleichberechtigung, also zum Beispiel gegen Rassismus, für Feminismus und queere Rechte einsetzen, werden von Republikaner*innen so dargestellt, als würden ihre Forderungen die Rechte aller anderen einschränken und den US-Bürger*innen etwas wegnehmen wollen. Was natürlich nicht stimmt. 

Hat sich aber konkret was verbessert?

"Es gibt Erfolge, aber die sind bei weitem nicht so spektakulär wie die Ereignisse, die wir 2020 gesehen haben. Also zum Beispiel Derek Chauvin, der Polizist, der George Floyd 2020 [...] getötet hat, der ist mittlerweile rechtskräftig verurteilt worden wegen Mordes [und] das Justizministerium aus Washington ermittelt zum Beispiel gegen das Police Department in Memphis, Tennessee, weil sie dort systematische Verstöße gegen die Bürgerrechte sehen. Also es gibt so einen ganz langsamen Wandel, der aber auch sehr bürokratisch ist, der durch die Institutionen erst gehen muss und der auch nicht überall gleichmäßig ankommt. [...] Jede Stadt organisiert [beispielsweise] ihre Police Force selbst. Das heißt, in manchen Departements gibt es ein Umdenken und eine neue Sensibilität für diese Themen, in anderen, gerade in politisch konservativen Regionen, gibt es so eine Art Wagenburgmentalität" - Prof. Dr. Sebastian Jobs

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