Was blieb vom Protest

Was blieb vom Protest

Olga Shparaga im Interview

Von  Gloria Grünwald | Simon Kerber
Was ist drei Jahre nach den großen Protesten in Belarus von der Demokratiebewegung übrig geblieben?

Die Proteste für freie demokratische Wahlen in Belarus waren vor drei Jahren eine Zeit lang überall in den Nachrichten - Revolution lag in der Luft, zumindest so lange auch die internationalen Medien darüber berichteten. Aber der belarussische Diktator Lukaschenko ließ die Proteste gewaltsam niederschlagen, politische Gegner*innen einsperren und die belarussische Demokratiebewegung verschwand langsam wieder aus der Berichterstattung. Was damals genau passiert ist und wie die Lage heute ist, erörtern wir bei egoFM Reflex.

Proteste in Belarus

Am 9. August 2020 endete die Präsidentschaftswahl in Belarus – wenig überraschend – mit dem Sieg des autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko. Er regiert dort seit 1994 - inzwischen also seit fast 30 Jahren. International ist größtenteils von einer Scheinwahl die Rede - Gegenkandidat*innen wurden festgenommen und unabhängige Beobachter*innen konnten Wahlbetrug nachweisen. Auch die EU erkannte das Wahlergebnis nicht an.

Doch schon vor der Wahl hatte es Proteste gegeben, die sich nach Bekanntgabe des Ergebnisses allerdings noch einmal ausweiteten. Die Menschen auf der Straße forderten Neuwahlen unter fairen und demokratischen Bedingungen, die Freilassung politischer Gefangener und das Ende der Unterdrückung von politischen Gegner*innen.

Die Massenproteste liefen von Seiten der Demonstrierenden größtenteils friedlich.

Das Regime allerdings reagierte mit Gewalt - laut Amnesty International wurden tausende Demonstrant*innen inhaftiert und viele von ihnen gefoltert. Dieses Vorgehen führte dazu, dass noch mehr Menschen auf die Straße gingen - am 30. August 2020 fand eine der größten Protestkundgebungen der modernen Geschichte von Belarus statt.

Weil sich so viele Frauen an den Protesten beteiligt haben, sprachen viele von einer feministischen Revolution in Belarus. Zwei führende Köpfe des Protests waren die Bürgerrechtlerinnen Maria Kalesnikava und Svetlana Tikhanovskaya. Letztere ging zwei Tage nach der Wahl nach Litauen und lebt seitdem in der Hauptstadt Vilnius. Kalesnikava dagegen blieb in Belarus und wurde knapp einen Monat später festgenommen und ist seitdem politische Gefangene. Ende des Jahres 2022 wurde bekannt, dass sich ihr Gesundheitszustand in der Haft stark verschlechtert haben soll.
  • Proteste in Belarus 2020
    egoFM Reflexikon
  • Was seit den Protesten in Belarus passiert ist
    Olga Shparaga im Interview

Was ist seit den Protesten passiert?

Was seit August 2020 in Belarus passiert ist und wie die Situation aktuell dort ist, darüber sprechen wir mit der Autorin und Wissenschaftlerin Olga Shparaga. Olga Shparaga lehrt Philosophie am European College of Liberal Arts in Minsk. Als Mitglied des Koordinierungsrates, des politischen Organs der Opposition, wurde sie 2020 verhaftet und floh nach Vilnius. Sie hat ein Buch über die Demokratiebewegung in Belarus geschrieben mit dem Titel: Die Revolution hat ein weibliches Gesicht. Der Fall Belarus. Derzeit lebt sie in Wien im Exil.

Hat das Regime von Alexander Lukaschenko erst mal gewonnen oder gibt es weiter viele Aktivitäten im Hintergrund?

"Lukaschenko hat noch nicht gewonnen, sonst würden nicht jeden Tag fünf bis zehn Menschen festgenommen. Es gibt mindestens 1.700 politische Gefangene in den Gefängnissen, die bis zum Tode gefoltert werden. Das heißt, Lukaschenko will die Gesellschaft von vor 2020 zurück, aber das geht nicht, das schafft er nicht. Deswegen gehen die Verfolgungen weiter." - Olga Shparaga 

Warum haben die europäischen Länder so schnell den Blick abgewandt?

Die Proteste in Belarus vor drei Jahren hatten eine Art Momentum, so lange auch international die Aufmerksamkeit der Medien da war. Doch nach und nach wurde weniger über die Demokratiebewegung in Belarus berichtetet. Auch bei den feministischen Protesten im Iran lässt sich ein ähnlicher "Gewöhnungseffekt" beobachten. Warum ist dem wohl so?

"Die Forschung von Gesellschaften in verschiedenen europäischen Ländern zeigen, leiden die jungen Menschen vor allem wegen der Kriegssituation und Climate Change und diese Faktoren machen Gefühle wie Unsicherheit, Unzufriedenheit, Wut und Angst. Diese werden jetzt diskutiert, weil 2024 Europawahlen stattfinden, Und deswegen ist es nicht erstaunlich, dass es nicht genug Solidarität und Aufmerksamkeit für die politischen Krisen und Probleme in anderen Ländern gibt, die nicht zur EU gehören."  - Olga Shparaga 

Doch die Situation in Belarus sollte uns unbedingt was angehen.

"Ich denke, dass heute in Zeiten der Globalisierung alle Länder miteinander verbunden sind und ich denke dass die Solidarität anderer europäischer Länder mit Ländern wie der Ukraine und Belarus entscheidend ist für den Kampf für demokratische Werte und Demokratie. Auch, weil es dort rechtspopulistische Politikerin gibt, die ihre Position verstärken und die gegen diese demokratische Werte sind. Und ich denke, dass Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt, in verschiedenen Ländern und auch in Belarus sehr wichtige Rolle spielen und Aufmerksamkeit für diese Situation [notwendig ist], um zu verstehen, wie wichtig es ist, für demokratische Werte zu kämpfen, solidarisch zu sein." - Olga Shparaga



Das komplette Gespräch kannst du dir in diesem Artikel komplett anhören.

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