Was bedeutet es, hochbegabt zu sein?

Was bedeutet es, hochbegabt zu sein?

Der hochbegabte Philipp Taylor im Interview

Was bedeutet es eigentlich, schlauer als fast alle anderen zu sein? Und wie könnten hochintelligente Kinder besser in der Schule gefördert werden? Das haben wir Mensa-Mitglied Philipp Taylor gefragt.

Wie äußert sich eine Hochbegabung?

Vorab sollten wir jedoch erstmal die Basics klären: wann ein Mensch überhaupt als hochbegabt gilt. Per Definition gilt ein Mensch mit einem Intelligenzquotienten (IQ) von mindestens 130 als hochbegabt. Allerdings ist Hochbegabung mehr als nur eine hohe Punktzahl in einem Intelligenztest, in dem es um das Zusammenwurschteln von geometrischen Formen unter Zeitdruck geht. 

Eigenschaften von Hochbegabten

Hochbegabte Menschen können sich durch eine schnelle Auffassungsgabe, ein ausgeprägtes kritisches Denken, eine tiefe Neugier und eine hohe Lernbereitschaft auszeichnen. Sie können oft komplexe Probleme lösen und haben eine Vorliebe für intellektuelle Herausforderungen. 

Hochintelligenz kann sich dadurch in verschiedenen Bereichen manifestieren, wie Kreativität, Sportlichkeit oder eben Wissenschaft. Zudem sind hochbegabte Menschen häufig auch hochsensibel und nehmen ihre Umwelt intensiver wahr. Gerade diese Fähigkeit kann sowohl eine Bereicherung als auch eine Herausforderung darstellen - wer besonders intelligent ist, kann zum Beispiel auch viel leichter Worst Case-Szenarien im Kopf kreieren.

Außerdem ist es wichtig, Intelligenz nicht mit Bildung zu verwechseln.

Intelligente Menschen können die schwierigsten Zusammenhänge erkennen - aber auch mal völlig ahnungslos sein, wenn es um geschichtliche Ereignisse geht oder das Lesen von Emotionen. Hochbegabung zeigt sich nämlich nicht zwangsweise in akademischer Brillanz oder übermäßigem Wissen. Wenn man also in der Schule beispielsweise damit brilliert hat, immer eine auswendig gelernte Antwort auf die Fragen der Lehrkraft erwidern zu können, ist dies nicht unbedingt ein Zeichen von Hochintelligenz.

Hochbegabung und die Herausforderungen des Alltags

Die gängige Vorstellung von hochbegabten Menschen ist oft von Genies wie Albert Einstein oder Stephen Hawking geprägt, die die Welt mit ihren bahnbrechenden Entdeckungen verändert haben. Das Klischee eines hochintelligenten Menschen sieht wegen dieser Größen in etwa so aus: ein etwas ulkiger Mensch, der zwar weniger mit Menschen kann, dafür aber die schwierigsten Gleichungen lösen kann, an Raketen rumschraubt und nebenbei Klassik hört. Völliger Bullshit, denn die Realität sieht meist ganz anders aus. 

"Eine mathematische Begabung, also [die man anhand von so einem IQ Test herausfindet], die setzt nicht voraus, dass du schwierige mathematische Formeln oder sowas löst. Da geht es mehr um Grundrechenarten und Muster erkennen, als dass man jetzt da höhere Mathematik verstehen muss." - Philipp Taylor

Was es bedeuten kann, hochbegabt zu sein, haben wir Philipp Taylor gefragt.

Er ist mit einem IQ von 142 hochbegabt - aber kein Professor Dr. Dr. und er denkt auch nicht zum Spaß unnötig über mathematische Gleichungen nach. Stattdessen war er in seinem Leben schon Deutschlehrer, Übersetzer, Texter, Verkäufer, hat in der Gastro gearbeitet, auf Messen ausgeholfen, eine Ausbildung zum Fitness-Trainer gemacht oder Fahrräder zusammengeschraubt. Philipp macht, was sich gerade so ergibt, so lange er darauf Lust hat. Groß Karriere zu machen war für ihn nie ein Anreiz. Lieber Leidenschaften verfolgen und auf keinen Fall lange sitzen. Dieses lockere Mindset ist nicht ungewöhnlich für einen hochbegabten Menschen.

Die Nachteile einer Hochbegabung

Es ist nicht ungewöhnlich, dass viele hochbegabte Menschen einen unkonventionellen Lebensweg einschlagen und mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert sind, wie sozialer Isolation, Selbstzweifeln und übermäßigem Druck. Hinzu kommt die Tatsache, dass viele ihre Hochbegabung erst im Erwachsenenalter entdecken. Oftmals entwickeln unentdeckt hochbegabte Kinder ungünstige Bewältigungsstrategien, die sie so bis ins Erwachsenenalter begleiten. Sie könnten sich unverstanden fühlen und versuchen, sich anzupassen, indem sie ihre Intelligenz verbergen oder versuchen, anderen zu helfen und alles zu verbessern. Tatsächlich ist Hochbegabung lediglich ein Potenzial, das nicht jede*r nutzen möchte oder kann.

"Ich komme vom Land und bei uns gab es eine Grundschule und [es gab] ein Gymnasium und dann geht man dahin und das könnte schon sein, dass wenn [meine Hochbegabung] irgendwie entdeckt worden wäre und mehr gefördert worden wäre, dass ich vielleicht mehr Anreize in der Schule gehabt hätte, mich nicht so gelangweilt gefühlt hätte oder sowas. Das hätte mir vielleicht schon helfen können. [...] Retrospektiv kann man natürlich sagen, das hätte mir vielleicht was helfen können, hätte mehr aus mir werden können [...], aber ich habe wirklich für das eigene Leben überhaupt noch nie einen Vorteil dadurch verspürt und das war auch ziemlich zufällig, dass ich [den IQ] überhaupt testen hab lassen." - Philipp Taylor

Mensa: Der Verein für hochbegabte Menschen

Lisa Simpson, die deutsche Paralympics-Sportlerin Beate Bischler und Martin Cooper, der sogenannte Vater des Mobiltelefons, haben alle etwas gemeinsam - sie sind alle Mitglied von Mensa. Ein Verein mit Menschen, die intelligenter sind als 98 Prozent der Bevölkerung. Dafür haben Sie alle einen Intelligenztest gemacht und beim Ergebnis mindestens einen IQ von 130 aufweisen müssen. Auch Philipp hat dort seinen IQ-Test gemacht. Beeindrucken kann er damit aber eigentlich niemanden wirklich. 

"[An Mensa] zahlt man einen jährlichen Beitrag und bekommt eine Plastikkarte. Die könnte man zeigen um zu flexen, aber ich habe noch niemanden erlebt, den es wirklich beeindruckt." - Philipp Taylor

Allerdings sagt Philipp, dass es eher an ihm selbst liegt, das tatsächliche Angebot der Vereins nicht voll auszukosten. Denn laut Internetseite ist das Ziel von Mensa, hochbegabte Menschen in Kontakt zu bringen und die Erforschung der menschlichen Intelligenz zu fördern. Mittlerweile zählen sich 110.000 Mitglieder in 85 Ländern zu Mensa. 



Hier kannst du dir das komplette Interview mit Philipp Taylor anhören:

  • was bedeutet es hochbegabt zu sein
    Hirni Philipp im Interview

Wie erkennt man ein hochbegabtes Kind - und was dann?

"Ich hatte nie Probleme in der Schule, aber ich war schon immer ein sehr durchschnittlicher Schüler von den Noten her. Ich hatte nie Angst, dass ich irgendwas nicht verstehe, aber irgendwie hat mich die Schule gar nicht gereizt. Deswegen wäre mir das gar nicht aufgefallen [dass ich hochbegabt bin]." - Philipp Taylor

Die Erkennung von Hochbegabung bei Kindern kann eine Herausforderung sein, weil sie sich eben - wie das ein oder andere mal hier schon erwähnt - auf unterschiedliche Weisen äußern kann. 

Einige Anzeichen können jedoch auf eine Hochbegabung hinweisen, wie zum Beispiel...

  • frühzeitiges Sprechen
  • schnelle Lernerfolge
  • tiefe Neugier
  • Interesse an komplexen Problemen
  • ein ausgeprägtes Gedächtnis
  • große Kreativität

Ab 14 Jahren kann man sich von Mensa testen lassen. Darüber, ob es nun sinnvoll oder eher hinderlich für Kinder ist, so früh bereits von einer eventuellen Hochbegabung zu erfahren, streiten sich die Geister. Philipp ist sich da selbst nicht ganz eins, ist aber eher der Meinung, dass hochintelligente Kinder anders in der Schule gefördert werden müssen:

"[Früh einen IQ-Test zu machen] könnte mit zu viel Druck verbunden sein. [...] Ich fände es auf jeden Fall wichtig, wenn jemandem etwas auffällt, das müsste halt professionellen Erziehern auffallen, also Lehrern in der Schule oder sowas, dass das dann untersucht wird, weil ich glaube, das kann auch negativen Effekt auf den Lernerfolg haben, wenn man hochbegabt ist. Also ich möchte das jetzt nicht überstilisieren oder überbewerten, aber es könnte natürlich schon sein, dass viel von der Langeweile und von dem Desinteresse, das ich verspürt habe in der Schule, auch daran gelegen haben könnte, dass ich vielleicht schneller Sachen begriffen habe. Und die vielen Wiederholungen [haben mich dann eher gelangweilt]. Ich kann es natürlich nicht beweisen, also wenn ich sage, ich hab wirklich [ein] sehr durchschnittliches Abi, dann kann das an Faulheit liegen oder sonst was, aber es kann auch daran liegen, dass ich nicht gefördert wurde und ich könnte mir schon vorstellen, dass man da auch sehr nachteilig weiterkommt, wenn man nicht gefördert wird. Ich glaube, es ist auch ein zweischneidiges Schwert, weil ich denke viele Eltern - das habe ich schon aus dem privaten Umfeld mitgekriegt - sagen, ihre Kinder seien hochbegabt und schlechte Noten werden darauf geschoben, dass sie hochbegabt sind oder so. Sowas könnte dann auch ein bisschen die Sache ad absurdum führen, wenn man sich da zu viel reinsteigert und wenn Eltern sowas interpretieren und ich denke sowas sollte vielleicht untersucht werden, wenn Kinder Probleme in der Schule haben und die Lehrer das Gefühl haben, das liegt nicht daran, dass sie Sachen nicht begreifen, sondern dass da irgendwas anderes schief läuft." - Philipp Taylor

Die Welt der Hochbegabung ist vielfältig und komplex. Sie zeigt uns, dass Intelligenz nicht nur eine Gabe, sondern auch eine Herausforderung sein kann. Es ist wichtig, hochbegabte Menschen zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Talente und Fähigkeiten zu entfalten, unabhängig von den gesellschaftlichen Erwartungen. Denn hinter Hochbegabung steht keine blanke Zahl, sondern immer noch ein einzigartiger Mensch.



Alle weiteren Interviews, Beiträge und Artikel zum Thema "Intelligenz" kannst du hier entdecken.

Design ❤ Agentur zwetschke