Squirten lernen leicht gemacht

Squirten lernen leicht gemacht

Warum wissen wir so wenig über weibliche Ejakulation?

Von  Auri
Squirten wie in Pornos - das soll angeblich jeder Mensch mit Vagina lernen können. Auri wagt das Selbstexperiment und macht einen Squirtworkshop bei Tantra- und Squirt-Lehrerin Kamala Mara.

Salut Sex! Folge #01

Wie kann mensch lernen, zu squirten? Und ist es überhaupt nötig und wichtig, das zu können (Spoiler: Nein). Warum es trotzdem wichtig ist, sich mit dem Thema Squirten auseinanderzusetzen, erklärt Stephanie Haerdle. Sie ist Kulturwissenschaftlerin und Autorin Stephanie Haerdle und gibt uns einen spannenden kulturgeschichtlichen Überblick der weiblichen Ejakulation: Vom alten China und Indien, wo Squirten Alltag war, bis in die Moderne, wo das Wissen darüber verschüttet ging. Warum? Und wieso ist Squirten politisch? 

Buch- und Filmtipps für diese Folge

  • Frauenkörper neu gesehen, Laura Méritt, 2022, Orlanda Frauenverlag
  • Spritzen - Geschichte der weiblichen Ejakulation, Stephanie Haerdle, 2019, Edition Nautilus
  • Female Ejaculation, Deborah Sundahl, 1992

Squirtworkshops

  • Weibliche Ejakulation
    Warum wissen wir so wenig darüber?

Hinweis: Wir reden hier oft von weiblicher* Ejakulation. Nicht alle Frauen haben eine Vagina und auch trans oder non-binäre Menschen mit Vagina können squirten! Auch wenn diese Menschen in den Studien, die hier zitiert werden, noch nicht mitgedacht wurden. Aber for the record: Binarität ist eine Konstruktion und Gender ein Spektrum.



Klare Flüssigkeit, die meterweit aus der Vagina spritzt - es geht ums Thema Squirten

Auch genannt Female Ejaculation, weibliche* Ejakulation - oder Femmes Fontaines, so heißt es beispielsweise in Frankreich. Frauen und Menschen mit Vagina, die beim Sex klare Flüssigkeit aus ihrer Vagina abspritzen. Und damit meine ich nicht das Feucht-Werden, sondern richtige Wasserfontänen. Das kennt man vielleicht eher aus Pornos - aber tatsächlich kann das rein theoretisch jeder Mensch mit Vagina. 

Allerdings ist wichtig, einmal festzuhalten: Squirten ist keine Garantie für guten Sex und auch nicht das Ultimum.

Ich habe mich gefragt, ob ich falsche Signale sende mit diesem Podcast - nämlich, dass man Squirten lernen muss. Das finde ich nochmal wichtig, zu sagen: natürlich nicht. Wir Frauen oder Menschen mit Vagina müssen uns auch nicht hier noch selbstoptimieren. Es ist völlig fein, nicht squirten zu können. Und es auch nicht lernen zu wollen. Um es mit den Worten einer Freundin von mir zu sagen: "I orgasm just fine".

Eine Studie, die viel zitiert wird, ist von 2013 und besagt, dass rund 10 bis 54 Prozent aller Frauen schon ein- oder mehrmals gesquirtet haben. 

Dabei variiert die Menge der Squirt-Flüssigkeit - das kann von ein paar Tropfen bis zu einer halben Tasse sein. Es gibt so viel, was ich in dieser Recherche erfahren durfte! Und ich hab nochmal mehr gemerkt: Es gibt so gravierende Lücken in unserer sexuellen Aufklärung - suprise, surprise… Ich bin erstaunt, wie wenig mir damals über den weiblichen Körper beigebracht wurde. Aber das wurde nachgeholt:

Für diese Folge habe ich mit vielen tollen und inspirierenden Expert*innen sprechen dürfen.

Zum Beispiel mit Stephanie Haerdle. Sie hat ein Buch über das Squirten geschrieben - aus der kulturgeschichtlichen Perspektive - und hat mir erzählt, warum Squirten heute so ein neues Ding ist, obwohl es im alten China einfach zum Alltag gehört hatte.

Und: Ich habe es selbst versucht. Und habe einen Squirt-Workshop gemacht.

Obwohl wir schon klargestellt haben, dass man das nicht unbedingt lernen muss, wollte ich es trotzdem mal probieren und bin für diese Folge nach Berlin gefahren zu einem Squirt-Workshop. Doch bevor ich erzähle, was dort so passiert ist, lasst uns kurz in die Geschichte der weiblichen Ejakulation eintauchen...

Squirten - Geschichte der weiblichen Ejakulation

- So heißt das Buch von Stephanie Haerdle. Sie hat neue deutsche Literatur, Gender und Kulturwissenschaften studiert und lebt in Berlin. In ihrem Buch, das 2019 in der Edition Nautilus erschienen ist, hat sie sich der Frage gewidmet, warum wir heute so wenig über die weibliche Ejakulation wissen. Und wie das früher war. Sie gibt einen spannenden Überblick: Vom alten China und Indien - wo das Squirten einfach zum Alltag gehört hatte - bis ins heutige Europa, wo wir kaum etwas darüber wissen. 

Ich habe sie zu allererst gefragt, was ihr Squirt-AHA-Moment war. Sie hat mir erzählt, dass sie Ende der 90er Jahre im Kino war! Und den Film How to female Ejaculate von Deborah Sundahl angeschaut hat. Darin reden drei Freundinnen über das Thema Squirten; sie tauschen sich aus  und erzählen, wie es sich anfühlt, wie es ihr Verhältnis mit Sex und ihrem Körper verändert hat und dann ziehen sich alle aus und masturbieren zusammen.

"Und ich saß da und dachte mir: Das darf doch nicht wahr sein.… - dass ich nichts darüber weiß", erzählt Stephanie Haerdle.

Deshalb habe sie angefangen, sich zu informieren, und war sehr schnell sehr enttäuscht von der aktuellen Forschungslage. Es gibt einfach sehr wenig Forschung zur weiblichen Ejakulation. 

"Die verrücktere Geschichte ist die: Warum wissen wir das bis heute nicht? Historisch gesehen wurde über 2000 Jahre lang ganz selbstverständlich gesquirtet und darüber geschrieben. Und verschwunden ist das Wissen erst im frühen 20. Jahrhundert." - Stephanie Haerdle 

Die ältesten Texte, mit denen Stephanie für ihr Buch gearbeitet hat, sind über 2000 Jahre alt und kommen aus dem alten China und Indien. Das waren Sexhandbücher, die zur Hochzeit verschenkt wurden. Eine Stelle lautet zum Beispiel wie folgt: 

Das Fließgeschehen steigt auf, ihr Gesicht erhitzt sich; gemächliches Sich-Anhauchen. Die Brustnippelchen härten sich, ihre Nase schwitzt, gemächliches Umarmen. Die Zunge wird wässrig und schlüpfrig gemächliches Näherrücken; die Säfte senken sich, ihre Schenkel befeuchtet sich, allmähliches betasten. Die Kehle trocknet, sie schluckt Speichel, gemächliches Anregen. Diese werden die fünf Nachweise genannt, diese werden die fünf Begehren genannt. Besteigt sie erst, sind die Nachweise komplett.

"Es geht um Sex als Genuss. Er sollte Sie beobachten. Penetration kam erst ganz zum Schluss. Und die Ejakulation war da immer selbstverständlich mit dabei" - Stephanie Haerdle

Und auch der Wortschatz war viel größer, als den, den wir heute für Vulva und Vagina haben. Stephanie zitiert in ihrem Buch Begriffe wie: Hahrnadelglanz, Wulstmarke, Kürbis, Milchfrucht, Traglastverengung, Rotes Fetzenkleid..

"Ich hatte bei meiner Recherche das Gefühl [...], wir wissen so wenig und haben so ein enges Konzept von Sexualität. Das ist wie schwarz-weiß Fernsehen im Vergleich zum Farbfilm" - Stephanie Haerdle.

Vom Alten China geht es ins Mittelalter: Hier - beschreibt Stephanie - war die weibliche Ejakulation normal und fest im sexuellen Alltag verankert. Man dachte sogar, die Frau würde krank werden, wenn sie nicht ejakulierte: 

"Das wird in ganz vielen Büchern beschrieben. 'Festsitzender Samen', 'verbackener Samen', 'Samen, der alt wird', weil er nicht raus kann. Der verursachte viele Probleme, bis hin zu Hysterie. Und die Therapievorschläge dann - ich fand's großartig, die zu lesen: Das können Sitzbäder oder Kompressen sein, aber auch eine manuelle Massage, eine vaginale Massage durch die Hebamme" - Stephanie Haerdle

Der Wendepunkt

Ab dem 17. Jahrhundert hat die Forschung gewaltige Sprünge gemacht. Wir haben herausgefunden, wie Fortpflanzung funktioniert. Die Eizelle wurde entdeckt, die Hormone, der weibliche Zyklus. Man wusste plötzlich: Nur der Mann musste zur Fortpflanzung ejakulieren. Von der Frau kommt die Eizelle ganz automatisch durch den Zyklus. Und die weibliche Ejakulation hat dabei keine Rolle mehr gespielt.

"Plötzlich hatte man eine Flüssigkeit, die  keine Funktion mehr hatte, bei der man nicht wusste, wofür sie da war. Dadurch wurde die Flüssigkeit immer seltsamer." - Stephanie Haerdle

Und noch etwas kam dazu, was Squirten in das Reich der Mythen verbannt hatte: Sex und Lust wurden mit den Jahren immer weiter auseinander dividiert - Sex war nur zur Fortpflanzung da und man fragte sich bis in die 60er Jahre hinein, ob Frauen überhaupt so Lust empfinden können, wie Männer - so krass!

Dass wir die weibliche Ejakulation vergessen haben, hatte noch einen weiteren Grund. Nämlich die Annahme, dass Frauen und Männer grundverschieden sind. Früher hatte man die Vorstellung, das Einkörpermodell genannt wurde:

"Dass Mann und Frau [...] denselben Körper haben, die sich Flüssigkeiten teilen: Blut, Schweiß, selbst bei der Muttermilch gab es Geschichten im Mittelalter, wonach auch Männer Milch in den Brüsten hatten… und auch der Samen war etwas, was in beiden Körpern Zuhause war." - Stephanie Haerdle

Dieses Einkörpermodell wurde im Laufe der Jahrhunderte abgelöst - durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, wie Befruchtung funktioniert. Wie der weibliche Körper funktioniert. Dann setzte sich die Vorstellung durch, dass Männer und Frauen komplett unterschiedlich sind. Und die Ejakulation der Frau - dieses Pendant zum Spritzen des Mannes - wirkte schlicht ausgelöscht aus den Köpfen.

Die Frauengesundheitsbewegung hat in den 70er und 80er Jahren kläglich versucht, diese weibliche Ejakulation populärer zu machen.

"Da gab es das Problem, dass die Vagina, die bei vielen stimuliert werden musste, um Squirten hervorzurufen, nicht der Ort war, wo die Feminist*innen der 70er/80er Jahren hinwollten. Die entdeckten gerade die Klitoris neu." - Stephanie Haerdle

Und heute?

Die weibliche Ejakulation ist für viele immer noch ein Mythos. Und das hat grob zwei Gründe:
  1. Es fehlt immer noch das Wissen darüber, dass es das überhaupt gibt und es fehlt das Wissen darüber, was das für eine Flüssigkeit ist, denn...
  2. Viele haben Angst, dass sie ins Bett pinkeln könnten, wenn sie sich entspannen.

Genau hier setzen heutige Feminist*innen an. Sie versuchen, Menschen mit Vagina die Angst davor zu nehmen, ins Bett zu pinkeln, wenn sie versuchen zu squirten. Denn wenn wir keine Angst mehr davor haben, aus Versehen beim Sex zu pinkeln, dann versuchen wir es vielleicht und squirten vielleicht und bringen das Thema dadurch mehr an die Oberfläche und vor allem: in die Wissenschaft. Denn hier herrscht immer noch immenser Nachholbedarf: 

"Die Tradition der Wissenschaft hat sich nicht wirklich um Frauenkörper verdient gemacht. Schon gar nicht in Bezug auf Sexualität und Lust. Dieses Erbe schleppen wir noch mit uns rum. Und sich jetzt, positiv und mit Neugierde mit diesen Flüssigkeiten zu beschäftigen und sich mit ihnen zu identifizieren, wenn man sie denn verspritzt, ist echt eine Aufgabe. Aber es ist Zeit dafür und es macht Spaß!" - Stephanie Haerdle

Nachdem wir kulturgeschichtlich im Bilde sind, stellt sich noch folgende Frage...

Wie geht Squirten?

Um das herauszufinden, habe ich einen Squirt-Worksop gemacht! Bei der Tantralehrerin Kamala Mara. 

Hast du schonmal von den Skene-Drüsen gehört?

Ich vor meiner Recherche nicht. Die Skene-Drüsen bilden die weibliche Prostata. Die Ausgänge befinden sich um die Harnröhre herum. Sie sind mit einem Schwellkörper verbunden, den wir als G-Punkt kennen. Und ja, G-Punkt ist eine völlig falsche Bezeichnung! Es ist kein Punkt, sondern ein Schwellkörper und befindet sich so um die Harnröhre herum. Man kann sich das vorstellen, wie so ein Donut.

Wenn Menschen mit Vagina erregt sind, sammelt sich Flüssigkeit in diesem Schwellkörper an. Durch Osmose - kennst du vielleicht noch aus dem Biounterricht. Diese Flüssigkeit hat also nichts mit Urin zu tun. Sie sammelt sich aus dem Körper, aus dem Blut und aus dem Gewebe um diesen Schwellkörper herum. Ein Teil von diesem Gewebe ragt in die Vagina rein und ist für uns ertastbar. 

Von wegen G-"Punkt": Die G-Fläche spielt die Hauptrolle im Squirt-Stück

Du kannst das selbst mal an dir oder deiner Partner*in erfühlen: Die G-Fläche befindet sich in der Vagina direkt nach der ersten Kurve Richtung Bauchdecke und fühlt sich so gerippt an, wie die Haut einer Orange oder Walnuss.

Wenn die G-Fläche stimuliert wird mit viel Druck und Frau* entspannt ist und diese Skene-Drüsenausgänge geöffnet sind und dann spritzt der Körper diese Flüssigkeit raus. Es kann aber auch anders sein: Wenn die Skene-Drüsenausgänge zum Beispiel verschlossen sind, dann geht die Flüssigkeit durch den Vaginaausgang und vermischt sich die Flüssigkeit mit der Lubrikation, also dem Ausfluss oder wird in die Blase gespritzt.

"Frauen gehen aufs Klo zum Pinkeln, machen dann Sex und nach kurzer Zeit springen sie auf und sagen: 'Uuuah ich muss pinkeln!' [...] - Das ist die Squirtflüssigkeit, die nach Innen gegangen ist." - Kamala Mara

- In mir baut sich irgendwann während des Workshops diese Flüssigkeit auf. Eine gute Ausgangslage also für eine Person, die squirten lernen will. Mara erklärt mir, dass es aber ganz schön unwahrscheinlich ist, dass ich heute in diesem Workshop squirte. Einfach aus dem Grund, weil ich mich noch nie mit meiner G-Fläche beschäftigt hab. Sie hat in meiner Sexualität nicht so eine große Rolle gespielt. Mara erklärt, dass Squirtenlernen, wie das Besteigen des Mount Everests ist: nicht an einem Tag möglich und nicht ohne Etappen.

Etappe #01 ist: sich mit der G-Fläche auseinandersetzen.

Genau das machen wir nun im Squirtworkshop. Mara und ich stehen auf, sie richtet das Bettenlager her und ich frage sie noch ein wenig zu ihrer Arbeit aus. Zum Beispiel, ob sie öfter auch Einzelseminar gäbe. Sie sagt, hauptsächlich Massagen für Männer…



Wie es weiter geht, erfährst du in der nächsten Folge! Dann spreche ich auch mit zwei Femmes Fontaines, die beruflich squirten: Ana Lingus und Aische Pervers, verraten mir, wie echt das alles ist, was wir in Pornos sehen. Die nächste Episode erscheint am 2. Mai 2023.

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