Wir befinden uns im Jahre 2017 n.Chr. Ganz Griechenland kommuniziert via Telefon und Internet... ganz Griechenland? Nein! Ein von unbeugsamen Schafhirten bevölkertes Dorf hört nicht auf, seine Nachrichten mit Pfeiftönen über Berge und durch Täler zu senden.
Es ist schwierig, aber wir könnten ja mal ganz kurz versuchen, uns vorzustellen, was ohne Internet und Funk so los wäre. Ja, wir müssten tatsächlich wieder echte Karten verschicken, anstatt via Facebook-Veranstaltung zu unserer Hochzeit einzuladen. Keine e-Mails mehr und kein Messenger. Nicht mal Telefonate.
Aber es ist ja nicht so, dass die Menschen vor der Erfindung der verschiedenen Technologien zur Fernkommunikation nicht connected waren. Sollten bei uns alle W-Lans reißen, können wir zum Beispiel auf das alte Wissen der Indianer zurückgreifen und Rauchzeichen verschicken: Lagerfeuer anschmeißen, feuchtes Gras einstreuen und wenn es richtig schön qualmt mit einer Decke in bestimmten Intervallen auf- und zudecken – zack, da haben wir die analoge SMS. Der geübte Feuerfunker kann so angeblich bis zu acht Zeichen pro Minute übertragen. Auf jeden Fall wäre dann mal wieder Zeit, ordentlich nachzudenken, bevor man auf Senden drückt.
Auch die Einwohner der Insel Evia mussten lange auf derartige Kommunikationsformen zurückgreifen. Evia liegt im Osten Griechenlands und wurde vom Gott der Handelsstraßen bei der Verteilung von Infrastruktur wohl irgendwie übersehen:
Doch die Griechen wussten sich zu helfen. Seit Jahrhunderten kommunizieren die Bauern dort mit einer komplexen Pfeifsprache, der „Sfyria“. Jeder Buchstabe des Alphabets hat einen eigenen Pfeifton, genauso wie jede Silbe. Sogar die Betonung, die im Griechischen Bedeutung trägt, wird unterschieden: póte („wann“) und poté („nie“) werden unterschiedlich gepfiffen. Die Sfyria ist eine gepfiffene Abbildung der griechischen Standardsprache.
Pfeiftöne verbreiten sich viel weiter und schneller als die menschliche Stimme. Aber irgendwann reicht auch das nicht mehr, denn die Jugend in der Gegend ist nicht mehr so erpicht aufs Schafehüten und Baumwolle gießen. Und verkrümelt sich. Außer Hörweite. So stirbt die Sfyria langsam aus. Die letzten Pfeifen Griechenlands leben im Dorf Antia und im Jahr 2011 waren alle verbliebenen Sprecher zwischen 50 und 80 Jahre alt. Erschwerend kommt hinzu, dass bei vielen davon inzwischen Gebisse oder Zahnlücken zu verheerenden Verständigungsschwierigkeiten führen.
Der (ebenfalls ausgewanderte) Panagiotis Tsanavaris hat sich deshalb daran gemacht, diese kunstvolle Sprache zu erhalten. 2010 hielt er eine Bürgerversammlung ab, die die Erhaltung der Sfyria zum obersten Ziel hatte. Und von der, wie selbst auf der Homepage des Dorfs geschrieben steht, die Leute nicht wirklich glaubten, dass sich dort irgendwelche Jugendlichen einfinden würden, um freiwillig eine todgeweihte Pfeifsprache zu lernen. Aber tatsächlich: Nach dem Treffen begann Panagiotis mit sagenhaften zwei Schülern den Pfeifunterricht. Sie waren die ersten Menschen, die die Sprache nicht durch Erfahrung, sondern in richtigen Unterrichtsstunden lernten.
Ein Event im Nachbardorf später gibt es heute schon sechs jugendliche Nachwuchspfeifen. Vorausgesetzt es bricht nicht plötzlich der Skorbut auf der Insel aus, ist der Erhalt der Sprache also ungefähr für weitere 40 Jahre gesichert.
Wenn ihr jetzt ebenfalls Lust aufs Pfeifen bekommen habt, ihr aber noch ein bisschen an eurem Griechisch feilen müsst, dann könnt ihr ja mal auf unserer passenden Playlist vorbeischauen. Dort haben wir ein paar wunderbare Ohrwürmer zum Mitpfeifen zusammengestellt (Scorpions nein, Faber ja). Oder ihr versucht es mal mit dem bayerntypischen Pendant zur Sfyria:
Bildquelle Titelbild: facebook | ΠΟΛΙΤΙΣΤΙΚΟΣ ΣΥΛΛΟΓΟΣ ΑΠΑΝΤΑΧΟΥ ΑΝΤΙΩΤΩΝ | cc by 2.0
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