Sich erinnern ist wichtig - gerade, wenn es um die schlimmsten Momente der Menschheit geht. Fünf spannende Projekte stellen wir dir vor.
Margot Friedländer. Vielleicht sagt dir der Name aus den Nachrichten was, denn vor kurzem ist sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Sie hat den Holocaust überlebt und berichtet als Zeitzeugin bis heute jungen Menschen davon – mit sage und schreibe 101 Jahren! Damit ist sie eine der wenigen verbliebenen Zeitzeug*innen. Damit wir aber auch in Zukunft aus der Geschichte lernen, gibt es immer mehr moderne Projekte, die an die Vergangenheit erinnern. Wir stellen fünf davon vor...
Das Projekt #StolenMemory
Ob Geldbeutel, Fotos, Ringe oder Uhren: Heute tragen wir sie selbstverständlich mit uns rum, während der NS-Zeit mussten Häftlinge bei ihrer Ankunft in Gefängnissen und Konzentrationslagern alles abgeben, was man sich unter persönlichen Gegenständen vorstellen kann. Die Nazis bewahrten diese Effekten, wie sie die Gegenstände nannten, in sogenannten Effektenkammern auf. Bei der Freilassung erhielt man sie teilweise wieder zurück. Was aber ist mit den restlichen Dingen passiert?Genau damit beschäftigt sich das Projekt #StolenMemory der Arolsen Archives in Hessen. Das internationale Zentrum über NS-Opfer will mit Bildung und Forschung die Erinnerung an sie wachhalten. Das Archiv bewahrt deshalb auch sämtliche Gegenstände aus mehreren KZs auf, um sie irgendwann an Angehörige der Opfer zurückzugeben. 2016 startet deshalb das digitale Projekt #StolenMemory.
Die Zusammenarbeit sieht dann so aus: Online machen sie auf die Gegenstände aufmerksamen und suchen mithilfe von Freiwilligen nach den Angehörigen der NS-Opfer. Rund 2.500 Dinge warten noch auf ihre Rückgabe, die oft ganz schön emotional ist. Das Archiv ist aber nicht nur für die Suche nach Angehörigen wichtig, sondern auch, um die Erinnerung und das Wissen über die Nazi Verbrechen wachzuhalten.
Die Arolsen Archives haben weitere Projekte, wie zum Beispiel #everynamecounts. Mehr Infos dazu findest du hier im Reflex Interview.
Das Spiel "Through the darkest of times"
Zocken macht blöd? Das ist mittlerweile längst nur noch ein verstaubtes Klischee. Schließlich gibt es mehrere Studien, die zeigen, dass Computerspiele einen positiven Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns haben und dabei helfen, schnellere und bessere Entscheidungen zu treffen. Zocken kann aber auch über Geschichte aufklären. Zum Beispiel mit dem Spiel "Through the darkest of times". Die dunkelste aller Zeiten? Die Nazizeit! Und in der spielt das Game.
"Through the darkest of times" ist dabei kein Ego Shooter-Spiel, wie so viele, die es zu dieser Zeitspanne bereits gibt. Stattdessen koordinieren Spieler*innen darin eine zivile Widerstandsgruppe. Ein Strategiespiel, in dem es um Vertrauen und Zusammenhalt geht. Das Ziel: als Gruppe bis 1945 zu bestehen.
Entwickelt hat das Spiel das Berliner Indie-Studio PAINTBUCKET GAMES. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Games zu entwickeln, die relevante Themen so behandeln, dass sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen. "Through the darkest of times" hat das auf jeden Fall geschafft. Das Spiel hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den deutschen Computerspielpreis. Damit beweisen sie: Zocken hilft nicht nur fürs Gehirn. Zocken bildet, zocken klärt auf, zocken erinnert.
#StolenMemory
Moderne Erinnerungskultur
Through the darkest of times
Moderne Erinnerungskultur
Die Befreiung
Moderne Erinnerungskultur
München erinnern!
Moderne Erinnerungskultur
Chernobyl
Moderne Erinnerungskultur
Der virtuelle Rundgang "Die Befreiung"
Der 8. Mai 1945. Ein Tag, der in die Geschichte eingeht. Der Tag, an dem die deutsche Wehrmacht kapituliert, an dem der zweite Weltkrieg endet. Der Tag der Befreiung. Ein paar Tage zuvor, am 29. April, schafft es die US-Armee bereits, Häftlinge aus dem KZ Dachau zu befreien. Wie dieser Tag ablief, zeigt das Digitalprojekt Die Befreiung. Dafür hat die KZ-Gedenkstätte Dachau zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk einen virtuellen, audiovisuellen Rundgang entwickelt. Dabei verbinden sie Fotos aus der Gegenwart mit historischen Bildern. Scrollt man sich durch die Seite, wird über ein aktuelles Bild der Gedenkstätte ein Foto aus dem Jahr 1945 gelegt. Die Gedenkstätte ist damit sozusagen eine Leinwand.
Ob Häftlinge, Befreier*innen oder Journalist*innen: Das Projekt ist ein vielschichtiger Blick auf den Ablauf der Befreiung. Dafür war es auch für den Grimme Online Preis nominiert. Und ist zum Beispiel auch als Workshop für Schulklassen oder Studierende gedacht. Aber eigentlich für jeden. Um sich zu erinnern, an diesen 29. April 1945.
München Erinnern!
Rechter Terror in Deutschland. Erste Gedanken: Die NSU-Morde oder Hanau. Das Attentat am Olympia Einkaufszentrum in München kommt vielen erst später in den Kopf. Neun Menschen wurden am 22. Juli 2016 ermordet. Erst wurde immer wieder von einem Amoklauf gesprochen. Mittlerweile ist klar: Die Tat war ein rechtsextremer, rassistisch motivierter Terroranschlag. Obwohl es Hinweise darauf gab, wurde das erst viel zu spät erkannt.
Angehörige fordern deshalb teilweise seit Jahren für mehr Aufmerksamkeit. Mit ihrer Initiative "München erinnern" soll der Anschlag als rechter Terrorakt ins kollektive Gedächtnis gerufen werden – das passiert bereits online auf ihrer Website und dem Instagram-Account. Aber auch offline sollen sich die Menschen an die schreckliche Tat und die Opfer erinnern: Dafür hat die Stadt München einen Raum mitten im Zentrum bereitgestellt. An den Wänden hängen Bilder der Opfer und Plakate von Demonstrationen. Es ist ein Raum zum Erinnern und Gedenken, aber auch ein Raum zur Aufklärung. Außerdem setzt sich die Initiative dafür ein, dass die Namen der Opfer im Stadtbild sichtbar werden, zum Beispiel mit Straßennamen. Weil jeder Name zählt. Und bewusst machen soll, was das Attentat am Olympia Einkaufszentrum war: rechter Terror.
Die Serie Chernobyl
Es sollte nur ein Experiment sein - eine Sicherheitsübung im Jahr 1986. Geendet ist sie allerdings in einer Katastrophe – der Reaktor-Katastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl. Radioaktive Strahlung mit tödlichen Folgen und Umweltverschmutzung. Dokus erzählen immer wieder, wie es dazu kam. Die HBO Serie Chernobyl geht noch einen Schritt weiter und zeigt die Folgen der Katastrophe:
Chernobyl erzählt nach wahren Begebenheiten die Schicksale von Wissenschaftler*innen, Politker*innen und Liquidatoren, also den Menschen, die bei Dekontaminationsarbeiten geholfen haben. Auch wenn die Serie teilweise für ihre Überspitzung kritisiert wird, gewinnt sie viele Preise, unter anderem einen Golden Globe. Und erinnert die Menschen an ein katastrophales Ereignis.
Nach der Ausstrahlung 2019 steigt nicht nur das Interesse an Gesprächen mit Zeitzeug*innen. Immer mehr Tourist*innen wollen nach Tschernobyl kommen – plötzlich werdern Touren durch verlassene Dörfer angeboten. Auch wenn man das kritiseren kann, Chernobyl zeigt trotzdem: Erinnerungskultur funktioniert auch in Serien. Und, dass die Kontrolle über Nuklearenergie nur bedingt möglich ist. Denn auch wenn das Reaktorunglück über 35 Jahre her ist, an Aktualität hat es nichts eingebüßt.
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