Die Mauer ist gefallen, die DDR aufgelöst, Deutschland wiedervereinigt. Und trotzdem sind Ost und West noch lange nicht gleich – und werden es wohl auch eine Weile nicht ganz sein. Ostdeutsche, die die DDR selbst gar nicht oder kaum miterlebt haben, fühlen sich häufig trotzdem als "Ossis".
Woher dieses "Ostbewusstsein" kommt und wie es sich ausdrückt, untersucht Valerie Schönian in ihrem Buch Ostbewusstsein – Warum Nachwendekinder für den Osten streiten und was das für die Deutsche Einheit bedeutet.
Valerie Schönian ist Ostdeutsche, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt. Als Teenie hatte sie dafür kein Bewusstsein – Deutschland ist Deutschland, so dachte sie. Als sie nach München zum Studieren kam, traf sie plötzlich auf Klischees über "Ossis", die sie für längst überwunden hielt. Und begann in der Folge, sich mit ihrer ostdeutschen Herkunft zu identifizieren. Im Interview mit egoFM wünscht sie sich, Ost und West würden endlich auf Augenhöhe kommen. Aber die kulturelle Prägung der sogenannten neuen Bundesländer soll dabei erhalten bleiben.
Valerie Schönian über ihr Buch "Ostbewusstsein"
Das Interview zum Nachhören
Mehr als DDR
Ostdeutschland – das ist mehr als Rotkäppchen Sekt und Polylux, die Ostversion des Overhead-Projektors. Und auch mehr als Stasi und Widerstand. Für Valerie Schönian ist es Heimat. Freiraum. Symbol für die Geschichte und Prägung ihrer Eltern und Großeltern.
"Für mich können Plattenbauten genauso heimatliche Gefühle auslösen, wie für eine Münchnerin die Berge. Das klingt erstmal komisch, ist es aber eigentlich gar nicht." - Valerie Schönian
Klischees, Trotz und Heimatgefühle
Ein erstes Bewusstsein für ihre ostdeutsche Identität hat sie entwickelt, als sie in München mit den nach wie vor tief sitzenden Klischees über Ostdeutsche konfrontiert wurde. Wie aus Trotz verteidigte sie den Osten, zum ersten Mal in ihrem Leben.
Verstehen und zuhören
Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahr 2016, bei der die AfD zweitstärkste Kraft wurde, versuchte sie dann in einem Gespräch über das Wahlergebnis zu erklären, wie ihrer Meinung nach die Entwicklungen nach dem Mauerfall damit zusammenhängen. Die Antwort ihres westdeutschen Gesprächspartners: Das sei Ossigejammer.
Für Valerie Schönian wurde spätestens da klar, dass sie als Nachwendekind ihrem Ostgefühl Ausdruck verleihen und Klischees aufgreifen, diskutieren und ergänzen muss, um mehr Verständnis zu erreichen. Heraus kam dabei das Buch "Ostbewusstsein", im dem sie mit vielen anderen ostdeutschen Nachwendekindern, darunter der CDU-Politiker Phillip Amthor, aber auch mit westdeutschen Journalist*innen, über die Thematik spricht.
"Ossi" neu besetzen, statt einfach nicht mehr sagen
Nach Fertigstellung des Sachbuchs, das mittlerweile Spiegel-Bestseller ist, stand für sie fest: Es geht nicht darum, alle Unterschiede abzubauen. Sondern darum, das Bild des "Ossis" vielfältiger zu machen und somit näher an die Realität zu bringen. AfD, Pegida, Stasi – all das muss diskutiert werden. Aber der Osten ist mehr als das. Wir müssen auch die Geschichte der neuen Bundesländer und die Kultur, die eben genauso ein Teil Deutschlands ist, anerkennen, sichtbarer machen und respektiert.
"Ich kann das alleine leider nicht schaffen, das ist ja ein Prozess, den wir alle gemeinsam angehen müssen." -Valerie Schönian
Fangen wir doch gleich mal damit an, den Text eines der schönsten ostdeutschen Mitsinglieder und Ohrwürmer schlechthin auswendig zulernen:
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