#FreeBritney: Symbol gegen Vormundschaft

#FreeBritney: Symbol gegen Vormundschaft

Warum durch Britney mehr über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gesprochen wird

Von  Anne Walzog
Nach 13 Jahren war es diese Woche endlich so weit - die Vormundschaft von James "Jamie" Spears über seine Tochter wurde beendet. Fans auf der ganzen Welt feiern diesen Triumph und gleichzeitig entwickelt sich Britney zur Symbolfigur eines längst überfälligen Diskurses.

Britneys Spears steht symbolisch für Millionen Schicksale

Britneys jahrelanger Kampf macht die Schattenseiten der Vormundschaft deutlich. Denn nicht nur eine berühmte, erfolgreiche Frau wie Britney kämpft gegen die unzulässige und tiefgehende "Betreuung" - auch andere Menschen sind weltweit betroffen.
"I truly believe this conservatorship is abusive. I don't feel like I can live a full life." - Britney Spears

Gesetzliche Betreuung lässt Raum für Missbrauch

Denn was durch diesen berühmten Fall klar geworden ist: Die durch die #FreeBritney-Bewegung aufgedeckten und kritisierten Probleme einer Vormundschaft spiegeln den Alltag vieler Menschen wider und kratzen nur an der Oberfläche eines viel tiefer gehenden Problems. Obwohl es keine genauen Zahlen gibt, gehen Schätzungen davon aus, dass beispielsweise Millionen Menschen mit geistigen und psychosozialen Behinderungen unter einer Form von Vormundschaft stehen. Das heißt am Beispiel von Britney: keine Kontrolle über die Einnahme von Medikamenten, Verhütung und Familienplanung, die eigenen Finanzen, die eigene Karriere, den eigenen Körper - keine Privatsphäre, kein selbstbestimmtes Leben. Diese verlorene Kontrolle kann dazu führen, dass Menschen gegen ihren Willen eingesperrt, medizinische Behandlungen erzwungen und die eigenen Bewegungsfreiheiten eingeschränkt werden. So kommt es beispielsweise nicht selten vor, dass Frauen gegen ihren Willen zur Verhütung eine Spirale eingesetzt wird oder dass Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden - auch wenn die Betroffenen das Kind behalten möchten. Diese Entscheidung liegt in dem System der Vormundschaft in vielen Ländern allein beim Vormund und medizinischen Personal. Durch den Fall von Britney Spears rückt dieses System, was viel Raum für Menschenrechtsverletzungen zu lässt, erstmals in den Diskurs der Öffentlichkeit.

Bei einer Vormundschaft sollten die Wünsche, Ziele und Entscheidungen der betroffenen Personen berücksichtigt werden - doch viel zu oft werden sie in unserem System nicht gehört, wahr- oder ernst genommen.


#FreeBritney - #FreeEveryone

Viele Britney-Fans forderten, dass die Sängerin vor Gericht nicht mehr wie eine Person mit einer Behinderung behandelt wird. Genau hier stellt sich aber ein Problem dar, warum es so wichtig ist, dass der Diskussion und der mediale Rummel um die Bewegung weitergedacht wird. Es geht nicht um die Frage, wie die Musikerin vor Gericht eingeschätzt wird, es geht nicht darum, ob sie eine Behinderung hat oder nicht. Es geht einzig und allein darum, dass das System der Vormundschaft für Menschen mit Behinderungen erneuert werden muss. Oftmals lautet die Argumentation von Britney-Supporter*innen sie habe keine ("richtige") Behinderung, also sollte sie unter keiner Vormundschaft stehen. Die Frage, die an dieser Stelle jedoch viel wichtiger wäre - warum sollten Menschen mit Behinderungen in dieser Situation vor Gericht generell so behandelt werden? Es herrscht eine erschreckende Akzeptanz für das Verhalten eines Vormundes gegenüber Menschen mit Behinderungen - aber wenn ein beliebter Popstar in dieser Situation gerät, ist das Problem die Wahrnehmung vor Gericht - nicht das System der Vormundschaft selbst.



Fallbeispiel #FreeBritney

Vielleicht hast du die ganze #FreeBritney-Movement nur halb verfolgt - schließlich drang vor allem über die sozialen Netzwerke Theorien von Super-Fans durch, die eher nach Verschwörung klingen. Was ist dran und was ist eigentlich genau passiert? Ein kleines Recap:

Anfänge als Kinderstar

Die talentierte Britney, die bereits im Mickey Mouse Club zusammen mit Christina Aguilera, Justin Timberlake und Ryan Gosling vor der Kamera stand, wurde früh ans Rampenlicht gewöhnt. 1999 erschien ihr Debütalbum …Baby One More Time und katapultierte sie schlagartig als Pop-Prinzessin in den Pop-Olymp. Bis 2002 baute sie sich eine internationale Karriere auf und löste sich spätesten 2003 endgültig von ihrem Image als Teenie-Popsternchen. Auch nach diesem Imagewechsel war die Sängerin weiter erfolgreich.

Medialer Druck

Britney war seit ihrem Debüt ständig in den Medien zusehen - während dabei anfangs noch ihre Musik im Vordergrund stand, entwickelte sich über die Jahre ein immer größer werdendes Interesse für ihr Privatleben. Der enorme Druck stieg insbesondere durch die in den 2000er verbreitete Paparazzi-Kultur. Jeder noch so kleine, alltäglicher Schritt von Britney wurde von Paparazzi dokumentiert und in der Klatschpresse breitgetreten. Als Normalo kann man sich diese ständige Überwachung kaum vorstellen.
2007 wurde ihre erste Ehe geschieden und Fotos ihres psychischen Zusammenbruchs, als sie sich ihren Kopf rasierte, gingen um die Welt. Kurze Zeit später ließ sie sich erstmals für einige Tage in ein Rehabilitationszentrum einweisen. Einige Monate später wurde ihrem Ex-Mann das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder zugesprochen. Nach einem eskalierten Sorgerechtsstreit wurde ihr zusätzlich das Besuchsrecht für ihre Kinder entzogen. Und natürlich wurde weiterhin jeder ihrer Schritte in den Medien dokumentiert und zerrissen.
Im Januar 2008 wurde Britney schließlich zwangseingewiesen, sie würde eine Gefahr für sich und andere darstellen. Durch einen Eilantrag konnten Britneys Eltern einen Tag später ihre Tochter entmündigen, wodurch ihr Vater Jamie als Vormund eingesetzt wurde. Das bedeutete auch, dass er zusammen mit dem Anwalt Andrew Wallet das Vermögen von Britney in Zukunft verwalten konnte. Eigentlich sollte diese Vormundschaft lediglich für ein Jahr dauern, wurde aber kurze Zeit später zu einer dauerhaften Vormundschaft gewandelt.

Vormundschaft 

Während der Vormundschaft veröffentlichte Britney insgesamt vier Studioalben, moderierte in der Sendung The X Factor und hatte vier Jahre lang bis Ende 2017 eine Dauershow in Las Vegas. 2018 wurde Britneys Schwester Jamie Lynn Treuhänderin des Nachlasses von Britney. Kurze Zeit später pausierte Britney ihre Dauershow in Las Vegas, um für ihren Vater da zu sein, der gesundheitliche Probleme hatte. Diese nahmen Britney angeblich so mit, dass sie sich im März 2019 psychiatrische Einrichtung begeben musste. Kurz vorher war der Anwalt Andrew Wallet von seiner Position bei der Vormundschaft nach nunmehr elf Jahren zurückgetreten.

Beginn der #FreeBritney-Bewegung

Im April 2019 wurde in einem Podcast eine anonyme Sprachnachricht eines angeblichen ehemaligen Mitglieds von Britneys Rechtsabteilung abgespielt. Die Person behauptete, dass Britneys zweite Dauershow in Las Vegas von ihrem Vater abgesagt worden war, da sich die Sängerin weigerte, ihre Medikamente zu nehmen. Außerdem erklärte die Quelle, dass Britney unfreiwillig in die psychiatrische Einrichtung eingewiesen und dort festgehalten wurde. Grund dafür war, dass sie gegen Auflagen verstoßen hatte, die ihr verboten hatten, selbst Auto zu fahren. Außerdem gab die Quelle weiter an, dass die Vormundschaft durch Britneys Vater eigentlich hätte schon 2009 beendet werden sollen. Der Podcast löste kurze Zeit später die #FreeBritney-Movement aus. Die Sängerin versicherte ihren Fans jedoch, dass es ihr gut ginge und wurde kurze Zeit später aus der psychiatrischen Einrichtung entlassen.



Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Ein Beitrag geteilt von Britney Spears (@britneyspears)



Fans vermuten heute, dass sie diese Nachricht nur unter enormen Druck und unter unfreiwilligen Medikamenteneinfluss gefilmt haben soll und gehen auch davon aus, dass der Postingtext von jemand anderem verfasst wurde. In den darauffolgenden Monaten brach die Diskussion um Britneys Vormundschaft nicht ab und #FreeBritney entwickelte sich zu einem weltweiten Phänomen mit zahlreichen prominenten Unterstützer*innen.

Ende der Vormundschaft

Im August 2020 beantragte Britney, die Vormundschaft ihres Vaters endlich zu beenden. Mehrfach wurde ihr Antrag vor Gericht abgelehnt und die Vormundschaft weiter verlängert. Im Juni 2021 gab Britney vor Gericht erstmals an, dass sie jahrelang über ihren eigentlichen Gemütszustand gelogen hatte und in Wirklichkeit traumatisiert von der Vormundschaft sei und sich von allen kontrolliert fühlte. Sie durfte beispielsweise entgegen ihres Wunsches nicht heiraten oder Termine bei einem Frauenarzt wahrnehmen, um ihre Empfängnisverhütung zu beenden. Die New York Times veröffentlichte in dieser Zeit außerdem eine Dokumentation, die den massiven Missbrauch der Vormundschaft durch Jamie verdeutlicht. Britney soll beispielsweise in ihren Privaträumen abgehört und überwacht worden sein. Außerdem wurde durch die Doku bekannt, dass Britney bereits 2014 versucht hatte, die Vormundschaft zu beenden.

Nach einigem hin und her reichte Britneys Vater im September 2021 einen Antrag zur Beendigung der Vormundschaft für Britney ein, die ihm nun Ende September entzogen wurde.

Design ❤ Agentur zwetschke