Die Wahl in Bosnien-Herzegowina

Die Wahl in Bosnien-Herzegowina

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Marion Kraske

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Die Wahl in Bosnien-Herzegowina hat nicht nur wegen der Ergebnisse, sondern vor allem auch wegen des Eingreifens eines deutschen Politikers international für Aufsehen gesorgt.

Marion Kraske ist Politologin und Publizistin und beschäftigt sich mit den Themen Rechtsextremismus, Nationalismus und Vergangenheitsbewältigung. Zu ihren Schwerpunkten gehören außerdem die Kriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, die von 1991 bis 2001 geführt wurden, sowie die Herausforderungen in Staats- und Nationenbildung in der Nachkriegszeit. Zuletzt hat sie als Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo gearbeitet.
  • Marion Kraske über Bosnien-Herzegowina
    Das komplette Interview aus egoFM Reflex


Am 2. Oktober fanden in Bosnien-Herzegowina Wahlen statt.

Dabei wurde unter anderem ein neues Staatspräsidium gewählt. Dieses wird seit dem Friedensabkommen von Dayton von 1995 nach - zunehmend sehr umstrittenen - ethnischen Kriterien besetzt: Es gibt jeweils eine*n Vertreter*in der Bosniak*innen (der muslimischen Bosnier*innen), der Serb*innen und der Kroat*innen im Land. Den bosniakischen Sitz gewann der Sozialdemokrat Denis Bećirović, der serbische Sitz ging an die Nationalistin Željka Cvijanović und der kroatische an den proeuropäischen Demokraten Željko Komšić.

Dass sich Bećirović bei den Bosniak*innen gegen die nationalistische Partei SDA durchgesetzt hat, war überraschend, ist aber definitiv ein gutes Ergebnis für Bosnien und den europäischen Weg Bosniens, sagt Marion Kraske. Auch die Wahl von Željko Komšić ist sehr positiv zu bewerten. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass im Parlament mehrheitlich Ethnonationalist*innen sitzen und mit Željka Cvijanović eine enge Vertraute des Separatisten Milorad Dodik gewählt wurde.

Bosnien-Herzegowina ist ein föderalistisch aufgebauter Staat, der sich aus zwei Landesteilen zusammensetzt: der Republika Srpska (RS) und der Föderation von Bosnien und Herzegowina.

Milorad Dodik, der bisher der serbische Vertreter im Staatspräsidium war und nun Präsident der Republika Srpska ist, ist bekannt für seinen Sezessionskurs. Er ist Initiator des Abspaltungsbeschlusses, nach dem sich die Republika Srpska aus der gemeinsamen Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern, Justiz, Sicherheit und Verteidigung zurückziehen will. Und nicht nur Dodiks serbische Partei SNSD ist auf Sezessionskurs, auch die kroatische HDZ BiH hat Separationsbestrebungen; sie wollen einen dritten Landesteil bilden.

Das Amt des hohen Repräsentanten der Vereinten Nationen

Abgesehen von den ethnischen Kriterien der Wahl geht noch eine weitere Besonderheit auf das Dayton-Friedensabkommen zurück: Der hohe Repräsentant. Dieser soll die Umsetzung des zivilen Teils des Abkommens überwachen. Der hohe Repräsentant wird von dem sogenannten Friedensimplementierungsrat der UN ernannt, arbeitet nach Eigendefinition mit dem "Volk" und den "Institutionen" des Landes zusammen, damit Bosnien-Herzegowina eine "friedliche und lebendige Demokratie" wird. In der Praxis aber hat der hohe Repräsentant weitreichende Kompetenzen: Er kann unter anderem Gesetze erlassen und demokratisch gewählte Politiker*innen aus ihren Ämtern entfernen. Seit 2021 hat der deutsche CSU-Politiker und ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt dieses Amt inne.


Mehr Hintergrundinfos zum Amt des hohen Repräsentanten findest du hier in unserem egoFM Reflexikon.

 
Bereits die vergangenen Jahre waren politisch von wachsenden Spannungen geprägt, jetzt sprechen allerdings einige von einer schweren politischen Krise. Und dabei spielt Christian Schmidt eine entscheidende Rolle.

Reform des Wahlgesetzes

Bereits als die Auszählung der Stimmen noch lief, hat Christian Schmidt von seinen weitreichenden Kompetenzen als hoher Repräsentant Gebrauch gemacht und mehrere Änderungen des Wahlgesetzes verkündet. Er selbst behauptet, es gehe darum, Blockaden der Ethnonationalist*innen aufzulösen - was von der internationalen Gemeinschaft zu großen Teilen gestützt wird - es gibt allerdings starke und berechtigte Kritik an seinem Verhalten, das nicht nur als antidemokratisch verurteilt wird.


Marion Kraske hält das Amt des hohen Repräsentanten zwar im Allgemeinen nach wie vor für wichtig, aber auch sie verurteilt das Vorgehen von Schmidt scharf:
"Meines Erachtens ist das wirklich ein einmaliger Akt des Machtmissbrauchs, weil er [Christian Schmidt] hier während der Wahlen - also während die Stimmauszählung lief - sozusagen das Wahlrecht geändert und hat auch noch zusätzlich in die Verfassung der Föderation des bosniakisch-kroatischen Teil des Landesteils eingegriffen. Da gibt es wirklich ganz klare Kritik und ich finde, die ist auch sehr berechtigt." - Marion Kraske

Auch Wahlbeobachter*innen des EU-Parlaments bezeichnen das Vorgehen von Schmidt als undemokratisch und illiberal. Marion Kraske betont außerdem, welch weitreichenden Schaden Schmidt damit angerichtet hat.
"Ich finde, dass er damit nicht nur das Amt [des hohen Repräsentanten] beschädigt hat, er hat auch seine Reputation in Bosnien eigentlich komplett eingebüßt und was noch schlimmer ist: Er hat natürlich auch Bosnien damit einfach weiter ethnifiziert. Das ist nicht seine Aufgabe und ich glaube, das ist das Gegenteil von dem, was Bosnien eigentlich brauchen würde. Nämlich einen ganz klaren, proeuropäischen, bürgerlich orientierten, liberalen Weg." - Marion Kraske

Marion Kraske erklärt, dass der deutsche Politiker mit seinem Eingreifen dem Drängen der rechtsnationalistischen, extremistischen, kroatischen HDZ nachgegeben hat. Diese ist die einzige Partei, die von der Intervention profitiert. Denn ganz vereinfacht ausgedrückt geht es bei Schmidts Reformen unter anderem darum, den Einfluss der HDZ zu vergrößern.
"Man setzt auf eine Scheinstabilität mit den korrupten, kriminellen Ethno-Klans. Das ist das Gegenteil von Demokratisierung." - Marion Kraske

Viele Menschen in Bosnien haben nun den Glauben an die internationale Gemeinschaft verloren, sagt Marion Kraske.

Denn sowohl Großbritannien als auch die USA, befürworten das Eingreifen in ein Wahlsystem zugunsten einer einzigen nationalistischen Partei. Über die geplante Reform wurde seit Monaten diskutiert und sie hat vorab zahlreiche Massendemonstrationen ausgelöst. Dennoch hat Christian Schmidt die Änderungen durchgesetzt. Die EU-Vertretung in Sarajevo hat sich von diesem Vorgehen distanziert. 

Sowohl die anhaltende Mehrheit der Ethnonationalist*innen im Parlament als auch das Vorgehen von Schmidt, verstärkt die Ethnisierung der bosnischen Politik. Und beides wird wohl dazu führen, dass noch mehr junge Menschen das Land verlassen, sagt Marion Kraske. Schon länger gilt Bosnien-Herzegowina als eines der Länder mit dem größten Bevölkerungsschwund, weil immer mehr - vor allem junge Menschen - ins Ausland gehen.  

Bosnien-Herzegowina und die EU

2016 hat Bosnien-Herzegowina einen Beitrittsantrag an die EU gestellt, seitdem ist allerdings nicht viel passiert. Dabei hält es Marion Kraske für extrem wichtig, dass die EU Bosnien endlich den Kandidatenstatus verleiht, da mit einer Bindung an Europa auch die Separationsbestrebungen geschwächt und die systematische Diskriminierung im Land abgebaut werden könnten.

Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte fordert außerdem bereits seit 2009, dass die gesetzlich verankerte Benachteiligung, die Diskriminierung und der explizite Rassismus beendet werden und hat fünf Grundsatzurteile diesbezüglich gefällt. Es geht zum Beispiel darum, dass Personen, die sich selbst nicht als serbisch, kroatisch oder bosniakisch einordnen - beispielsweise weil sie jüdisch oder Roma sind, oder weil sie sich schlicht nicht ethnisch definieren wollen - von vielen gewählten Ämtern, auch dem des Staatspräsidiums, grundsätzlich ausgeschlossen werden. Diese Grundsatzurteile werden wegen der Nationalist*innen aber bisher nicht umgesetzt. "Wie sollen die Leute aus nationalistischem Denken rauskommen, wenn es ihnen aufgezwungen wird und reale Konsequenzen hat?" hat Melina Borčak schon im Juli getwittert.

Marion Kraske äußert sich ähnlich und fordert, dass Brüssel die fünf Grundsatzurteile europäischen Rechts endlich befördert: 
"Das wäre ein ganz wichtiger Schritt und auch eine Botschaft für die ganzen Bürgerinnen und Bürger, für die Demokrat*innen in dem Land, dass es tatsächlich gen Europa geht und dass man sozusagen diesen toxischen Ethnonationalismus, der im Grunde genommen diesem Land nur Kriege - und letztendlich nach dem Ende des Krieges, Ausbeutung der Ressourcen gebracht hat, [und] die Aufhetzung ganzer Bevölkerungsgruppen - dass der einfach jetzt beendet wird." - Marion Kraske

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