Cis und heterosexuell - das ist doch nicht normal

Cis und heterosexuell - das ist doch nicht normal

Meinung

Von  Anna Taylor
Wir müssen unbedingt über das Wort "normal" sprechen, wenn es um Gender und sexuelle Orientierung geht, findet unsere Autorin.



Folgendes hat sich zugetragen...

Ich packe mein Kind nicht in eine blaue oder pinke Farbschublade - es darf alle Farben tragen, ob rosa, türkis, grün, gelb, lila, rot oder sonst was. Das passt nicht allen, vor allem aber nicht irgendwelchen Fremden, weswegen ich mir relativ häufig irgendeine Scheiße anhören muss. Der größte Mist hat mich ziemlich nachdenklich gestimmt und schließlich auch zu diesem Text hier motiviert. Nämlich folgendes: Eine mir völlig unbekannte Person wollte wissen, welches Geschlecht denn das Kind habe, immerhin könne man es ja überhaupt nicht erkennen. Weil ich eben schon Erfahrung mit der Frage habe, feuere ich mittlerweile eine Standardantwort raus: "Weiß ich noch nicht, dazu hat es sich noch nicht geäußert". Verblüffung beim Gegenüber. Es rattert im Hirn, bis schließlich folgende Antwort aus dem Mund geschissen wird: "Um Gottes Willen, so kann das Kind ja gar nicht normal werden".

Normal? Was soll das heißen?

Rhetorische Frage - natürlich weiß ich, was diese bestimmte Person mit normal meint: einen heterosexuellen cis-Menschen. Ich bin aber der Meinung, dass dies eine völlig falsche Vorstellung davon ist, wie Menschen sich entwickeln sollten. Normal meiner Meinung nach heißt, dass sich ein Mensch frei von Klischees, Schubladen oder den Vorstellungen fremder Personen entwickeln soll und zu dem werden kann, was sich für Herz, Körper und Seele richtig anfühlt. Ja ich bin sogar der Meinung, dass es doch eher normal sein sollte, sich zu einer Persönlichkeit, als einem Geschlechtsteil hingezogen zu fühlen. Wenn überhaupt! Denn eigentlich ist der große Traum, das Wort normal in dieser Hinsicht komplett zu streichen.

Gender ist ein Spektrum

Ebenso unsinnig finde ich es, die binäre Geschlechternorm, also die Vorstellung davon, dass ein Mensch entweder männlich oder weiblich oder höchstens noch "etwas dazwischen" ist, als Normalfall anzusehen. Gender ist keine Sache von M oder W, sondern viel mehr mit einem Farbkreis vergleichbar. Und alles darauf ist gleich normal.

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Bullshit #01: Bitte jetzt nicht auf den Fortpflanzungstrieb verweisen

Klar, Menschen sind Tiere und Tiere existieren nur zur Artenerhaltung, also zum Essen und für Koitus. Mal abgesehen davon, dass bei dieser Ansicht schon wieder einen Touch von Speziesismus hat (anderes, großes Thema), ist diese Ansicht ziemlich engstirnig. Leute, die Welt ist buchstäblich am Brennen, weil wir uns zu weit in die Natur ausgebreitet haben, wir müssen uns echt nicht mehr unbedingt vervielfachen, im Gegenteil: Zu unserer Existenzsicherung wäre wohl eher ein bisschen Pause vom Fortpflanzen cool.

Wer Heterosexualität im Rahmen der Vermehrung als biologisch gegeben sieht, würde bei Unmut vielleicht auch gerne noch mit Fäkalien um sich schmeißen, oder wie muss ich das verstehen? Und nun die Sache überhaupt: Homosexualität existiert auch in der Tierwelt, genauso wie Polyamorie und Geschlechtsumwandlung (Beispiel Clownfisch). Animalische Triebe zum Vorwand zu nehmen, eine Heteronormativität aufrecht zu erhalten, ist echt lahm.

Bullshit #02: Das Argument "Mind your own business"

Was man dann ja gerne mal auf Social Media liest, sind Trolle die schreiben: "Mir doch egal wer wen liebt, aber das sollen sie bitte für sich behalten". Puh ja, also wenn man sowas sagt, sollte man auch dagegen sein, dass man keinen einfachen Tag verbringen kann, ohne von Werbung und Medien wie Filmen und Serien hetero Sex oder Beziehungen unter die Nase gerieben zu bekommen. Damit wären wir auch schon beim nächsten Punkt…

Die Bedeutung von Repräsentation

Wir sind also hoffentlich alle für eine freie Entfaltung von Menschen und ihrer Sexualität. Genau deswegen ist es wichtig, dass alle möglichen Entfaltungen gleichmäßig in der Öffentlichkeit Platz finden. Damit meine ich zum Beispiel Werbung - während Versicherungen gerne mit dem Bild einer Familie bestehend aus cis-Frau, cis-Mann, cis-Mädchen und cis-Junge für einen Rundumschutz oder Whatever werben, sollte es genauso klargehen, dass ein gleichgeschlechtliches Paar mit Kind, dem man das biologische Geschlecht vielleicht gar nicht mal ansehen kann, für dieselbe Sache wirbt - und sich hetero cis-Menschen genauso davon angesprochen fühlen.

Oder dass es selbstverständlich ist, dass trans Menschen in Filmen und Serien vorkommen, ohne dass deren trans Sein groß thematisiert wird, wie es zum Beispiel in Dispatches from Elsewhere der Fall ist.


Ein spannendes Interview zu Queercoding findest du übrigens hier.


Dann brauchen wir außerdem viel mehr Vorbilder und queere Personen des öffentlichen Lebens - also zum Beispiel männliche Fußballspieler oder Schauspieler*innen, die sich outen. Zudem wäre es natürlich sinnvoll, auch im Sexualkundeunterricht in der Schule über die Vielfalt von Gender und Vorlieben aufzuklären.

Compulsory Heterosexuality

Compulsory Heterosexuality kritisiert die Annahme, dass eine heterosexuelle Gesinnung als Norm wahrgenommen wird. Dieser Theorie nach gibt es viele Menschen, die von ihrer queeren Identität also überhaupt nichts wissen, weil Heterosexualität antrainiert wurde. Ich nehme da mich selbst als Beispiel:

Ich bedauere es sehr, dass meine Prägung von Tag 1 meiner Existenz in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde.

Mit Gender-Vielfalt befasse ich mich erst seit wenigen Jahren, davor war mein gesellschaftliches Umfeld bezüglich Homosexualität von üblen Klischees, beziehungsweise purer Homofeindlichkeit geprägt. So galten lesbische Beziehungen als "kleines Abenteuer" oder "Phase" oder Fetisch bei YouPorn. Meine komplette Kindheit wurde mir eigentlich nur eine heterosexuelle Zukunft prophezeit (sei es beim Mutter-Vater-Kind spielen oder von diversen Familienmitgliedern - "Irgendwann heiratest du auch mal einen Mann").

Wie hätte ich mich wohl entwickelt, wenn mir das nicht von der Gesellschaft diktiert worden wäre, wie ich mich als weiblich gelesene Person auszurichten habe? Wenn Homosexualität selbstverständlich in Filmen, Serien und Werbung dargestellt worden wäre? Wenn Schulunterricht wirklich informativ wäre? Ich kann es dir heute nicht mehr sagen. Ich kann es nicht mal mir selbst heute sagen. Außer, dass mich dieses Schubladendenken beim Gender einfach nur nervt.



Es geht mir nicht darum zu sagen, dass wir jetzt alle unsere Identitäten in Frage stellen müssen.

Es geht mir nur darum, dass wir anfangen, andere Identitäten nicht als etwas wunderliches oder abnormales darzustellen, damit sich alle Menschen so entwickeln können, wie sie es für richtig empfinden.



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