Hall of Fame: Radiohead

Hall of Fame: Radiohead

Musikalische Meilensteine aus der egoPerspektive

Wie aus einer recht unspektakulären Band Legenden der Musikgeschichte wurden.

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  • Radiohead
    egoFM Hall of Fame

Der Anfang

Die Gründung von einer der größten Bands der Welt hätte eigentlich nicht viel gewöhnlicher sein können.

Thom Yorke, Jonny Greenwood, sein Bruder Colin Greenwood, Ed O'Brien und Phil Selway gehen eben alle auf dieselbe Schule, nämlich die Abingdon School in Abingdon bei Oxford. Zudem hängen Thom und Jonny immer auf denselben Partys rum, für die sie sich in ähnlich exzentrische Klamotten warfen. Warum dann nicht auch gleich eine Band gründen? 
Das Festlegen auf einen Bandnamen passiert auch eher nebensächlich. Ganz pragmatisch wird sich auf On a Friday geeinigt, weil - du kannst es dir vielleicht denken - nunmal immer an einem Freitag geprobt wird.

So weit, so wahnsinnig unspektakulär. Wir spulen etwas vor: Obwohl sich die Jungs mit dem Schulabschluss und dem folgenden Besuchen diverser Universitäten nur noch an Wochenenden und in den Ferien zum Proben treffen können, wird aus ihnen irgendwann eine mehr oder weniger professionelle Band:

1991 kommen On a Friday schließlich bei EMI unter Vertrag.

Die erste Ansage des Labels: Bitte Namen ändern! Und weil man nicht unbedingt am Probedatum zu Schulzeiten hängt, wird On a Friday gekickt und Radiohead geboren. Dieser Name wiederum ist inspiriert vom Talking Head Song "Radio Head". Immerhin etwas Trivia.



Das One Hit Wonder

Mit einem Label Deal für sechs Alben in der Tasche geht es ans Produzieren: 1992 erscheint die erste EP Drill, für die man sich fast nicht weniger hätte interessieren können. Erst mit "Creep" wittern die Label-Leute das große Geld, während die Band an sich den Song eher unspektakulär findet. Ganz so schnell sollte es auch nicht gehen: BBC Radio 1 findet den Song irgendwie zu langweilig und spielt ihn nicht.
Erst als "Creep" 1993 auf dem Debütalbum Pablo Honey erscheint, kommt eine Kettenreaktion in Gang die allzu bald nicht mehr aufzuhalten ist: "Creep" wird merkwürdigerweise im Nahen Osten ziemlich gefeiert und gelangt so über Umwege nach Amerika, wo der Hype um die Band, beziehungsweise um "Creep" zum Bersten ansteigt. 


Aus der Band die keiner hören will wird die Band, von der alle nur das eine wollen: Creep! Creep! Creep! Creep! Das ständige Verlangen der Fans nach diesem einen Song verärgert die Musiker. Intern wird "Creep" nur noch "Crap" genannt und außerdem aus dem Live-Repertoire gestrichen.
Kurze Zeit darauf sind Radiohead von all ihren bisherigen Songs gelangweilt - neue müssen her! Komplexer sollten diese sein. Und mit ein bisschen Keyboard. So erscheint 1995 das zweite Album The Bends, auf dem nicht nur neue Songs mit Hitpotential zu finden sind (zum Beispiel "High and Dry" und "Fake Plastic Trees"), sondern sich auch mit dem schmerzhafte Erfolg von ihrem "Creep" auseinandergesetzt wird - über den Track "My Iron Lung".

"This is our new song / Just like the last one / A total waste of time / My iron lung" - aus dem Song "My Iron Lung" von Radiohead

Die eiserne Lunge steht metaphorisch für eine lebenserhaltende, aber gleichzeitig lebensbeeinträchtigende Maßnahme. "Creep" hält die Bandmitglieder finanziell über Wasser - bindet sie jedoch an einen einzigen Erfolg, von dem sie sich nicht lösen können, weil sie ihn immer und immer wieder wiederholen müssen. Trotz der Offenheit und des Lobs der Kritiker*innen, ist The Bends kein kommerzieller Erfolg.
Erst zwei Jahre später landen Radiohead den nächsten Coup mit ihrem dritten Album:

 OK Computer ist ein massiver Instanterfolg.

Und für viele heute noch das beste Radiohead-Werk, wenn nicht sogar das beste Album der Musikgeschichte überhaupt. Dabei geht es nicht nur um die Hits "Paranoid Android", "Karma Police" und "No Surprises" - OK Computer ist ein Album, das sich am Stück gehört perfekt entfaltet und problemlos durchgehört werden kann. 


Die Band erlebt ein neues Level an Hype, mit dem die Mitglieder nicht umgehen können. 




Das Burn-out

Von nun an haben die Bandmitglieder verschiedene Vorstellungen davon, wie es mit Radiohead weitergehen soll. Dem Frontsänger selbst wird dabei alles zu viel:

Thom Yorke erkrankt an Depressionen und erleidet eine Schreibblockade.

Nichts geht mehr. Die Notbremse wird gezogen, ehe Radiohead zerbricht: 1998 begeben sich alle Mitglieder in eine Auszeit - die allerdings gar nicht so lange andauert. Schon im nächsten Jahr finden sich Radiohead wieder zusammen um an neuem Material zu arbeiten. Nach 18 Monaten gebären sie schließlich ihr viertes Album Kid A.



Die Konsequenz

Der Klang von Kid A ist elektronischer, experimenteller, dementsprechend gemischt sind die Reaktionen auf das neue Werk. Während sich sowohl Fans als auch Kritiker*innen nach einiger Zeit mehr oder weniger einig sind, dass auch dieses Werk ein ganz, ganz großer Erfolg ist, könnte es Radiohead selbst kaum egaler sein, wie das Album aufgenommen wird. Sie distanzieren sich, veröffentlichen keine einzelnen Singles geschweige denn Videos und geben kaum Interviews. Amnesiac, ein Restealbum mit Songs, die es nicht auf Kid A geschafft haben, folgt 2001.

Radioheads sechstes Studioalbum Hail to the Thief (2003) ist ein Abschiedsalbum.

Quasi. Du erinnerst dich vielleicht: Die Band hat lediglich einen Vertrag für sechs Alben mit EMI abgeschlossen und dieser lief mit Hail to the Thief aus. Das Werk ist tatsächlich ein perfektes Album für einen Schluss - Alternative Rock Elemente aus der Radiohead-Vergangenheit verbinden sich mit den elektronischen und experimentellen Elementen aus der Gegenwart der Band. 

Das folgende In Rainbows ist ein Mittelfinger an die Musikindustrie mit Major Labels und Knebelverträgen.

Radiohead veröffentlichen das Album rein digital und greifen das Pay as You Wish-Prinzip auf - obwohl lediglich 38 Prozent der Downloader*innen durchschnittlich sechs Dollar für In Rainbows zahlten, ist es das bis zu jedem Moment das meistverkaufte Werk der Bandgeschichte. 
Radiohead genießen es, ihre eigenen Chefs zu sein. Das hören wir auf The King of Limbs (2011) ebenso wie auf A Moon Shaped Pool (2016): Die Band lässt sich unmöglich in eine Schublade packen und erfindet sich von Werk zu Werk neu. Hier rockiger, da elektronischer, dort mit einem verdammten Orchester. Wer sind Radiohead? Die größte Band aller Zeiten, wollen wir sagen.



Die Legenden der Musikgeschichte

Vielleicht ist es auch einfach so: Irgendwann hat man es als Band so geschafft, dass es völlig egal ist, was veröffentlicht wird. Thom Yorke könnte wahrscheinlich auch nur ansatzweise rhythmisch ins Mikro pupsen und Fans und Kritiker*innen würden ausflippen.

Es ist unvorstellbar, wie die Musikwelt ohne Radiohead klingen würde.

Jungen Bands ebenso wie den bereits etablierten steht es gut, Radiohead als großen Einfluss zu nennen. Das hilft nicht nur bei der Einordnung für einfältige Musikjournalist*innen ("Die nächsten Radiohead!" hört und liest man leider dezent zu oft), es spart zudem eine menge Zeit: Der Werdegang von Radiohead, also der Misserfolg, der Übererfolg, der Verdruss über den Monoerfolg, der Abriss und das stetige Neuerfinden - harte Arbeit. Warum nicht abkürzen? Hätten all diese Bands außerdem das durchmachen müssen, was Radiohead durchgemacht haben - die Trennungsrate von Musiker*innen wäre ein vielfaches. Und das nützt doch wirklich niemandem etwas.




Noch mehr Legenden der Musikgeschichte findest du in unserer egoFM Hall of Fame.

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