"Es gibt nie genug Sensibilität."

"Es gibt nie genug Sensibilität."

Sensitivity Reader Aşkın-Hayat Doğan im Interview

Das Bewusstsein über sensible Sprache entwickelt sich konstant weiter - auch in der Literatur. Damit dort auf diskriminerungsfreie Sprache geachtet wird, gibt es Sensitivity Reader*innen wie Aşkın-Hayat Doğan.


Das Bewusstsein über Sprache verändert sich konstant

Bevor ein Buch veröffentlicht wird, geht's meistens noch ins Lektorat. Dann liest nochmal eine Person drüber, die schaut, ob alles verständlich ist. Ein Teilbereich kann auch das Sensitivity Reading sein. Was Sensitivity Reader*innen genau machen, weiß Aşkın-Hayat Doğan. Er ist gelernter Übersetzer für Türkisch-Deutsch, hat lange bei Verlagen gearbeitet und ist außerdem Diversity- und Empowerment-Trainer. Seit circa fünf bis sechs Jahren arbeitet er als Sensitivity Reader. Im Interview spricht er über seinen Job und darüber, wie sich unser Bewusstsein über sensible Sprache in den letzten Jahren verändert hat.

"Wenn ich 2018/19 darüber geredet habe oder irgendwann mal mit Sternchen gegendert habe, haben die Leute immer gesagt 'was ist das?' [...] Mittlerweile müssen wir das niemandem mehr erklären, das ist klar, es ist eine Entscheidungssache. [...] Und es ist jetzt nicht mehr die Frage 'was machen Sie da?', sondern 'können Sie uns helfen?'" - Aşkın-Hayat Doğan 

Das ganze Interview kannst du hier hören:

  • Sensitivity Reader Aşkın-Hayat Doğan im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören


Was ist Sensitivity Reading?

Sensitivity Reading, erklärt Aşkın, ist eine Art des Lektorats, bei dem Menschen, die von bestimmten Marginalisierungen betroffen sind, nochmal über bestimmte Texte kucken und überprüfen ob die Repräsentation richtig ist. Außerdem checken sie auch gegen, ob Falschinformationen vorhanden sind oder eben diskriminierende Inhalte. Das können Rassismus, Sexismus, Ableismus sein, aber auch Menschen mit seltenen Erkrankungen oder traumatischen Erfahrungen wie Flucht, häuslicher Gewalt oder Sekten.

"Das sind alles Bereiche, [bei denen] die meisten Menschen zum Glück nicht wissen, wie es ist. Und da dann zu gucken: Schaut doch mal kurz darüber, ist es halt okay so?" - Aşkın-Hayat Doğan 

Sensitivity Reader*innen sind meist also selbst von den Inhalten betroffen, über die sie drüberlesen.

Die Schwerpunkte, die Aşkın als schwuler muslimischer Mann mit türkischer Migrationsgeschichte anbietet, sind unter anderem Queerness mit dem Fokus männliche Homosexualität, antimuslimischer Rassismus, gendersensible Sprache, Islam und Orientalismus.

"Ich habe sehr oft auch Texte, wo muslimische Charaktere vorkommen und auch queere muslimische Charaktere vorkommen, ich hatte halt auch mal so einen schwulen türkischen Astronauten [...]. Selten kommen viele Marginalisierungen die ich selber habe zusammen aber das war zum Beispiel so ein Punkt das sind die Bereiche. Ich würde jetzt zum Beispiel kein Sensitivity Reading machen, wenn es um eine jüdische Person gehen würde oder eine trans Frau, da sage ich, ich bin die falsche Person und empfehle dann Kolleg*innen." - Aşkın-Hayat Doğan

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"Wir haben nicht die Entscheidungsgewalt am Ende was übernommen wird."

Sensitivity Reading ist also eine Dienstleistung, die Autor*innen, Verlage oder Lektor*innen in Anspruch nehmen können. Meistens sind es die zwei letzteren, die damit auf Aşkın zukommen. Er geht dann das Skript durch - die Inhalte sind übrigens nicht nur Bücher, sondern auch Theaterstücke, Positionspapiere, Brettspiele, Opern und so weiter - und kommentiert es. Die Kommentare können dann folgendermaßen aussehen:

"Das Beispiel das ich halt oft gebe ist: da steht dunkelhäutig, [...] das merke ich dann halt an. Ok dunkel im Vergleich zu was [...], da gehen wir von einer Norm aus, die weiß ist und an ihrer Stelle würde ich jetzt das und das machen so das ist jetzt zum Beispiel ein Schwarzer Charakter [...]. Ich arbeite auch viel mit Vergleichen, wo ich sage, ja, schauen Sie sich das mal hier in diesem Buch [an] [und] ich gebe halt sehr sehr oft Erklärungen [...]. Und dann ist meine Arbeit erstmal durch und dann gibt es noch die Möglichkeit, dass die Auftraggebenden bei mir nochmal sich melden können, wenn es das Verständnisprobleme gibt. Ansonsten entscheiden sie selbst, was sie annehmen und nicht." - Aşkın-Hayat Doğan 

Sensibilität wird nie aufhören

In den letzten Jahren hat sich das generelle Bewusstsein über sensible Sprache verstärkt. Das merkt auch Aşkın, nicht nur generell, sondern auch spezifisch in seinem Job als Sensitivity Reader.

"Ich muss weniger erklären, warum Diversität wichtig ist, warum Vielfalt wichtig ist, warum Repräsentation wichtig ist. [...] Wir produzieren Bücher mittlerweile nicht mehr für eine weiße, deutsche, männliche, heterosexuelle, heteronormative Zielgruppe [...], das ist mittlerweile angekommen." - Aşkın-Hayat Doğan 


Für die Zukunft wünscht sich Aşkın Folgendes:

"Ich glaube es gibt nie genug Sensibilität. Also das ist immer so eine Frage, ja wann hört es dann auf, wie kann ich gehen, das wird halt nie aufhören [...] Also ich würde mir wünschen, dass die Angst [der Literaturschaffenden, dass die Lesenden sehen, dass ein*e Sensitivity Reader*in engagiert war] weniger wird. Die wird halt auch generell weniger, aber wir dürfen uns halt auch nichts vormachen- Es geht nicht nur um die Sensitivity Reader*innen, die als Literaturzensur oder Menschen, die halt alles verbieten dargestellt werden - es liegt nicht in unserer Hand [...]. Aber auch Verlage und Autorinnen und Lektor*innen müssen da auch diesen ich bezeichne es bewusst als Kampf, durchstehen und sagen: Hey Leute, wir haben jetzt aber ein Sensitivity Reading und es ist nötig und wichtig." - Aşkın-Hayat Doğan 



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