Wenn man XTC mit nur einem Wort zusammenfassen könnte, wäre das wahrscheinlich: unterschätzt.
Auch 44 Jahre nach Bandgründung hat sich an der Einzelwortbewertung leider irgendwie noch nicht so viel geändert. Wie kommt's aber, dass so eine kreative, originelle Band mit 14 Alben so selten erwähnt wird?
egoFM Hall of Fame: XTC
Musikalische Meilensteine aus der egoPerspektive
Aller Anfang ist schwer...
1970 gründete Andy Partridge, der sich das Gitarrespielen selbst beigebracht hatte, seine erste Band - Stiff Beach. Die Bandmitglieder wechselten ständig durch und Anfang 1972 schloss sich Partridge mit drei neuen Jungs zur Band Star Park zusammen. Auch hier rotierten die Bandmitglieder - wenige Monate später kamen Colin Moulding und Terry Chambers dazu und sie benannten sich in Star Park (Mark II) um. Dabei blieb es allerdings nicht: Nachdem sie 1973 als Vorband für Thin Lizzy gespielt hatten, wechselten sie abermals ihren Namen - in Helium Kidz. Auch der Stil der Band änderte sich, denn Partridge hatte die New York Dolls für sich entdeckt. Er bekam regelrecht einen kreativen Flash, schrieb hunderte Songs für seine "neue" Band und schickte immer wieder Demos zu Decca Records - vorerst ohne Erfolg. Immerhin schrieb der NME einen kleinen Artikel über Helium Kidz. Ansonsten stagnierte die Karriere der ambitionierten Band. Und was macht man, wenn man keinen gewünschten Erfolg einfahren kann? Genau - man wirft wieder alles um und startet neu. 1975 entschlossen sich Helium Kidz ihren musikalischen Stil weiterzuentwickeln. Dreiminütige schnelle Popsongs, die anders klingen als der Rest der Masse. Damit wollten sie sich endlich den Erfolg sichern. Mit neuem Konzept für die Musik musste auch ein neuer Name her - und schon ward XTC (mal wieder neu)geboren. Barry Andrews, der kurze Zeit später als Keyboarder dazu stoß, entwickelte dann zusammen mit Partridge, Moulding und Chambers den einzigartigen Sound, der die Karriere von XTC ins Rollen bringen sollte.
Warten auf den Durchbruch eines bedeutenden "Geheimtipps"
1978 veröffentlichte Virgin Records das Debüt einer noch unbekannten Band: White Music war das erste Album von XTC. Kurz darauf folgte im Oktober schon die zweite Platte, Go 2. Mit neuem Anstrich erschienen XTC somit auf der musikalischen Bildfläche als die Punkwelle in London gerade ihren Höhepunkt erreichte. Und auch der neue Bandname klang irgendwie ein bisschen punkig. Doch so richtig passten XTC nicht in diese Schublade. Ihre neue Musik war zwar laut - aber eben doch melodiös und poetisch. Musikalisch waren sie dem Post-Punk näher - allerdings zu einer Zeit, in der der Punk noch gar nicht zu Ende war. White Music enthält zwar kurze Songs - der längste Track ist mit 5:43 Minuten ein Cover von Dylans "All Along The Watchtower" - dennoch sind ihre Texte nicht politisch genug um Punk zu sein, ihre Musik aus komplexen Rhythmen, Taktwechseln und ungewöhnlichen Akkorden sind zu versiert um cool zu sein. Vielleicht ein erster Hinweis, dass XTC niemals ganz dazu passen sollten.
Neue Besetzung, neues Glück
Auch wenn die ersten beiden Alben von XTC weder komplett zerrissen wurden, noch Chartplatzierungen erlangten, verließ Keyboarder Barry Andrews ein Jahr später die Band. Musikalische Differenzen lautete die offizielle Begründung. An seiner Stelle gesellte sich Dave Gregory zu XTC. Nicht direkt ein Keyboarder-Ersatz, sondern ein musikalisches Multitalent. Und so änderte sich erneut der Stil von XTC - der Sound wurde poppiger und gitarrenlastiger. 1979 begab sich die Band in dieser neuen Konstellation wieder ins Studio und produzierten mit "Life Begins at the Hop" die erste Single, die in den britischen Charts landen konnte. Kurz darauf veröffentlichten sie ihr drittes Album Drums and Wires. Statt Keyboard standen bei dieser Platte die Gitarren und die Drums im Vordergrund. Die einzige Singleauskopplung von diesem Album: "Making Plans for Nigel". Der unverwechselbare Rhythmus basierte auf dem Versuch, die Töne und Akzente von Devos "Satisfaction", ein Rolling Stones-Cover, umgekehrt zu adaptieren. Der Song landete auf Platz 17 der britischen Charts und sorgte letztlich dafür, dass Drums and Wires ein Erfolg wurde und auf Platz 37 der Charts landete.
So langsam schien die gebührende Begeisterung für die Band aufzukeimen und auch bei Live-Auftritten füllten sich die sonst halb leeren Clubs. Virgin wollte einen weiteren Song vom Album als Single im Remix veröffentlichen. Stattdessen entschied sich die Band einen neuen Song, "Wait Till Your Boat Goes Down", herauszubringen. Es war und ist die bis heute am wenigsten verkaufte Single von XTC. Trotzdem konnten die Jungs weiter auf Tour gehen, hatten einige TV-Auftritte und veröffentlichten 1980 ihr nunmehr viertes Studioalbum Black Sea. Einige der Singles dieser Platte schafften es wieder unter die Top 50. Doch der große Knall blieb wieder aus.
Nach der Veröffentlichung von Black Sea tourten XTC durch Australien, Neuseeland und die USA. Dabei waren sie Vorband für The Police. Das erste Mal in großen Stadien, das erste Mal vor tausenden Menschen spielen. Das war für XTC ungewohnt…
Touren ist das A und O?
Wie entdeckst du als Musikliebhaber*in normalerweise Bands und Künstler*innen? Klar, durch ähnliche Musik bei Streamingdiensten, deine Freund*innen (von egoFM) und ganz wichtig - live! Um den Bekanntheitsgrad zu steigern, sind Konzerte für eine Band - insbesondere in Pre-Internetzeiten - unabdingbar. Doch hier lag das Problem. Während der USA-Tour fand Partridges Ehefrau seinen Vorrat an Valium - und spülte ihn kurzerhand die Toilette herunter. Partridge nahm seit er 12 oder 13 Jahre alt war Valium. Der plötzliche Entzug hatte katastrophale Folgen: körperliche Beschwerden, Panikattacken und daraus resultierendes, unheilbares Lampenfieber. Das nahm dermaßen schlimme Züge an, dass XTC ihre Karriere als Live-Band 1982 quasi an den Nagel hängen mussten. Nicht mehr auf Tour gehen? Ein heftiger Schlag.
Bald darauf verließ Drummer Terry Chambers die Band. Er war zu diesem Zeitpunkt das genaue Gegenteil von Partridge: er liebte das Tourleben. XTC existierten von nun an nur noch im Studio. Während die Clubs Anfang der 80er noch gerammelt voll waren, ließen die Fans die Band nach und nach fallen. Trotzdem - XTC blieben am Ball und produzierten zusammen mit Todd Rundgren ihr Album Skylarking. Die Aufnahmen gestalteten sich zwar teilweise etwas schwierig (Rundgren und Partridge waren nicht gerade Best Buddies) doch der Aufwand lohnte sich. Die Single "Dear God" wurde in den College-Radios der USA hoch und runter gespielt. Und auch mit ihrer Single "Grass" trafen sie den Nerv des jungen Publikums - der religionskritische Song wurde in den USA zu einem kontroversen Erfolg. Doch statt Konzerte zu spielen, traten XTC nur noch in Radioshows und TV-Sendungen auf.
Spannung zwischen XTC und ihrem Label
Mit ihren folgenden Platten, Oranges & Lemons und Nonsuch blieb der Erfolg in UK aus und für ihre erfolgreicheren Alben wurden sie verhältnismäßig spärlich vom Label bezahlt, sodass es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen Band und Label kam. War es für eine Band wie XTC aus kommerzieller Sicht überhaupt möglich den Durchbruch zu schaffen? Niemand bei Virgin Records wusste so recht, wie man eine Band, die nicht auf Tour gehen konnte und nicht wirklich in eine Schublade passte, vermarkten sollte. XTC fehlte es seit jeher an einem Image, mit dem man wenigsten über Musikvideos Geld machen konnte. Zusätzlich konnten sie durch ihren ständigen musikalischen Wandel einfach nie in den Mainstream überschwappen. Wegen der Spannungen und des Drucks vom Label ging die Band letztlich in eine musikalische Schaffenspause und veröffentlichten von 1994 bis 1999 keine neue Musik mehr. Songs, die sie während des Streiks schrieben, veröffentlichten sie 1999 ohne Virgin auf dem Album Apple Venus Volume 1. Danach ging jeder der Jungs vorerst seine eigenen Wege. Wasp Star (Apple Venus Volume 2) war 2000 das letzte Studioalbum von XTC.
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