Marika Hackman: Big Sigh

Marika Hackman: Big Sigh

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Ein Album für die Momente wenn die Stille zu laut wird.

Was hört man Montagmorgen im Büro am allerhäufigsten? Den tiefen, gequälten Seufzer.

Wenn die Menschen vor lauter Müdigkeit noch nicht in der Lage sind, ihren Schmerz und ihr Leid in gequälte Sätze zu packen, dann muss eben etwas Nonverbales herhalten – egal obs an der verkalkten Kaffeemaschine liegt oder ob man sich auf dem Weg den kleinen Zeh angestoßen hat.

Aber egal wie der groß die Alltagstristesse im Büro auch sein mag – so groß und schön wie Marika Hackman hat ganz bestimmt noch niemand geseufzt.


Bloß kein Shufflemodus

Der große Seufzer ist natürlich so ziemlich das komplette Gegenteil vom mit pinken Nelken vollgeladenen Pick-Up Truck.... Bitte was? Naja, Big Sigh ist ein grundlegender Gegenentwurf zu unserem letzten Album der Woche.

Hier wird also nicht gleich das Gaspedal voll durchgetreten: Über schummrig einlullende Klaviertöne baut Marika mit ihrer durch Effekte kaum noch erkennbaren Stimme eine ganz eigene Klangweilt auf, aus der man die nächste halbe Stunde auch kaum noch wieder herausfindet. Nach dem leicht schaurigen Beginn wird Big Sigh aber auch deutlich lauter: "No Caffeine" prescht mit einem treibenden Bassgroove nach vorne und der Titeltrack liefert einen epischen, grungig angehauchten Chorus, bevor dann "Blood" wieder wie ein Lagerfeuerlied in einem verwunschenen Geisterhaus anmutet.

Marika Hackman schlägt auf Big Sigh also mehrere Wendungen ein:

Mal klingen die Songs nach handgemachtem Bandsound, dann entführt sie wieder in Welten voller abstrakter Klangflächen, die erst Recht, wenn die sanften Bläserarrangements dazukommen, gerne mal an späte Bon Iver Songs erinnern. Trotzdem klingt Big Sigh niemals unzusammenhängend oder ungewollt chaotisch: Dafür entfaltet der stampfende Refrain in "Slime" seine Wirkung eben noch viel stärker, wenn man kurz davor noch von den "Vitamins" Synthies umschwirrt wurde.

Statt also wie The Vaccines eine Art Best Of Platte voller neuer, für sich alleinstehende Songs abzuliefern, setzt die Sängerin ganz auf das Album.

Big Sigh ist ein sorgfältig durchkonzipiertes Werk, bei dem Marika ganz genau weiß, wann und wie sie mit Tempo und Stimmungen variieren muss, damit die Songs im Kontext sogar noch stärker klingen.


Ächzen und Stöhnen

Das Schöne an Seufzern ist ja, dass sie in so vielen verschiedenen Situationen der perfekte Ausdruck sind: Klar denkt man wahrscheinlich erst mal an Frust oder andere Unbequemlichkeiten. Aber ein Seufzer kann ja zum Beispiel auch Ausdruck von Sehnsucht sein. Genauso ambivalent geht Marika Hackman mit den Emotionen ihrer Platte um. Zwischen herzzerfetzendem Liebeskummer und unverfrorener Lust liegen bei ihr zum Beispiel gerade mal ein paar Minuten. Klar geht die Sängerin wie immer ziemlich schonungslos und direkt mit ihren negativen Emotionen um, trotzdem fühlt sich Big Sigh wahnsinnig kämpferisch an. Hier wird nicht "nur" wehgeklagt, Marika stellt sich mutig ihren Problemen entgegen und auch wenn sie nicht jeden Missstand aus der Welt schaffen kann, fühlt sich das Album wie eine große Befreiung an.

Ein kleiner oder großer Seufzer kann den Tag halt doch ein gutes Stück besser machen.

Tracklist: Marika Hackman - Big Sigh

  1. The Ground
  2. No Caffeine
  3. Big Sigh
  4. Blood
  5. Hanging
  6. The Lonely House
  7. Vitamins
  8. Slime
  9. Please Don't Be So Kind
  10. The Yellow Mile
Big Sigh von Marika Hackman wird am 12. Januar 2024 via Chrysalis Records veröffentlicht.



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