Hiatus Kaiyote: Mood Valiant

Hiatus Kaiyote: Mood Valiant

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Endlich erklärt mal jemand, wie Sex bei Leopardenschnecken funktioniert.

Wenn der erste Chorus von "Chivalry is not Dead" einsetzt, hat man als Hörer*in schon so einiges gelernt:


Zum Beispiel, dass bei Seepferdchen die Männer schwanger werden und die Eier austragen. Und man hört von seltenen Leopardenschnecken, die sich eng umschlungen gegenseitig blaue Spieße in den Leib rammen. Man kann sich also schon denken - hier kommt keine ganz normale Platte auf uns zu:

Hiatus Kaiyote haben mit ihrem dritten Album Mood Valiant mal wieder alle Grenzen gesprengt.



Chaos neu gedacht

Aber immer der Reihe nach: Warum singt da jetzt wer über sich paarende Weichtiere? "Chivalry is not Dead" klingt vielleicht erst beim dritten Hören so, aber eigentlich darf der Song als freche Parodie auf die dezent sexbesessene Popmusik verstanden werden – bei Hiatus Kaiyote geht es dann aber eben nicht um Säugetiere. Wirklich viel Lust auf konventionelle Musik hatten die Australier*innen eben nie:

Hiatus Kaiyote waren schon immer ziemliche Weirdos, aber eben auch verdammt erfolgreiche Weirdos.


Schon das selbstproduzierte Debüt war für den Grammy nominiert, Sängerin Nai Palm hat nicht nur Drake ins Schwärmen gebracht und sogar Musiktitanen wie Kendrick Lamar, Beyoncé und Jay-Z schnappen sich immer wieder Songs der Band als Sample.

Nur logisch also, dass Nai Palm und Kollegen absolut keinen Grund dafür sehen, sich musikalisch einzuschränken. Das führt aber auch dazu, dass man für Mood Valiant ein paar mehr Anläufe braucht, bis die Platte so richtig klickt.

Denn sogar das relativ sanfte Introstück "Sip Into Something Soft"  strotzt nur so vor komplizierten Melodien, vertrackten Schlagzeuggrooves und vielschichtigen Keyboardklängen. "Chivalry Is Not Dead" ist selbst als Popmusikparodie noch komplexer als die gesamten Charts. "Rose Water" führt erst mit Piano Akkorden auf die falsche Fährte, bis der Basslauf den Song zerstückelt und in ganz andere Sphären katapultiert. Eigentlich kaum möglich das Ganze in irgendwelche Genregrenzen zu zwängen, Hiatus Kaiyote sind manchmal Rn’B, manchmal Jazz, meistens genau der richtige Punkt dazwischen.

Die Songs der Band haben selten sowas wie eine klare Struktur: Alles ist konstant im Wandel, jede musikalische Abenteuerreise wird angetreten ohne auch nur eine Sekunde an das Ende zu verschwenden.

Da kann schonmal die Orientierung verloren gehen, aber Hiatus Kaiyote schaffen es trotzdem dem Sound eine unvergleichliche Wärme zu geben, die einem sogar die ein oder andere Irrfahrt verlockend macht.




Euphorischer Befreiungsschlag

Vieles auf Mood Valiant klingt chaotisch, euphorisch und befreit. Aber nicht zuletzt in den ruhigeren Momenten wie zum Beispiel in "Red Room" zeigt die Band noch eine ganz andere Form der Brillanz. Nai Palm besingt hier ihren Rückzugsort und vor allem hier wird auch der düstere Aspekt von Mood Valiant deutlich. Die Bandmitglieder machen keinen Hehl daraus, dass die letzten Jahre alles andere als einfach gewesen sind. Alleine Nai Palm musste sich mit einer lebensbedrohlichen Krebsdiagnose herumschlagen und als sie diesen besiegt hatte, kam auch schon Corona herangeschlittert. Mit dem Albumrelease darf jetzt ihrer Genesung und das (hoffentlich) baldige Ende der Pandemie gefeiert werden

Das übergreifende Thema von Mood Valiant ist also die Überwindung von Krisen aller Art – und Hiatus Kaiyote feiern diese Leistung mit einem chaotisch-euphorischen Befreiungsschlag.

  • Hiatus Kaiyote: Mood Valiant
    Das Album der Woche



Tracklist: Hiatus Kaiyote - Mood Valiant

01 Flight Of The Tiger Lily
02 Sip Into Something Soft
03 Chivalry Is Not Dead
04 And We Go Gentle
05 Get Sun (feaat. Arthur Verocai)
06 All The Words We Don't Say
07 Hush Rattle
08 Rose Water
09 Red Room
10 Sparkle Tape Break Up
11 Stone Or Lavender
12 Blood And Marrow


Mood Valiant von Hiatus Kaiyote wurde am 25. Juni 2021 via Ninja Tune veröffentlicht.

Design ❤ Agentur zwetschke