Vor Problemen wegzulaufen ist ganz schön schwierig, wenn man am liebsten im Kreis läuft.
I’m Back! Oder auch: I’M DOING IT AGAIN BABY
So ein Albumtitel klingt erstmal nach einem selbstbewussten auf die Brusttrommeln - und so von außen betrachtet hätte Marie Ulven eigentlich auch jeglichen Grund dazu. Schon seit den ersten EPs ist girl in red absolute Szenedarling – so sehr, dass die Frage "do you listen to girl in red" in der queeren Community mittlerweile eigentlich für was ganz anderes steht. Mit dem Debütalbum If I Could Make It Go Quiet kam dann der folgerichtige Sprung auf die ganz großen Festivalbühnen und ins Vorprogramm der noch größeren Touren – scheinbar geht alles nur noch weiter nach oben.
Aber eben nur scheinbar: Denn I’M DOING IT AGAIN BABY zeigt eben auch, dass sich sogar bei absoluten Shooting Stars manchmal alles einfach nur im Kreis dreht.
Raus aus dem Schlafzimmer
Marie Ulven ist so ein Mensch, für den das Genre Bedroom Pop erfunden wurde. Schnell und unkompliziert die Gitarre ins Laptopinterface gepackt, enorm persönliche und nachvollziehbare Texte ins Mikrofon gesungen und ins Internet gestellt. Vor allem die queere Szene verschlingt sowieso alles von girl in red und fühlt sich in den Texten so richtig zuhause. Das richtige Debütalbum war allerdings dann schon eine gewisse Neuausrichtung: Für If I Could Make It Go Quiet saß Billie Eilish Produzent und Bruder Finneas auf dem Produzentenstuhl, wahrscheinlich ging die Platte auch deswegen eher so in Richtung "nicht mehr ganz so Bedroom Pop". Und auch I'M DOING IT AGAIN BABY klingt an vielen Stellen mehr nach Festivalmainstage als nach Zimmerschüchternheit.
Für "DOING IT AGAIN BABY" holt die Norwegerin zum Beispiel ernsthaft das Banjo aus dem Gitarrenschrank und man fragt sich dann schon so ein bisschen, wann man zum letzten Mal ein Banjo in einem Popsong gehört hat. "★★★★★" lässt eine düstere Percussionkulisse heraufziehen und für "You Need Me Now?" lässt Marie dann sogar auch noch Disney Channel Star Sabrina Carpenter mit ans Mikrofon. Ganz ignoriert wird die Gitarre aber nicht: "New Love" ist wahrscheinlich der offensichtlichste Hit des Zweitwerks und dieser wird gegen Ende mit ordentlich Gitarrengeschredder versehen.
Vor allem aber ist der allerwichtigste Teil von Maries Musik immer noch da: ihre Texte.
Serotonin bleibt eine Stupid Bitch
Zwei Themen waren eigentlich immer fest in ihren Textzeilen verankert: Der Struggle mit der Liebe und der Struggle mit der mentalen Gesundheit. Und ja, da macht I'M DOING IT AGAIN BABY keine Anstalten, irgendwas daran zu ändern. Im ruhig gehaltenen Opener "I'm Back" geht's gleich mehr als direkt los:
I'm back, I feel like myself / I was gone for a minute 'cause I went to get help / It's not like I wanna die / At least not now, I love being alive
Schnell zeigt sich auch, dass der Albumtitel nicht nur auf girl in reds musikalische Rückkehr anspielt.
Nach dem selbstbewussten quasi Titeltrack kommt mit "Too Much" dann schnell die schüchterne Abrechnung mit der Expartnerin. Und auch "Phantom Pain" und "You Need Me Now" sind Verarbeitungen von Zwischenmenschlichen Geschichten die scheinbar immer wieder im Desaster enden. I'M DOING IT AGAIN BABY erkennt also auch leicht zynisch an, dass man aus manchen Mustern nicht so einfach ausbrechen kann – und girl in red schafft es mal wieder, diese Gefühle perfekt nachvollziehbar zu transportieren.
Kann schon sein, dass girl in red immer weniger nach "Bad Idea" und "I Wanna Be Your Girlfriend" klingt, aber I'M DOING IT AGAIN BABY ist trotzdem unverkennbar girl in red.
Tracklist: girl in red - I'M DOING IT AGAIN BABY
I'm Back
DOING IT AGAIN BABY
Too Much
Phantom Pain
You Need Me Now?
A Night To Remember
Pick Me
Ugly Side
New Love
★★★★★
I'M DOING IT AGAIN BABY wurde am 12. April 2024 via Columbia Records veröffentlicht.
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