egoFM 200 aus 20: Radiohead - In Rainbows

egoFM 200 aus 20: Radiohead - In Rainbows

Das beste Album der letzten 20 Jahre

Diese Platte krempelte die Musikindustrie um und machte Radiohead endgültig zu lebenden Legenden. Applaus für das beste Album der letzten 20 Jahre!

Gibt es gute Gründe, früh aufzustehen?


Am Morgen des 10. Oktobers 2007 gibt es auf jeden Fall einen. Überall auf der Welt sitzen erstaunlich viele Menschen ziemlich verschlafen an ihren Rechnern und drücken auf Play: Denn es ist der Morgen, an dem das neue Radiohead Album erscheint. Und weil schon zu dieser Zeit kein Mensch mehr vor Plattenläden zeltet, hat die Band den Albumrelease einfach in's Internet verschoben und so eine Art virtuelle Zusammenkunft aller Fans orchestriert.

Und als die leicht verschlafenen Menschen endlich auf Start drücken können, bekommen sie nicht nur irgendein Album zu hören – die Platte wird ein genreübergreifender Meilenstein, sie krempelt die Musikindustrie komplett um und definiert unser Verhältnis zu Musik vollkommen neu.

Wir sind uns einig: In Rainbows von Radiohead ist das beste Album der letzten 20 Jahre.


 

Die siebte Schreibblockade

Bevor die Band dieses Meisterwerk abliefern kann, stecken Radiohead aber – schon wieder – in der Krise. Zwar haben die Briten zum ersten Mal keine Label-Verpflichtungen mehr im Nacken, aber die neue Freiheit hat auch ihre Tücken: Ohne Zeitdruck und Deadlines flacht die Motivation der Band ab, die ersten Versuche mit dem neuen Produzenten Spike Stent verlaufen nicht wirklich zufriedenstellend und Sänger Thom Yorke setzt sich gedanklich ab, um an seinem Solodebüt zu arbeiten.

Mal wieder steht die Band vor der Auflösung, aber dafür hatten Radiohead dann doch viel zu viel zusammen durchgemacht. Um die Kreativblockade zu durchbrechen, geht die Band auf Festivaltour – mit halbfertigen Songskizzen. Und plötzlich ist der Funke wieder da: Aus den Familienvätern mittleren Alters werden auf der Bühne wieder spielfreudige, eigensinnige Musiknerds.

Und diese Spielfreude wird der Grundstein von In Rainbows.




Plötzlich gute Laune

Im Vergleich zum melancholisch-depressiven OK Computer und zum paranoid-verstörenden Kid A sprüht In Rainbows schon fast vor Euphorie. Wenn man "Weird Fishes/Arpeggi" hört, klingt es in etwa so als hätte die Band nach langer Suche endlich ihre goldene Mitte gefunden.

Aber auch die neue Komfortzone wird in alle möglichen Richtungen erkundet: Für "Bodysnatchers" werden die Gitarren so laut aufgedreht wie seit alten The Bends Zeiten nicht mehr. "15 Step" bringt die elektronischen Züge der Band mit der rockigen Seite zusammen und "Nude" klingt für Radiohead Verhältnisse fast schon verführerisch romantisch.

Statt der üblichen Beklommenheit deckt In Rainbows sämtliche Emotionen ab: Freude, Sehnsucht, Abschiedsschmerz - und so ziemlich alles dazwischen.


Vor allem der Song "Videotape" zeigt, was In Rainbows so besonders macht. Hinter dem tieftraurigen Song steckt ein versteckter Rhythmus, der sogar Musikprofessoren ziemlich verwirrt. Trotzdem muss man aber keine elf Semester Musiktheorie studiert haben, um den Sound genießen zu können: Das Album hat genauso viele simple Ideen, die alle Hörer*innen schnell in ihren Bann ziehen – die komplizierten Spielereien führen aber dazu, dass man 13 Jahre später immer noch gern in In Rainbows eintaucht.

Die Kombination aus berührendem Songwriting und komplexen Klangstrukturen haben Radiohead nie besser hinbekommen als bei In Rainbows.



Und plötzlich ist alles anders

Eine Woche vor dem Release erwähnt Jonny Greenwood fast schon beiläufig dass In Rainbows überhaupt existiert. Das Album schlägt trotzdem (oder gerade deswegen) mit einer Wucht ein: Schnell ist man sich sicher, dass Radiohead hier ihr drittes großes Meisterwerk abgeliefert haben.

Auch Popstars wie Miley Cyrus oder Lorde sind begeistert. Sogar Kanye West sieht die Oxforder Band damals in einer Liga mit sich selbst... Kann es ein größeres Kompliment geben? Und sogar Radiohead Fans, die sich ja sonst über wirklich jeden Blödsinn streiten können, finden bei In Rainbows dann doch noch irgendwie zusammen.

Fast noch revolutionärer als das Album ist aber, wie es auf den Markt kommt: Erstmal nur digital und man zahlt, wie viel man will.


Radiohead kassieren viel Lob, aber auch viel Kritik für diesen kontroversen Schachzug. Und doch haben Band und Album damit einiges losgetreten: Überraschende Releases ohne große Vorankündigung werden immer häufiger und viele Bands haben sich alternative Wege gesucht, um ihre Musik unter die Leute zu bringen. So ist In Rainbows nicht nur musikalisch absolut meisterhaft – es hat auch die Spielregeln der Musikindustrie umgeschrieben.

Natürlich kann es kein allgemeingültiges bestes Album geben, schließlich hat jede*r seine*ihre ganz eigene Liebe zur Musik. Aber In Rainbows von Radiohead hätte diesen Titel - finden wir - auf jeden Fall verdient.

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