Y wie Yin Yang

Y wie Yin Yang

egos4future - Von A bis Z

Jeder Buchstabe ein Thema: Wir fassen die Basics zu Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit zusammen. Diese Woche Y wie Yin und Yang - Gleichgewicht und Balance.

Alles im Gleichgewicht

Stell dir einmal ein dünnes Holzbrett vor, das auf einem Gelenk liegt - also eine kleine Waage. Auf dieser Waage liegen viele kleine Steinchen. Die Gesamtheit und exakte Position dieser Steinchen bringen die Waage dazu, ganz gerade zu sein - in totaler Balance. Dann stell dir vor, wie diese Waage auf einer etwas größeren Waage steht, zusammen mit vielen weiteren Waagen, weswegen die etwas größere Waage ebenfalls ausgeglichen ruht. Und jetzt denk das ganze noch mal eine Ebene weiter und stell dir vor, wie dieses ganze Konstrukt aus Waagen und Waagen wieder auf einer Waage mit Konstrukten aus Waagen und Waagen steht und überall sind nur noch Waagen und du siehst überhaupt nicht mehr die einzelnen Steinchen vor lauter Waagen, aber das ist auch erst mal egal, immerhin geht es um das große Ganze und das ist: in Balance. In purer Ausgeglichenheit.
So. Und jetzt stell dir mal vor, du würdest von der kleinsten Waage das kleinste Steinchen nehmen. Was passiert? Jep - eine riesen Sauerei, immerhin bricht alles auseinander mit zunehmender Geschwindigkeit und Gewalt. Das Gleichgewicht des ganzen Gefüges ist hinüber. Natürlich kann man's wieder aufbauen, aber das braucht Zeit und es ist nicht gegeben, dass alle Bausteinchen auffindbar sind - manche werden dann halt ausgetauscht werden müssen. 

Genau das droht unserem Ökosystem. Quasi. Ziemlich vereinfacht ausgedrückt. Denn auch wenn man das irgendwann irgendwie hinnimmt, dass Wasser auf unserem Planeten fließt, Wolken ziehen und Pflanzen wachsen, ist es nicht selbstverständlich. Jede vermeintliche Kleinigkeit hat Einfluss auf was Größeres und das ist - wenn man das mal eben so sagen darf - ein verdammtes Wunder. Aber eines, das sich wissenschaftlich zumindest ansatzweise erklären lässt.

Alles kippt

aka: Der Point of no Return

Wie du es in der ein oder anderen Diskussion der letzten Jahre sicherlich schon mitbekommen hast, wird unser Planet immer wärmer. In den letzten 100 Jahren stieg die Durchschnittstemperatur ungefähr um 1,1 Grad Celsius. Der Weltklimarat IPCC warnt bereits vor irreversiblen und unkontrollierbaren Folgen bei einer Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad. Aktuell steuern wir auf eine Erwärmung von drei Grad zu. Diese Marke zu knacken würde laut Wissenschaftler*innen den Point of no Return bedeuten, also den Zeitpunkt, an dem eine Rückkehr zum Ausgangspunkt nicht mehr möglich ist, weil durch bestimmte Kippmomente eine unaufhaltsame Kettenreaktion in Gang gesetzt wurde. 

Bereits in unserem ersten Artikel aus dem egoFM Nachhaltigkeits-ABC, "A wie Apokalypse", sind wir auf den Kippmoment eingegangen. Dort findest du das Ganze auch noch mal näher erklärt, jetzt fassen wir einfach nur mal zusammen.

Würden wir die 2-Grad-Erderwärmungsmarke erreichen, könnten unter anderem diese Kippmomente eintreten:

  1. Die Permafrostböden tauen - dadurch würden Unmengen (mehrere Milliarden Tonnen) an Kohlenstoff freigesetzt werden. Das würde wie ein Katalysator auf die Erderwärmung wirken und diese extrem beschleunigen, wodurch noch mehr Permafrostböden auftauchen und noch mehr Tonnen freigesetzt werden und so weiter.
  2. Die Pole schmelzen. Heißt: Schnee und Eis schmelzen. Schnee und Eis sind weiß. Weiß reflektiert. Sonnenstrahlen. Würden diese nicht mehr dort abprallen und zurück ins All geleitet werden, würden sie auf dem dunklen Meer landen und dort verschluckt werden. Dadurch wärmt sich das Wasser auf. Wodurch noch mehr Schnee und Eis schmilzt. Weswegen letztlich die Meeresspiegel steigen. 
  3. Regenwälder werden zur Savanne wegen Dürre, Bränden und Abholzung. In jedem Baum ist Kohlenstoff gespeichert, der in die Atmosphäre gelangt, wenn er verbrennt. Zudem verdunstet über die Blätter der Bäume Wasser, das so in die Luft gelangt und damit auch Einfluss auf das Wetter hat. Weniger Bäume = weniger Luftfeuchtigkeit = weniger Regen = mehr Trockenheit = mehr Brände = mehr Freisetzung von Kohlenstoffdioxid.
  4. Die Meere erwärmen sich. Durch die steigenden Wassertemperaturen werden Methanhydrate - also in Eis eingeschlossenes Methan - freigesetzt. Methan ist um einiges klimaschädlicher als CO2.
  5. Sauerstoffschwund der Meere. Durch Wassererwärmung sterben Algen. Algen binden CO2. Gibt es weniger Algen, gibt es weniger Sauerstoff.
  6. Der Golfstrom wird langsamer/versiegt komplett. Normalerweise kühlt sich das salzhaltige Wasser vor Grönland ab, sinkt auf die Tiefe und und zieht wärmeres Wasser aus der Karibik nach sich. Das geschmolzene Süßwasser ist allerdings leichter als Salzwasser und schwimmt deswegen an der Meeresoberfläche, wodurch es Tiefenwasserbildung und ein Nachziehen von Karibikwasser verhindert. So könnte der Golfstrom langsamer werden, bis er schließlich versiegt. Das hätte extreme Folgen: Denn normalerweise leitet der Golfstrom warmes Wasser von Süden nach Norden und gibt dort die Wärme an die kühle Luft ab. Käme der Golfstrom zum Stehen, hätten wir eine Eiszeit.

Einer dieser Kipppunkte droht dem Amazonas Regenwald

Nach einer Untersuchung der University of Exeter, des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung und der TU München steht der Amazonas jetzt kurz vor dem Punkt, an dem der Übergang vom Regenwald zur Savanne unumgänglich ist. Forschende schauten sich dazu diverse Anzeichen der Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit des Regenwaldes an - wie gut konnte sich der Amazonas von Events wie Dürren und Feuern wieder erholen? Das Ergebnis: immer schlechter. Die Resilienz des Waldes hat in mehr als Dreivierteln des Regenwaldes seit Anfang der 00er-Jahre konstant abgenommen. Folglich kann er sich viel langsamer von Dürren beispielsweise erholen als noch vor 20 Jahren. Deswegen gehen die Expert*innen davon aus, der Amazonas könnte kurz vor dem Kipppunkt stehen.

"Experts believe the Amazon could soon reach a tipping point, crossing of which would trigger dieback and turn much of the forest to savannah, with major impacts on biodiversity, global carbon storage and climate change." - heißt es in der Zusammenfassung der Studie.

Die Forschenden der University of Exeter sind sich zwar sicher, dass es schlecht um den Amazonas steht. Doch sagen, wie knapp er vorm Kipppunkt steht, können sie nicht genau. Wenn 20 bis 25 Prozent des Waldes gerodet werden, könnte die Kettenreaktion ausgelöst werden, die schließlich im Zustand der Savanne endet.

"The Amazon rainforest is a highly complex system, so it's very difficult to predict if and when a tipping point could be reached," - Chris Boulton von der University of Exeter.

Gründe für die sinkende Regenerationskraft des Regenwaldes sehen die Forscher*innen eindeutig beim Klimawandel und der massiven Waldrodungen (die zu einem großen Teil übrigens auf den Anbau von Nahrung für Schlachttiere zurückzuführen ist). So werden Dürreperioden länger und heftiger und das Risiko für Waldbrände höher.

Die Amazonas Konferenz

Zum ersten Mal seit 14 Jahren haben sich Vertreter*innen der Amazonasländer dazu in Brasilien zu einem Gipfel getroffen um über eine bessere Zusammenarbeit beim Schutz des Amazonasgebiet und damit dem Klimaschutz zu beraten. Der brasilianische Präsident Lula Da Silva sagte dieses Treffen sei nie dringender als jetzt gewesen. Zwar gab es diese Woche auch Meldungen, dass die Abholzung des Regenwaldes im brasilianischen Gebiet, seit Lula da Silva in Brasilien regiert, deutlich zurückgegangen ist. Aber das hilft natürlich nicht viel, wenn es in den anderen Amazonas Staaten nicht so gut läuft. 

Der Amazonas Gipfel sollte auch eine Vorbereitung auf die UN Klimakonferenz in wenigen Wochen in Dubai sein, doch zum Ende des Gipfeltreffens gab es wenig konkrete Ergebnisse, der von Brasilien geforderte Abholzungsstopp bis 2030 kam nicht ins Abschlussdokument, die Festsetzung konkreter Abholzungsziele bleibt wie bisher jedem Land selbst überlassen. Auch auf eine Drosselung der Förderung von Kohle, Öl und Gas im Amazonasgebiet konnten sich die Amazonas Staaten nicht einigen. Das finden viele Umweltorganisationen eine echte Enttäuschung. Der WWF kritisiert zudem unter anderem, dass es überhaupt 14 Jahre gedauert hat, bis die Amazonasländer so ein Gipfeltreffen zustande gebracht haben.

Der Verlust dieses Regenwaldes, der Luft für die komplette Erde spendet, für ausreichend Regen in Südamerika sorgt und Unmengen von Pflanzen- und Tierarten beherbergt, hätte enorme Auswirkungen auf das Ökosystem der Erde. Um den Regenwald zu retten, muss streng in diesen Vorgang der Abholzung eingegriffen werden.



Wie die Tier- und Pflanzenwelt außer Balance gerät

Die Erderwärmung betrifft nicht nur indirekt über die Auswirkungen auf Meere und Regenwälder das Leben auf der Erde, sondern auch direkt Flora und Fauna.

Wie genau die Pflanzen- und Tierwelt davon betroffen ist, zeigt jetzt ein Bericht der Umweltstiftung WWF.

"Feeling the Heat" heißt der und analysiert darin 13 Tier- und Pflanzenarten, zum Beispiel den Kuckuck oder die Hummel.

Hummeln sind in Deutschland tatsächlich seltener geworden, weil sie in die Alpen in kühlere Höhen ausgewichen sind. Und der Kuckuck, der kommt immer später aus seinem Winterquartier zurück. Das wird ihm deshalb zum Verhängnis, weil er seine Eier in fremden Nestern von sogenannten Wirtsvögeln ausbrüten lässt. Die kommen wegen steigender Temperaturen aber früher zurück als er und fangen dementsprechend früher an zu brüten. Wenn der Kuckuck dann später kommt, findet er deswegen kein Nest mehr und muss bis zur nächsten Brut warten. Deshalb wird er seltener.

Auch bei Pflanzenarten und unseren Wäldern hat der Klimawandel natürlich einen extremen Einfluss. Der Geobotaniker Professor Dr. Helge Bruelheide hat dafür ein ziemlich heftiges Beispiel:
"Ich denke, wir haben das ganz ganz deutlich gesehen im trockenen Sommer 2018, wo wir vielerorts absterbende Bäume hatten. Und wir hatten in diesem Jahr 2018 nur 350 Millimeter Niederschlag. Also 350 Liter Wasser pro Quadratmeter. Als Vegetationskundler weiß ich, dass weltweit Wälder nur dort existieren können, wo wir mindestens 300 Millimeter haben. Wenn sich solche Jahre wiederholen, müssen wir davon ausgehen, dass wir die Wälder zumindest in der Ebene, also wo es nicht noch mehr regnet und außerhalb der Flussauen, verlieren werden. Und das finde ich schon dramatisch."
Dramatisch ist, dass die Klimakrise eben bereits jetzt die Tier- und Pflanzenwelt auf allen Kontinenten verändert. Und das, obwohl die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde seit der industriellen Revolution erst um 1 Grad Celsius gestiegen ist, sagt der WWF. Wenn es 2 Grad werden, dann gehen laut dem Bericht auch mehr als 99 Prozent der Korallen verloren. Was wiederum zu einer weiteren Kettenreaktion führt - Korallenriffe und Seegraswiesen haben einen riesigen physikalischen und ökologischen Einfluss auf unsere Erde. Aufgrund ihrer Artenvielfalt und ihrer Möglichkeit, CO2 zu speichern, spricht man auch vom "Regenwald der Meere". Ein Hektar Seegras kann ungefähr so viel CO2 aufnehmen wie zehn Hektar Wald und mehr als ein Viertel aller marinen Organismen sind laut Forscher*innen in Korallenriffen zuhause.



Es geht um uns, nicht um den Planeten

Das Bewusstsein für das Gleichgewicht der Natur sollte eines unserer größten Anliegen sein - immerhin hängen wir da mittendrin. Selbst wenn erst mal alles Leben aus dem Gleichgewicht gerät und viele Wesen dabei aussterben - die Erde an sich wird ziemlich wahrscheinlich weiter existieren und mit der Zeit wieder ins Gleichgewicht kommen und dann auch wieder neues Leben schaffen. Nur halt wahrscheinlich ohne uns. Deswegen sollte es uns Menschen ein viel größeres Anliegen sein, diesen vielen Kipppunkten entgegenzuwirken und Druck auf die Politik zu machen, dass alles Erdenkliche dafür getan wird, die 1,5 Grad Celsisus-Grenze vom Pariser Klimaabkommen zu wahren. Um die steht es gerade nämlich ziemlich düster - ob sie noch eingehalten werden kann, ist unklar, das steht unter anderem auch im aktuellen Weltklimabericht, der letzte Woche rauskam.

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