"Wir hatten ja nischt" - Babette Conrady zu Gast bei Elise

"Wir hatten ja nischt" - Babette Conrady zu Gast bei Elise

Das Interview zum Nachhören

Broiler, Schrippe und Pfeffi - Babette Conrady ist DJ, Moderatorin und eine waschechte Berliner Perle. Im Interview mit Elise hat sie über ihre Kindheit in der DDR, Ostalgie und den Mauerfall gesprochen.

Wie war das eigentlich damals, Babette?

"In Berlin gab's halt alles und im Umland nichts, deshalb haben wir teilweise mit unseren Bekannten und Verwandten in einer Zweiraumwohnung zu sechst gelebt. Das klingt jetzt ganz dramatisch - aber so dramatisch war's nicht, es war eigentlich immer recht gesellig." - Babette
Babette Conrady ist DJ und Moderatorin und born and raised in Berlin. Eines der ersten Dinge, die Babette auf Elises Frage nach ihrer Kindheit sofort einfällt, ist die Wärme und der familiäre Zusammenhalt. Trotz grauer Häuser und mangelndem Luxus. Denn was man an Dingen nicht hatte, wurde mit Nächstenliebe wettgemacht.

Und wenn den Menschen in der DDR etwas fehlte, wie Bücher und Schallplatten zum Beispiel, so Babette, konnte man sich mit vereinten Kräften immer aushelfen:

"Die Leute haben dann eben mehr getauscht - und wenn du tauscht, kommunizierst du natürlich viel mehr." - Babette
Und das sorgt für eine ganz besondere Art Zusammenhalt.

Ostdeutsche Konsumträume

Teilweise konnte Babette aber schon vor dem Mauerfall in den Genuss verschiedener Spielzeuge und Süßigkeiten des Westen kommen, denn Rentner durften einmal im Jahr für höchstens vier Wochen in die Bundesrepublik und nach West-Berlin reisen, um dort Verwandte und Freund*innen zu besuchen. Klar, dass da die Koffer von Babettes Oma regelmäßig mit Haribo, Duplo oder Kinderüberraschung aus allen Nähten platzten.
"Die Ossis haben ja den ganzen Konsum vom Westen betrachten können. Klar wollten die das auch alles mal probieren. Die Werbung hat da ihre Wirkung nicht verfehlt." - Babette 
Was Babette jedoch leider trotz Kinderträumen nie ihr Eigen nennen konnte, war ein Wauzi. Ja genau - ein waschechter Wauzi. Für alle, die erst in den 90ern oder später geboren wurden, waren wir so lieb und haben nochmal die Werbung aus den 80ern rausgekramt. Achtung, für Leute, die schnell Ohrwürmer bekommen, besteht Triggergefahr.



Die Mini-Playback-Show und die Ossi-Mode

Babette ist heute ein erfolgreicher und authentischer Bestandteil der Medien- und Musikwelt.

Aber schon vor ihrer Moderationslaufbahn war Babette mal im Fernsehen zu sehen - denn ihre Karriere startete schon früh, mitten zu DDR-Zeiten: Als erste Ostdeutsche in der Mini-Playback-Show.

Und das ganz ohne zu wissen, was man als beginnender Star der Show so treiben musste:
"Die haben da diese Flyer mit 'Mini-Playback-Show' in der Schule verteilt, doch der Haken war, dass wir zuhause kein RTL hatten und ich gar nicht wusste, was das ist. Aber ich hab gern getanzt. Mein Song war Janet Jackson mit "Rhythm Nation", weil ich schon immer Uniformen toll fand. Da wir aber keinen Videorecorder hatten, musste ich immer warten, bis das Video im Fernsehen kommt und dann so viel wie möglich von der Choreo aufsaugen." - Babette
Als sie dann mit ihrer Familie zum Drehort nach Aalsmeer in die Niederlande gefahren sind - schick eingekleidet in neuen Klamotten - waren sie sehr verwundert, dass sie von jedem direkt als Ossi identifiziert wurden.
"Wir fanden uns vollkommen normal, also so Wessi-mäßig. Aber wenn man sich das so überlegt: Ich war von oben bis unten in Mamor-Wash, meine Mutter hatte eine Pudel-Dauerwelle, mein Vater einen Schnauzer und einen Lederblouson. Also die Ossis hatten schon eine bestimmte Modelinie, dass man sie eben überall erkannt hat." - Babette



Das Ostphänomen Depeche Mode

Jede Band, die aus der DDR hervorging, wurde vom Staat kontrolliert. Und wollte man sagen, was man zu sagen hatte, mussten die Texte deshalb oft recht metaphernreich sein. Einige Künstler*innen schafften es dabei, direkt an den ostdeutschen Bedürfnissen und Bewegungen anzuknüpfen, die Menschen in der DDR abzuholen und als echte Gesellschaftsphänomene große Wellen zu schlagen. Sowohl "DDR-eigene" Bands als auch natürlich einige internationale Musikgrößen beeinflussten die ostdeutsche Gesellschaft in ihrer Ungewissheit bis hin zum Tatendrang enorm.

Die Band, die Babette und viele andere Kinder aus der DDR wohl mit am meisten fasziniert und beeinflusst hat, war Depeche Mode.

Sie war tatsächlich eine der wenigen internationalen Bands, die überhaupt im Osten ein Konzert geben durften. Auch Babettes Zimmer war mit Postern der Band und besonders des Frontmanns Dave Gahan tapeziert.
"Ich glaube, dass es bei den Kids zu dieser Zeit eine krasse Identitätssuche gab. Sie wollten anders aussehen und wollten auch keine Uniform mehr tragen. Depeche Mode hat diesen Zeitgeist von diesen Kindern, die sich nicht verstanden gefühlt haben, total aufgegriffen." - Babette

Während sich Depeche Mode über Jahrzehnte als internationale Stars hielten, konnte ein Großteil der Bands, die der DDR entsprungen waren, nach dem Mauerfall aber nicht mehr an die Erfolge von früher anknüpfen. Viele der Ostdeutschen hatten Durst nach neuer Musik und wollten Altes hinter sich lassen. 

Nach der Wende fluorierte dann eher besonders die Technoszene. Legale und auch illegale Clubs und Bars sprießten wie Pilze aus dem Boden - Babette mittendrin.

 "Nach dem Mauerfall herrschte auf einmal ein wahnsinniger Wohnungsleerstand, weil viele in den Westen gezogen sind. Die komplette Künstlerszene konnte sich in den leeren Räumen ausbreiten und Raves veranstalten." - Babette



Mauerfall vorm Fernseher und Coca-Cola

Und dann kam es tatsächlich zu diesem einen Moment, mit dem viele gar nicht mehr rechneten. Elise kann sich noch an "I've Been Looking For Freedom" beim Mauerfall erinnern, Babette war vor Ort - theoretisch zumindest.
"Meine Eltern waren da gar nicht so dahinter. Die haben gesagt 'erstmal abwarten' und haben den Mauerfall vorm Fernseher verfolgt." - Babette
Am Tag nach dem Mauerfall ist die zehnjährige Babette dann mit ihrem Yorkshire Terrier durchs Viertel spazieren gegangen und war ziemlich irritiert von den leergefegten Straßen. Nach dem ersten Andrang haben Babette und ihre Familie auch den Schritt in den Westen gewagt und sind in den 100er Bus eingestiegen.

Der Bus, der komplett durch Berlin fährt. Dort hat sie auch den ersten Geschmack der Freiheit testen können:

"Wir sind dann klischeemäßig mit dem 100er und mit der Coca-Cola Dose in der Hand zum Kudamm, also in den Westteil der Stadt gefahren. Das war meine erste Coca-Cola." Babette



Die schöne Ostalgie

Ein paar Jährchen später, 2015, hat sie unseren egoModerator Marcus Kavka geheiratet und beide leben auch heute noch in Berlin. Trotz dem ganzen ständigen Wandel der Stadt, der nicht immer nur positive Auswirkungen für sie hatte und noch hat, kommt eine andere Stadt für beide nicht in Frage. Ein Lieblingsstück, was Babette auch heute noch immer an ihre Kindheit und die DDR erinnert, ist der Plattenspieler, den sich ihre Eltern mit ihrem Ersparten zugelegt hatten und jetzt bei ihr zuhause stehen darf.
"Die Grundversorgung, wie Essen und Miete, waren in der DDR wahnsinnig billig, aber technische Dinge, wie ein Fernseher oder eben ein Plattenspieler, waren exorbitant teuer. Meine Eltern haben im Monat 500 Ostmark verdient. Die Miete betrug circa 20 Mark, das Brot kostete ein paar Pfennig und ein Plattenspieler einfach mal 1000 Mark." - Babette

Der Plattenspieler im 70er Jahre-Chic ist noch voll funktionsfähig und Babette hält ihn in Ehren, weil er sie an früher erinnert.
"Wir hatten zwar nischt, aber es war trotzdem schön." - Babette



Du bist auch in der DDR aufgewachsen und hast eine ostalgische Geschichte zu erzählen?

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