Wie Twitter über Wahlen spricht

Wie Twitter über Wahlen spricht

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Prof. Dr. Jasmin Riedl

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Sabrina Luttenberger (Artikel)
Welchen Einfluss hat Twitter auf die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen? Das Projekt SPARTA untersucht die Stimmung auf der Plattform.


Stimmung vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen auf Twitter

Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ist in der heißen Phase – am Sonntag, den 15. Mai, wird dort ein neuer Landtag gewählt. Was Menschen kurz vor der Wahl beschäftigt, wird natürlich auch fleißig getwittert. Diese Tweets untersucht Prof. Dr. Jasmin Riedl, Politikwissenschaftlerin an der Universität der Bundeswehr München, mit dem Projekt SPARTA. Wie die Stimmung gegenüber den Kandidat*innen und Parteien ist und ob sie repräsentativ für die Bevölkerung ist, darüber spricht sie mit egoFM Gloria.
  • Prof. Dr. Jasmin Riedl im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören


Echtzeit-Analyse

Seit Anfang April untersuchen Forscher*innen zusammen mit Prof. Dr. Jasmin Riedl Tweets zur Landtagswahl in NRW mit dem Echtzeit-Analyse Tool SPARTA (Society, Politics and Risk With Twitter Analysis). Sie analysieren unter anderem, wie auf Twitter über Parteien und Spitzenkandidat*innen gesprochen wird, ob positiv, negativ oder neutral, aber auch, was die Twittersphere in Bezug auf den Wahlkampf bewegt. Außerdem schaut sich SPARTA an, worüber die Parteien und Spitzenkandidat*innen hinsichtlich des Wahlkampfs selbst twittern.

Direkte Verbindung zu den Wähler*innen

Die Parteien und Kandidat*innen, die selbst auch auf der Plattform unterschiedlich stark aktiv sind, schöpfen aus Twitter einen klaren Vorteil: Sie können ihre Wähler*innen aktiv direkt erreichen, ohne dass eine redaktionelle Barriere von Journalist*innen dazwischen geschaltet ist. Das sei ein großer Vorteil für die Parteien, meint die Politikwissenschaftlerin.

Aber: Kein repräsentativer Querschnitt

Auch wenn Twitter-Nutzer*innen breit gestreut sind und das Medium politische Akteur*innen, Medienakteur*innen und eine breite interessierte Öffentlichkeit vereint, müsse man sich darüber bewusst sein, dass es keinesfalls ein repräsentativer Querschnitt der Gesamtbevölkerung ist. Bei klassischen Umfragen, wie der Sonntagsfrage, gibt es mehr Möglichkeiten für repräsentativere Stichproben. Was SPARTA allerdings kann, ist ein unmittelbares "Nowcasting", also eine Gegenwartsvorhersage.
"Wir können mit unseren Analysen sehen, was ist jetzt Thema, was bewegt die Menschen jetzt? […] Und Sonntagsumfragen sind im gewissen Sinne immer historische Informationen. […] Das können wir ein bisschen kompensieren. […] Wir wissen ja auch, dass die politischen Debatten sehr schnelllebig sind, sensationalistisch, personalisiert und das ist einfach ein Aspekt, den wir mit unseren Analysen ein bisschen besser abbilden können." – Prof. Dr. Jasmin Riedl

Für das Projekt SPARTA erkennt und analysiert eine künstliche Intelligenz die Themen, die besonders heiß diskutiert werden.

Laut Prof. Dr. Jasmin Riedl sind das natürlich auch der Angriffskrieg Russlands in Ukraine und in diesem Zusammenhang beispielsweise energiepolitische Fragen. Aber auch landespolitische Themen wie Bildungspolitik oder innere Sicherheit bewegen die Nutzer*innen. Kurz vor einem TV-Duell zwischen Hendrik Wüst (CDU) und Thomas Kutschaty (SPD), zwei der Spitzenkandidaten, waren zum Beispiel vor allem Bildung, Covid-19, internationale Angelegenheiten, sowie die innere und äußere Sicherheit wichtig für die User*innen.


Wie ist die Stimmung gegenüber den Parteien?

Neben diskutierten Themen erkennt die KI auch, ob ein Tweet positiv oder negativ ist. Tendenziell sei die Stimmung eher negativ. Das liegt an dem Medium an sich und bestimmten Ausdrucksweisen, die schneller von der Hand gingen:
"Es fällt den Menschen leichter, zu schimpfen, zu klagen und sich zu ärgern und das eben auch auf Twitter dann kundzutun und entsprechend ist die Stimmung tendenziell eher negativ auf Twitter." – Prof. Dr. Jasmin Riedl

Einfluss von Social Media auf Wahlen – eine Gefahr?

Dass Algorithmen dazu neigen, negative Inhalte oder Inhalte, die negative Reaktionen hervorrufen, eher zu pushen, das ist bereits bekannt. Der Einfluss von Social Media auf Wahlen wird deshalb auch schon länger mit Sorge beobachtet. Dass negative Stimmung Reichweite erzielt, das sehen die Forscher*innen bei dem Projekt SPARTA ebenfalls. Was bedeutet das für die Wahlen? Ist das eine Gefahr für die Demokratie? Dazu sagt Prof. Dr. Jasmin Riedl Folgendes:
"Grundsätzlich: Ja man muss sich sehr wohl darüber im Klaren sein, dass es eine algorithmische Kuratierung gibt, die dafür sorgt, dass bestimmte Themen stärker nach oben gepusht werden […] und, dass, wenn immer besonders negativ über Kandidierende gesprochen wird, dass das auch einen Spillover-Effekt haben kann, von den Onlineplattformen auf den Offlinebereich." – Prof. Dr. Jasmin Riedl

Stimmungsübertragung auf die Offlinewelt

Ein Beispiel für einen Spillover-Effekt ist der ehemalige Kanzlerkandidat Armin Laschet, der vor der Bundestagswahl ins von der Flut betroffene Ahrtal reiste. Während einer Rede von Bundespräsident Steinmeier lachte er im Hintergrund - die Videos dazu verbreiteten sich innerhalb von Minuten auf Twitter und riefen sowohl online als auch in der physischen Welt empörte Reaktionen hervor. Die Umfragewerte der CDU, die bis dahin klar geführt hatte, brachen ein und erholten sich nicht wieder. Was es laut der Politikwissenschaftlerin aber nicht gibt, sind unmittelbare Entscheidungen für die Wahl. Einen Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung bei Wähler*innen können bestimmte Inhalte aber trotzdem haben, sagt Prof. Dr. Jasmin Riedl.

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Bild: Jasmin Riedl| Patricia C Lucas Photography

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