Wie gefährdet sind Demokratien weltweit?

Wie gefährdet sind Demokratien weltweit?

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Julian Müller-Kaler

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Der russische Angriffskrieg in Ukraine, Umsturzpläne von Reichsbürger*innen, Randale nach der Wahl in Brasilien - sind Demokratien weltweit in Gefahr?

Julian Müller-Kaler von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hat mit egoFM Gloria darüber gesprochen, wie es um die westlichen Demokratien steht und was getan werden muss, um antidemokratischen Tendenzen entgegenzuwirken.
  • Julian Müller-Kale im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören


Angriffe auf die Demokratie

Am 8. Januar 2023 stürmten radikale Anhänger*innen des früheren Präsidenten Jair Bolsonaro das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Brasília. Das Ereignis erinnert viele sofort an den Sturm auf das Kapitol in Washington im Januar 2021. Beide Male wurden die Ergebnisse einer vorausgegangenen Wahl von radikalen Anhänger*innen der Wahlverlierer und von diesen selbst - in den USA Donald Trump, in Brasilien Jair Bolsonaro - nicht anerkannt.
"Interessanterweise sind diese populistischen Nationalisten ja immer sehr auf nationale Autonomie bestimmt, tauschen sich aber international extrem gut aus." - Julian Müller-Kaler 

Steve Bannon, Chefstratege von Donald Trumps Wahlkampf, soll beispielsweise mit Bolsonaro-Anhänger*innen in Kontakt gestanden haben. Es gibt allerdings auch Unterschiede, betont Julian Müller-Kaler: In Washington handelte es sich um einen Putschversuch, in Brasília mehr um einen Angriff auf die politischen Institutionen, weniger auf Personen. Als Angriff auf die Demokratie kann allerdings beides betrachtet werden.


Was konkret die zentralen Merkmale einer Demokratie sind, haben wir kurz und verständlich hier im egoFM Reflexikon zusammengefasst.


Julian Müller-Kaler hält es für eine reale Gefahr, dass Ereignisse wie in Washington oder Brasília auch in Europa stattfinden werden. Aktionen wie diese sind seiner Meinung nach aber viel mehr Symptome und nicht Ursachen von Problemen der westlichen Demokratien.
"Ich glaube aber es ist auch ganz wichtig zu verstehen, dass das keinesfalls Phänomene sui generis [einzigartig in ihren Charakteristika] sind, sondern vielmehr Symptome eines gesellschaftlichen Eskalationsprozesses in diesen Demokratien, die die Grundpfeiler des demokratischen Zusammenlebens ganz allgemein infrage stellen." - Julian Müller-Kaler 


Dass Demokratien weltweit in Gefahr sind, zeigt auch der Transformationsindex 2022 der Bertelsmann Stiftung.

Dieser macht einerseits deutlich, dass es nun weltweit erstmals seit 2004 wieder weniger Demokratien als autokratische beziehungsweise semi-demokratische Staaten gibt. Andererseits zeigt der Index auch, dass Demokratien, von denen man glaubte, sie seien unantastbar, immer mehr ins Wanken kommen - allen voran die USA, so Julian Müller-Kaler. Sollte die Demokratie in den USA zugrunde gehen, hätte das natürlich massive Folgen für die gesamte westliche Welt. Mit diesem "What if-Sezanrio" hat sich Julian Müller-Kaler in einem Essay auseinandergesetzt, er sagt: Unabhängig von der Wahrscheinlichkeit sollten wir uns mit solchen Szenarien zumindest theoretisch mal befasst haben. 

Dass es bei dem russischen Angriffskrieg in Ukraine aber um das Überleben der westlichen Demokratie geht, wagt er zu bezweifeln. Es wurden allerdings Grundpfeiler der internationalen Zusammenarbeit und des internationalen Rechts mit Füßen getreten, weswegen es extrem wichtig ist, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen und Ukraine zu unterstützen.

Und auch innerhalb der EU haben wir große Probleme

Julian Müller-Kaler sagt deutlich, dass der demokratische Zusammenhalt an allen Ecken und Enden bröckelt.
"Man muss auch sehen, dass der Populismus, der in der westlichen Welt in den letzten Jahren, vielleicht auch Jahrzehnten, an Zustimmung gewonnen hat - ob das Frankreich ist, ob das Großbritannien mit dem Brexit ist, ob das Ungarn ist, ob das sie Vereinigten Staaten [sind] oder eben auch hier in Deutschland die AfD ist - viel mehr so ein Fieberthermometer für den Gesundheitszustand der Demokratie ist." - Julian Müller-Kaler

Denn Menschen unterstützen vor allem dann populistische Bewegungen, wenn sie das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz von demokratischen Strukturen verloren haben, erklärt er weiter. In vielen westlichen Demokratien gerät beispielsweise die Mittelschicht immer weiter in ökonomischen Druck, weswegen einige von ihnen zu dem Schluss kommen, dass das System an sich für sie nicht mehr funktioniert. In China hingegen hat es geklappt, eine Milliarde Menschen aus der Armut zu holen - und das ohne demokratische Staatsstrukturen, was für viele Länder, beispielsweise in Afrika oder Asien, Vorbildcharakter für ihren eigenen gesellschaftlichen und ökonomischen Transformationsprozess hat. 
"Die Antwort, um es kurz zu sagen, muss sein, dass wir vor der eigenen Haustür kehren sollten und Reformen anstoßen sollten, die das Versprechen der wirtschaftlichen Teilhabe, der Möglichkeiten für sozialen Aufstieg in einer demokratischen Gesellschaft ermöglichen, um diesen antidemokratischen Tendenzen entgegenzuwirken." - Julian Müller-Kaler

Abgesehen davon, dass ganz extreme Positionen und antidemokratische Strömungen mit der vollen Härte des Gesetztes bestraft werden, muss es auch darum gehen, Vertrauen zurückzugewinnen, merkt Julian Müller-Kaler an. 
"Das Vertrauen ist sozusagen das Bindeglied einer jeden demokratischen Gesellschaft und dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen - sei es durch gesellschaftliche oder wirtschaftliche Reformen, sei es durch Transparenzinitiativen, sei es durch Förderungen des politischen Diskurses - ist, glaube ich, das zentrale Element und auch die zentrale Aufgabe, die die politischen Eliten in den westlichen Demokratien in den nächsten Jahren und wahrscheinlich auch Jahrzehnten angehen müssen." - Julian Müller-Kaler

Denn durch die Globalisierung und die Automatisierung, aber auch durch Filterblasen und Social Media entsteht eine extreme Polarisierung, der entgegengewirkt werden muss.



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Julian Müller-Kaler

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