Sexsucht - Lust wird zu Leid

Sexsucht - Lust wird zu Leid

Daniel über seine Sexsucht

Von  Auri
Was, wenn Sex wirklich abhängig macht? Wenn Menschen psychisch und physisch unter der eigenen Lust leiden?


Salut Sex! Folge #04

Etwa eine halbe Millionen Menschen in Deutschland leiden unter der sogenannten zwanghaften sexuellen Impulskontrollstörung. Ich habe mich mit einem Betroffenen getroffen: Daniel - er heißt in Wirklichkeit anders, möchte aber lieber anonym bleiben. Er erzählt von seinem Alltag mit der Sexsucht. Außerdem treffe ich Markus (auch er hat eigentlich einen anderen Namen) von den S.L.A.A.: Den Sex and Love Addicts Anonymous. Und natürlich habe ich auch eine Expertin mit an Bord: Die Paar- und Sexualtherapeutin Dr. Heike Melzer spricht darüber, was Ursache einer solchen Erkrankung sein und wie die Behandlung aussehen kann.

Filmtipps für diese Folge

  • Thanks for sharing
  • Shame
  • NYMPH()MANIAC

Buchtipp für diese Folge

  • Scharfstellung. Die neue sexuelle Revolution von Dr. med. Heike Melzer
Hier geht's zu den S.L.A.A. und hier zu einem Selbsttest.
  • Sexsucht
    Lust wird zu Leid


Was ist eigentlich Sexsucht?

"Woah ich bin grad so sexsüchtig", dieser Satz fiel letztens im Freund*innenkreis. Mehr lustig als ernst gemeint natürlich, denn wenn wir ehrlich sind: wirkliche SEXSUCHT ist es wohl in den wenigstens Fällen. Ich hab mich aber gefragt: was bedeutet es, wenn man tatsächlich sexsüchtig ist? Wie sieht ein Leben mit Sexsucht aus? Und wie sieht die Therapiemöglichkeit aus? 

In Deutschland leiden etwa eine halbe Million Menschen an Sexsucht. 

9 von 10 davon: Männer. Bei ihnen wird die Sexsucht auch als Satyriasis bezeichnet. Von Satyr aus der griechischen Mythologie. Du weißt schon, die Ziegen- oder Esel-artigen Wesen slash Dämonen - Oberkörper: menschlich, männlich, alles andere: tierisch, mit Hufen und ganz vielen Haaren. Irgendwie ein ganz schön harter Vergleich und zum Glück nicht mehr so gängig.

Bei Frauen wurde lange der Begriff Nymphomanie hergenommen. Das lehnt sich ebenfalls aus der griechischen Mythologie ab: von den Nymphen - weibliche Naturgeister, sterbliche Göttinnen, die gerne tanzen, herumwandern und ebenfalls... gerne Sex haben. Diesen Begriff hat auch Lars von Trier hergenommen für sein Filmdrama NYMPH()MANIAC., eine Trilogie über das Leben einer sexsüchtigen Frau. 
 

Heute nutzen Therapeut*innen eher den Begriff Hypersexualität

Streng genommen gibt es die Diagnose Sexsucht auch gar nicht - sie wird von der WHO als zwanghafte sexuelle Impulskontrollstörung eingeordnet. Klingt sperrig und das ist es auch, wenn man als betroffene Person will, dass die Krankenkasse die Therapie zahlt. Noch geht das nämlich nicht, dafür müsste die WHO noch mehr Geld in Forschung stecken, damit es zu den Verhaltensstörungen gezählt werden kann. 

Dr. Heike Melzer ist Psychotherapeutin und spezialisiert auf Paar- und Sexualtherapie

Ich hab sie gefragt: Was ist denn eigentlich Sexsucht? Sie erklärt, dass es sich um eine Stoffwechselstörung im Gehirn handelt. In ihrem Buch Scharfstellung. Die neue sexuelle Revolution schreibt sie unter anderem darüber, wie die Digitalisierung unser Sexualverhalten beeinflusst hat - und auch Sexsucht begünstigt. Sie erklärt, wie beispielsweise Internetpornos, die immer und überall zugänglich sind, unser Belohnungssystem ganz schön challengen und den Weg in eine Sexsucht ebnen können.

Aber was auch immer die Sexsucht begünstigt: bei der Sexsucht geht es oft nicht darum, etwas zu bekommen - denn oft können sexsüchtige Personen das alles gar nicht genießen - sondern es geht darum, ein Gefühl zu vermeiden: Der klassisch Süchtige geht von schlechten Gefühlen weg, der Gourmet zu guten Gefühlen hin, erklärt Dr. Heike Melzer.

Menschen, die unter dieser sexuellen Impulskontrollstörung leiden, haben den Eindruck, dass sie ihrem Impuls nach Sex nachgeben müssen.

Das kann soweit gehen, dass ihr Privat- und Liebesleben darunter leidet und sie sich zum Beispiel auf der Arbeit ständig aufs Klo verkrümeln, um sich selbst zu befriedigen, oder sich sozial zurückziehen und Verabredungen mit Freund*innen absagen. Man kann aber nicht sagen, ab so und so viel Sex oder Masturbation ist jemand sexsüchtig. Sondern - wie auch Dr. Heike Melzer sagt - sobald ein Leidensdruck da ist: Sobald das Sexualverhalten das Sozialleben beeinträchtigt, die Beziehung oder die Gesundheit gefährdet oder eine betroffene Person zu viel Geld ausgibt oder sogar Illegales tut. Wie auch bei anderen Süchten gibt es Dosissteigerung, so Dr. Heike Melzer.

Wie kann eine erfolgreiche Therapie aussehen? 

Dr. Heike Melzer erklärt, dass es eine Mischung aus Psychoeducation, gegebenenfalls den Einbezug der Partner*in, sowie Hypnotherapie braucht.

Aufstehen, Arbeit, Date, Sex

So sah Daniels (Name geändert) Alltag aus - fast täglich, monatelang. Er wollte das eigentlich nicht und hat es trotzdem gemacht, zur Not auch mit Viagra und ähnlichen Hilfsmitteln. Im Gespräch hat er mir von dieser Zeit erzählt, angefangen von dem Moment, an dem er gemerkt hat "Hey, irgendwas stimmt da nicht mehr". Ihm hat die Verhaltenstherapie geholfen. 

Die Anonymen Sex- und Liebessüchtigen

Eine Alternative oder Ergänzung zur Verhaltenstherapie kann auch die Hilfsgruppe Sex and Love Addicts Anonymous, kurz: SLAA sein. Die SLAA sind wie die Anonymen Alkoholiker aufgebaut: Betroffene setzen sich zusammen, sprechen über ihre Erfahrungen und arbeiten mit den "12 Schritten und 12 Traditionen" - genau wie auch die Anonymen Alkoholiker. 

Die SLAA beschreiben sich selbst als "Gemeinschaft von Männern und Frauen, die sich gegenseitig helfen, nüchtern zu bleiben." Weiter schreiben sie:
"Wir bieten jedem Hilfe an, der süchtig nach Sex und/oder "Liebe" ist und etwas dagegen tun möchte. Da die Mitglieder von SLAA alle selbst betroffen sind, haben sie ein ganz besonders tiefes Verständnis füreinander und für die Krankheit als solche. Wir wissen, wie man sich mit dieser Krankheit fühlt - und wir haben durch SLAA gelernt, wie man davon genesen kann."

Ganz konkret heißt das: ein oder mehrmals die Woche mit anderen Menschen zusammensitzen und reden. Dafür bilden sie einen Stuhlkreis mit sechs bis zehn Menschen, erzählt Markus (Name geändert). Er ist seit 18 Jahren bei den SLAA dabei. Wir haben uns zum Spaziergang an der Isar getroffen und er erzählt einiges über die SLAA. Über die 12 Schritte zum Beispiel.

In Schritt 1 heißt es zum Beispiel: "Wir geben zu, dass wir der Sex- und Liebessucht gegenüber machtlos sind - und unser Leben nicht mehr meistern können", oder in Schritt 5: "Wir geben Gott - oder was wir als Gott verstehen - uns selbst und einem anderen Menschen gegenüber unverhüllt unsere Fehler zu".

Dann kommt das Go-Rund: Jede*r hat zwei Minuten Zeit, um zu sagen, wie es ihm oder ihr geht und was in der letzten Zeit so los war.

Ich stelle mir das ganz schön befreiend vor, sich Menschen anzuvertrauen, ohne gleich kommentiert zu werden… und das eben in einer Runde, in der alle Teilnehmer*innen dieses Leid teilen. Deshalb ist es auch wichtig, dass nur Menschen kommen, die wirklich aufhören wollen. Dafür haben die SLAA auch einen Fragebogen beziehungsweise Selbsttest entwickelt. 

Ich hab einen riesigen Respekt vor diesen Menschen, die gegen diese Störung arbeiten müssen, die auf so einen urgewaltigen Trieb wie Sex verzichten, um wieder klarzukommen. Und das in einer Gesellschaft, die einen ständig mit dem Versprechen von Sex umgibt - und sei es nur das Werbeplakat an der Bushaltestelle. 



Salut Sex! Liebesgrüße aus der Tabuzone gibt es alle zwei Wochen dienstags auf egoFM und überall, wo es Podcasts gibt.

Die nächste Episode erscheint am 13. Juni 2023. Darin geht es um die Frage "Will ich Kinder?".

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