Offene Grenzen für alle

Offene Grenzen für alle

Prof. Dr. Volker Heins im Interview

Mit dem deutschen Reisepass können 122 Länder ohne Visum bereist werden - doch so durchlässig wie für deutsche Staatsbürger*innen sind Ländergrenzen bei Weitem nicht für alle.

Prof. Dr. Volker Heins ist Politik- und Kulturwissenschaftler und beschäftigt sich sehr intensiv mit Grenzforschung. Letztes Jahr erschien sein Buch Offene Grenzen für alle – eine notwendige Utopie, in dem er für eine Welt mit offenen Grenzen plädiert. Was er damit genau meint und wie das funktionieren kann, erzählt er im Interview.
  • Prof. Dr. Volker Heins über offene Grenzen
    Das komplette Interview zum Anhören


Globale Bewegungsfreiheit für alle

Der Global Passport Index misst den Wert von Reisepässen, je mehr Staaten ohne Visa bereiset werden können, desto höher ist dieser. Deutschland landet auf dem zweiten Platz: 122 Länder können ohne Visum bereist werden, in 46 Ländern reicht es, ein Visum vor Ort zu beantragen und für 30 Länder ist es vorab erforderlich. So privilegiert sind nur wenige andere Staatsbürger*innen. Auch Prof. Dr. Volker Heins hat schon früh gemerkt, wie ungleich die Rechte und Möglichkeiten, territoriale Grenzen zu überschreiten, verteilt sind. Das hat sich auch durch das Internet nicht verändert: Es ist zwar heute möglich, digital auch über Grenzen hinweg zu blicken, was natürlich den Wunsch, wo anders zu leben, beeinflussen kann, leichter wird es dadurch aber nicht. 
"Die Welt wird [durch das Internet] kleiner, sie scheint erreichbarer und vielleicht ist es dann umso schmerzlicher, dass man sie physisch als verkörpertes Wesen eben nicht erreichen kann oder nicht so leicht." -  Prof. Dr. Volker Heins 

Grundsätzlich findet es Prof. Dr. Volker Heins durchaus wichtig, sich abzugrenzen und ist nicht gegen Ländergrenzen per se - die Frage ist allerdings, wie durchlässig diese Grenzen für andere Menschen sind. Denn für deutsche Staatsbürger*innen sind zwar sehr viele Grenzen offen - für sehr viele andere Menschen aber nicht. Er plädiert deswegen für globale Bewegungsfreiheit für alle. In der Praxis gibt es verschiedene Wege, um diese zu erreichen. Eine davon: Migration gegen Kaution. Menschen, die auf irregulärem Weg in ein Land kommen, geben meist extrem viel Geld für Schleuser*innen aus. Es gibt deswegen die Idee, dieses Geld stattdessen als eine Art Kaution bei den entsprechenden Konsulaten zu hinterlassen, um dann mit einem (erstmal) temporären Visum offiziell einreisen zu dürfen. 

Nationalstaatliche Grenzen, wie wir sie heute haben, sind relativ jung.

"Wir haben eine Entwicklung des Trends dazu, dass staatliche Grenzen eben nicht nur der Abgrenzung einer Nationalität gelten, oder der Abwehr von Feinden [...], sondern wir haben jetzt eben Grenzen, die der Migrationskontrolle dienen. Und das ist eine junge Entwicklung und die hat sich sozusagen immer weiter verschärft. [...] Und da gibt es, glaube ich, ein Gerechtigkeitsproblem." - Prof. Dr. Volker Heins 

Bei der Utopie der offenen Grenzen für alle geht es deswegen eben nicht darum, tatsächlich alle territorialen Grenzen aufzuheben, sondern den Grad der Durchlässigkeit anzupassen. Denn geschlossene beziehungsweise streng regulierte Grenzen haben für uns alle Konsequenzen, sagt Prof. Dr. Volker Heins. Einerseits für die Menschen, die Grenzen passieren wollen: Seit 2014 sind 50.000 Menschen bei dem Versuch, in ein anderes Land zu kommen, gestorben. Die meisten davon im Mittelmeer und auf der Balkanroute und die zweitgrößte Gruppe auf dem Weg von Lateinamerika in die USA. Andererseits auch für die Bürger*innen, in den Zielländern. Denn schon jetzt dürfen beispielswiese Journalist*innen, Ärzt*innen und Hilfsorganisationen in Polen nicht mehr an die Grenze zu Belarus, um von dort zu berichten beziehungsweise zu helfen.
"Das heißt, was mich interessiert ist auch, wie diese Grenze nach innen ausgreift und uns eigentlich alle bedroht in unseren Grundfreiheiten." - Prof. Dr. Volker Heins


Prof. Dr. Volker Heins wünscht sich, dass es global gesehen ebenso leicht ist zu reisen, zu studieren, zu arbeiten, wie es innerhalb von Europa ist. Der erste Teil ist also schon geschafft - jetzt müsste das nur noch in einem größeren Rahmen funktionieren, damit es globale Bewegungsfreiheit für alle und damit mehr Austausch auf allen Ebenen geben kann. 
volker-m-heins_copyright-thomas-wieland.jpgBild: Prof. Dr. Volker Heins, Thomas Wieland, München

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