Verfolgungswahn und Tagträume

Verfolgungswahn und Tagträume

Das Interview zum Nachhören

Patricia Fonseca spricht mit uns im Interview über Realitätsverlust und psychische Erkrankungen.

Stell dir vor...

...du siehst ein Auto an dir vorbeifahren... Plötzlich bist du dir absolut sicher, dass die darin sitzenden Menschen dich verfolgen und töten wollen. Selbst wenn das Auto an der nächsten Ecke anhält und eine freundliche ältere Dame aussteigt und deine Freund*innen dir immer wieder versichern, dass dir nichts passieren wird, kannst du es nicht glauben. Du bist längst in deiner eigenen Version der Realität verschwunden. Bei Menschen mit einem Verfolgungswahn ist genau das der Fall.

Patricia Fonseca, Oberärztin der Station für Affektive und Persönlichkeitsstörungen am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, spricht im Interview mit egoFM über die Ursprünge und die Behandlung von Wahn, erklärt den Unterschied zu Halluzinationen und versichert, dass es manchmal ganz normal ist, in eine andere Realität abzudriften.
  • Patricia Fonseca
    Über Realitätsverlust


Was ist schon real?

Jede*r von uns lebt in einer eigenen Welt und nimmt die Umgebung unterschiedlich wahr.

Geprägt von Erziehung, Erfahrungen und nicht zuletzt dem aktuellen, geistigen Zustand unterscheidet sich unsere Version der Wirklichkeit von der jeder anderen Person.
"Schon ein starker Schlafmangel kann zu einem Realitätsverlust führen." - Patricia Fonseca


Wenn die eigene Realität unantastbar wird

Personen, die unter einem Wahn leiden, verlieren sich dann aber doch noch einmal ein Stück krasser in ihrer Welt. Sie glauben an Dinge, die faktisch unmöglich sind, und lassen sich nicht vom Gegenteil überzeugen. Sie fühlen sich beispielsweise verfolgt oder haben das Gefühl, ferngesteuert zu werden.
Im Gegensatz zur Halluzination basieren diese Vorstellungen aber auf tatsächlichen Reizen, die falsch interpretiert werden. So können Steckdosen zu Gedanken-Veränderungs-Stationen und Fußgänger*innen zu Auftragsmörder*innen werden. Bei einer Halluzination würde man dagegen wie aus dem Nichts Stimmen hören oder Formen sehen.


Das Tor zum Bewusstsein – sperrangelweit offen

Ein Wahn kann im Rahmen einer Psychose auftreten, aber auch als Folge eines Tumors oder nach exzessivem Drogenkonsum. Eine besonders relevante Struktur im Gehirn ist hierbei der Thalamus, der auch als "Tor des Bewusstseins" bezeichnet wird. Dieses Gehirnareal filtert die Reize, die wir wahrnehmen, dass wir uns konkret auf ein paar wenige konzentrieren können.
Bei wahnhaften Personen ist diese Funktion oft gestört – alle Reize prasseln gleichzeitig auf sie ein, was mit dazu führt, dass diese auch falsch interpretiert werden. Dem vorbeifahrenden Auto wird also mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als das normalerweise der Fall wäre, und schon allein dadurch bekommt es eine übertriebene Bedeutung, die meistens bedrohlichen Charakter hat.




Die Welt hinter dem Buchcover

Ein Realitätsverlust kann aber auch etwas ganz Normales und sogar Angenehmes sein. Wenn wir beispielsweise ein gutes Buch lesen oder uns in Tagträumen verlieren.
"Wenn ich in der Bahn meinen Gedanken nachhänge, könnte ich auch nicht sagen, wie die letzte Station hieß." - Patricia Fonseca

Das ist ungefährlich und unproblematisch.

Um wieder stärker zu sich selbst und in die Realität zurückzukehren, empfiehlt Patricia Fonseca eine Übung aus der therapeutischen Praxis: Bei einem Achtsamkeitsspaziergang konzentriert man sich ganz bewusst auf nur einen Sinn, beispielsweise nur auf das, was man hört.
"Es ist erstaunlich, was man dann alles wahrnimmt, und hilft dem Körper, zu sich zu kommen." - Patricia Fonseca

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