Ticketflaute in der Musikbranche

Ticketflaute in der Musikbranche

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Fab Schütze von Low Budget High Spirit

Einerseits ist der eigene Insta-Feed seit Wochen voll mit Fotos und Videos von Festivals und Konzerten von Megastars wie Harry Styles, Dua Lipa oder Coldplay, gleichzeitig liest man, dass sogar immer wieder Konzerte abgesagt werden, weil so wenig Tickets verkauft werden – wie sieht’s denn tatsächlich aus in der Livemusikbranche?

Einen Blick hinter die Kulissen werfen wir heute mit Fab Schütze. Fab gründete 2008 das Kreativkollektiv Analogsoul, war jahrelang selbst als Künstler auf Tour, hat sich aber immer schon eher für den Business-Teil der Unternehmung interessiert. Seine Agentur Golden Ticket betreut heute unter anderem Martin Kohlstedt, CATT, SALOMEA, Black Sea Dahu und Max Prosa im Booking und Management. Fab ist Teil des Regionalrats Ost des VUT – Verband unabhängiger Musikunternehmen und kooperiert im Rahmen einer Vielzahl von Projekten mit Partnern wie Kick The Flame, recordJet, VUT und viele mehr.

Zwischen Ausverkauf und Ausfall

Überall auf Social Media bekommt man gerade den Eindruck, dass die Pandemie vorbei ist, Konzerte wieder möglich sind und alles scheint wieder ganz normal zu laufen. Leider entspricht das Bild auf Social Media wie so oft nicht der Realität. Fab hat dazu vor einigen Wochen ein sehr ehrliches Posting zum Zustand der Livebranche auf Instagram abgesetzt, das direkt viral gegangen ist. Darin brachte er auf den Punkt, was vielen Menschen gar nicht so bewusst zu sein scheint: Die meiste Aufmerksamkeit auf Insta und Co. konzentriert sich auf große Acts und große Festivals. Das Bild von gut besuchten Festivals und riesigen, ausverkauften Hallen, das hier im Sommer teilweise vermittelt wurde, täuscht. Bei kleinen oder mittelgroßen Konzerten sieht das aktuell anders aus. Die Nachfrage ist seit der Pandemie extrem gesunken und die ganze Branche leidet bis heute darunter.
"Und das führt dann früher oder später halt natürlich auch zu einer hohen Quote an Absagen. Und von diesen Shows gibt es halt keine Fotos danach auf Instagram. Und die Künstler hüten sich auch das allzu offensiv zu kommunizieren." - Fab Schütze

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    Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Fab Schütze von Low Budget High Spirit

Konzertausfall wegen fehlender Besucher*innen

Die Gründe dafür, warum aktuell so wenig Konzerttickets für kleinere und mittelgroße Veranstaltungen verkauft werden, lassen sich nur erahnen. Einer der Gründe ist vermutlich auch, dass viele Menschen sich noch nicht sicher genug fühlen, auf eine Veranstaltung mit vielen Menschen zu gehen und ohne Maske zu feiern und sich so womöglich anzustecken. Anderseits müsste das ja dann auch bei größeren Events der Fall sein - doch diese sind häufig ausverkauft. Neben der berechtigten Sorge vor Corona, die höchstwahrscheinlich gerade auch im Herbst und Winter noch einmal zu mehr Vorsicht bei Konzertbesucher*innen sorgen wird, hat auch die Inflation Auswirkungen auf das Kaufverhalten potenzieller Konzertbesucher*innen.
"Da überlegt man sich das natürlich zweimal, ob man jetzt für zwei Leute [das Geld] - 25 Euro Konzertkarte plus das Bier am Abend ergibt irgendwie 80 Euro - dann noch ausgeben kann, wenn die Gasrechnungen sich verdreifachen."  - Fab Schütze

Außerdem haben viele noch Tickets zuhause rumliegen von Konzerten, die überhaupt noch nicht stattgefunden haben und aus verschiedensten Gründen bisher immer wieder verschoben wurden. Dann überlegt man sich natürlich auch, ob man hier noch weitere Tickets zum Stapel dazu packen will oder erst einmal die noch anstehenden Konzerte abwartet, meint Fab.

Zusätzlich sorgte auch fehlendes Personal in den letzten Monaten immer wieder dafür, dass Konzerte und Festivals abgesagt werden mussten.

Dadurch, dass besonders die Eventbranche durch die Pandemie ein eher unsicherer Arbeitgeber geworden ist, haben sich viele Arbeitnehmer*innen umorientiert. In anderen Branchen gibt es einfach sicherere Jobs - und teilweise ein doppelt so hohes Gehalt. In den letzten zwei bis zweieinhalb Jahren haben fast eine Million Menschen die Branche verlassen und sich beruflich neu orientiert.
"Und das merken grad alle - jedes Festival, jeder Club zittert sich durch die Sommersaison in der Hoffnung, dass nicht noch ein relevanter Teil des Teams krank wird. Weil dann die Veranstaltungen nicht mehr machbar sind. Und da gab es diesen Sommer große Festivals, die abgesagt werden mussten, weil einfach nicht genug Securities da waren." - Fab Schütze

Und auch wenn das erst mal zum Beispiel in der Größenordnung von Festivals relativ profan klingt - ohne dieses fehlende Puzzleteil kann mitunter die gesamte Veranstaltung nicht stattfinden.

Konzertausfälle gefährden ganze Existenzen

Auch wenn die Absage von Festivals und Konzerten sehr viele unterschiedliche Gründe haben kann, ist der Einfluss der wegfallenden Ticketverkäufe als sonst sehr wichtige Einnahmequelle enorm. Gerade für kleinere Künstler*innen sind die Auswirkungen, die abgesagte Konzerte haben, gravierend und durchaus weitreichender, als auf den ersten Blick erkennbar. Beispielsweise fällt auch das Geschäft mit Merchandise-Artikeln auf den Konzerten weg. Im darauffolgenden Jahr fehlt die GEMA-Tantieme für dieses Konzert, also die Erträge, die Künstler*innen als Mitglieder von der GEMA erhalten. Generell sind die Einnahmen aus Liveacts für viele deutsche Indie-Künstler*innen das einzige Einkommen, das sie haben, sagt Fab. Von den Erlösen von Spotify und Co. allein lässt sich die Miete eben nicht bezahlen. 
"Jedes abgesagte Konzert ist ein weiterer kleiner Knaps an dem Gesamtvertrauen, das die Gesellschaft in die Kulturbranche hat. Jedes Konzert, das abgesagt wird, sorgt dafür, dass noch mehr darüber nachgedacht wird, ob man sich halt was kauft. Weil es wird ja bestimmt abgesagt..." - Fab Schütze


Wie wichtig Live-Auftritte für Bands, Künstler*innen und Co. sind und wie viel Geld wirklich bei ihnen ankommt, erfährst du hier im egoFM Reflexikon.


Wie kommt die Branche über den Winter?

Auch die Prognosen im Bezug auf die Entwicklung der Pandemie im Herbst und das neue Infektionsschutzgesetz halten mögliche Besucher*innen davon ab, Tickets im Vorverkauf zu erwerben. Und auch die einzelnen Venues können durch mögliche Maßnahmen nicht garantieren, dass Veranstaltungen im Herbst und Winter stattfinden können. Dementsprechend macht sich die komplette Liveeventbranche mit Blick auf die kommenden kälteren Monate Sorgen. Bessere Chancen, diese Zeit einigermaßen zu überstehen, haben laut Fab zum Beispiel etablierte Künstler*innen, die vielleicht eine große Fanbase haben und das Weihnachtsgeschäft mitnehmen können und hier durch neue Releases Einnahmen generieren können.
"Wer das nicht kann, der blickt auf sehr anstrengende sechs bis acht Monate, die jetzt kommen." - Fab Schütze

Reicht die Unterstützung durch die Politik und Fans?

Stichwort Corona-Hilfen – viele sind diesen Sommer ausgelaufen. Die Musikbranche ist aber noch lange nicht über den Berg. Gerade sind die Programme von Neustart Kultur von der Bundesregierung noch mal verlängert worden bis 2023. Fab ist generell froh darüber, dass die Entscheidung, das Programm zu verlängern, diesmal schon relativ früh gefallen ist. Das Problem sieht er jedoch darin, dass Hilfen jeweils nur einen Teil der Branche abdecken. 
"Viele Clubs wurden, glaube ich, aufgerüstet in den letzten zwei Jahren. Da haben die dann profitiert von besserer Infrastruktur - Lüftung, neuem Equipment und so weiter. Aber stehen jetzt glaube ich an dem Punkt, wo für die Indoor-Venues es grad auch nichts richtig Handfestes wieder gibt. Und dabei sind die jetzt vielleicht die, die als Nächstes von dieser hoffentlich finalen - aber vielleicht halt auch finalen - Welle erwischt werden und es dann doch wirklich nennenswerte Teile der Branche erwischt, die dann im nächsten Jahr nicht mehr da sind." - Fab Schütze

Auch wenn der Blick in die Zukunft der Liveventbranche aktuell einem Blick in die Glaskugel gleicht und man sich auch als Fan ziemlich machtlos fühlt, gibt es trotzdem einige Dinge, die du persönlich tun kannst, um zu helfen. Fab findet es zum Beispiel sehr wichtig, anderen musikalische Empfehlungen zu geben, damit man Musik nicht mehr nur über irgendwelche Algorithmen auf Spotify entdeckt. Erzähl deinen Freund*innen und Bekannten von deinen vielleicht noch unbekannten Lieblingskünstler*innen. Wer weiß - vielleicht lieben sie diese genauso wie du, kaufen sich Musik oder Merch. Generell solltest du beim Kauf von Musik und Merch direkt bei den Künstler*innen kaufen und nicht über andere Anbieter, sodass das Geld direkt bei der Band zum Beispiel landet.

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Pressefoto: Philipp Scholz

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