"Pflicht zum zivilen Ungehorsam"

"Pflicht zum zivilen Ungehorsam"

Im Gespräch mit Prof. Dr. Jürgen Manemann

Prof. Dr. Jürgen Manemann ist Leiter des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover. Außerdem ist er bei der Umweltbewegung Extinction Rebellion aktiv.

Wir haben mit ihm über Rebellion und zivilen Ungehorsam gesprochen.
  • Umweltphilosoph Prof. Dr. Jürgen Manemann über Rebellion
    Das Interview zum Nachhören

Philosoph und Umweltaktivist


Prof. Dr. Jürgen Manemann ist Umweltphilosoph und deshalb immer auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Laut den Wissenschaftler*innen steuern wir in den nächsten Jahrzehnten auf eine Erderwärmung von 2-5 Grad Celsius zu. Das wäre katastrophal.
"Jetzt ist die Situation aber nicht hoffnungslos, wir haben noch die Möglichkeit gegenzusteuern, aber das Zeitfenster ist sehr knapp."
Die Zeit müssen wir Bürger*innen nutzen und Druck auf die Politik ausüben, um eine Wandlung in der Gesellschaft durchzusetzen.
"Ich habe mich dazu entschieden, dass ich nicht ohne Aktivismus auskommen kann, andere mögen das anders sehen. Ich habe mich für Extinction Rebellion entschieden, das spielt auch gar keine Rolle, finde ich, wo man sich engagiert [...], aber ich bin der Auffassung, wir müssen uns engagieren."

Unterschiede zwischen politischem Widerstand, zivilem Ungehorsam,...

Eine Demonstration ist für Manemann noch keine Rebellion. Die entsteht erst, wenn ziviler Ungehorsam dazu kommt. Doch was bedeutet das eigentlich und wo liegt der Unterschied zum politischen Widerstand?
"Politischer Widerstand hat einen radikaleren Anspruch einer Systemveränderung [...], während ziviler Ungehorsam im Rahmen des etablierten Systems, und das ist vor allem das Rechtssystem, Veränderungen herbeiführen möchte."

Ist ziviler Ungehorsam also legal?

Jein. Der Philosoph drückt es wie folgt aus:
"Wenn beispielsweise Umweltaktivist*innen zivilen Ungehorsam betreiben, wird ziviler Ungehorsam nicht legal. [...] Man betreibt einen partikularen Rechtsbruch, um aber das Recht auf Unversehrtheit des Lebens für zukünftige Generationen zu schützen."
Beim zivilen Ungehorsam wird also gegen Regeln verstoßen, zum Beispiel wenn Extinction Rebellion eine Hauptverkehrsstraße blockiert. Aus philosophischer Sicht sind solche Vorgehensweisen unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt.
"Also ziviler Ungehorsam aus philosophischer Sicht ist gerechtfertigt, wenn er öffentlich ist, das heißt es darf kein Akt der Sabotage sein, der im Untergrund stattfindet. Er ist gerechtfertigt, wenn er von der Polizei kalkuliert werden kann."
Die Sicherheitskräfte sollten vor Aktionen benachrichtigt werden, damit dabei keine anderen Menschen zu schaden kommen. Bei einer Straßensperrung können sich dann Feuerwehr- und Krankenwagen-Fahrer*innen darauf einstellen. Und besonders wichtig:
"Ganz entscheidend ist, ziviler Ungehorsam ist gewaltlos."

"Es ist etwas in Bewegung gekommen"

Fridays for Future, Extinction Rebellion, Black Lives Matter, Proteste in Hongkong - zur Zeit gibt es überall auf der Welt verschiedene Protestbewegungen. Und man hat das Gefühl, dass es mehr geworden ist, als in den Jahren davor. 
"Also Politik, wie man vor vielen Jahren dachte, würde nur noch im digitalen Raum stattfinden... - Nein, was wir sagen können, ist, dass Politik eigentlich zu ihrem Ursprung zurückkehrt, sie findet wieder auf den öffentlichen Plätzen statt."
Die genannten Bewegungen haben eine wichtige Gemeinsamkeit.
"Also das, was meines Erachtens alle verbindet, ist die Empörung gegen Ungerechtigkeit. All diese Bewegungen [...] treten ein für das Recht auf Leben, das Recht auf Leben der zukünftigen Generationen, das Recht auf Gleichberechtigung, das Recht auf Freiheit aller."
Sweet boy, you Matter and we will fight for you!! from r/BlackLivesMatter

Haben wir als Gesellschaft eine Verantwortung zur Rebellion?

Laut Manemann ist der zivile Ungehorsam ein wesentlicher Bestandteil einer Demokratie.
"Solange wir Formen des zivilen Ungehorsams in unserer Gesellschaft wahrnehmen und immer wieder neu damit konfrontiert sind, leben wir in einer wirklich reifen demokratischen Kultur."

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