Fremdsprache ungleich Fremdsprache

Fremdsprache ungleich Fremdsprache

Meinung: Manche Sprachen sind wohl weniger wert als andere

Von  Anna Taylor
Wer hierzulande zu Hause eine andere Fremdsprache als Französisch, oder Englisch spricht, sollte lieber nur Deutsch sprechen. Dieser Satz irritiert dich? Er sollte dich richtig wütend machen. Denn leider denken so scheinbar einige Menschen.

2014 machte die CSU einen sehr, sehr merkwürdigen Vorstoß

"Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch zu sprechen […] Ein gesellschaftliches Miteinander funktioniert nur, wenn alle dieselbe Sprache sprechen", hieß es in jenem Vorstoß. Die Empörung war - zu Recht - groß. Immerhin war mehr oder weniger klar: Der CSU ging es dabei nicht um die Familien, die zu Hause Französisch oder Englisch sprechen, sondern Sprachen wie Türkisch oder Arabisch.

Gibt es also einen Unterschied im Ansehen zwischen Fremdsprachen?

Der Eindruck wird zumindest noch von dem Eklat gedeckt, der ein paar Jahre vorher - 2010 - ausgebrochen ist. Damals schlug Erdogan vor, türkische Gymnasien in Deutschland zu eröffnen. Die Leute sind ausgeflippt - diesmal allerdings aus dem gegenteiligen Grund, nämlich war für viele Deutsche die Vorstellung von türkischen Gymnasien ein absoluter Graus oder Anlass für puren Hohn. Warum? Über französische Gymnasien wird sich schließlich nicht beschwert, sogar au contraire mon frère: Meist genießen die Schulen ein hohes Ansehen. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir beschrieb den Aufstand damals als "Allergie gegen alles, was mit der Türkei und der türkischen Sprache zu tun hat" und äußerte die Vermutung, Türkisch gelte als "eine Sprache von Aussätzigen".

Ich kann mir gut vorstellen, warum.

- Aus Arroganz gegenüber Migrant*innen aus Ländern, denen es wirtschaftlich oder politisch schlechter geht als Deutschland. Denn obwohl dieses Land aufgrund des demographisch bedingten Rückgangs der Arbeitskräfte auf Zuwander*innen angewiesen ist, haben hier einige Menschen merkwürdige Ressentiments gegenüber Migrant*innen. Ganz nach: "Ja wie, die kommen hier her in Hoffnung auf Arbeit / Sicherheit / bessere Perspektiven für sich und / oder ihre Kinder, weil das in ihrer Heimat nicht gegeben ist? Finde ich ungerecht." Als "Kompromiss" wird dann gerne die Kulturkeile geschwenkt: "Wenn sie schon hier sind, dann sollen die sich gefälligst auch anpassen! Unsere Sprache sprechen! Nicht immer so laut reden! Keinen Knoblauch benutzen! Und statt Olivenöl bitte Butter!"

Meine portugiesische Familie hat ähnliche Erfahrungen gemacht

1962 kamen meine Großeltern mit meiner Mama und ihrem Bruder von Portugal nach Deutschland. Eine Flucht aus Salazars Diktatur, dem autoritären Estado Novo. Bei ihrer Ankunft sprach keine*r von ihnen auch nur ein einziges Wort Deutsch und ihre Wohnung befand sich in einem Viertel, in dem auch viele andere Portugies*innen lebten, die sich gegenseitig halfen wo es nur ging. Trotzdem hat mein Großvater alles daran gesetzt, dass die gesamte Familie so schnell wie möglich Deutsch lernt. Er wollte sich an die Deutschen anpassen, wollte dazu gehören.

Immerhin war Portugal damals noch kein Land, in das man mal eben zum Surfen fährt, eine lebensverändernde Erfahrung macht und fortan allen erzählt, wie magisch das Land sei und wie ganz außergewöhnlich die Mentalität der Menschen dort wäre. Nein, Portugies*innen in Deutschland waren damals als Migrant*innen nicht so hoch angesehen. Zu spüren bekommen hat das gerade meiner Mutter in der Schule. Dort musste sie regelmäßig beleidigende Sprüche bezüglich ihrer Herkunft ertragen. Auch wenn sie wegen sprachlicher Barrieren nicht jede Anmerkung gleich verstanden hat - hämisches Lachen ist eine universelle Sprache.
All die Verletzungen haben dazu geführt, dass sie sich von ihrer Kultur und Sprache distanziert hat. Und Deutsch nicht nur gelernt, sondern viele Jahre später sogar studiert hat.

Doch die Narben blieben

Ihren eigenen Kindern wollte sie das später nicht "antun". Sie wollte nicht, dass wir uns mit denselben Vorurteilen rumschlagen müssen, wie sie damals. Also wurde mit uns nur Deutsch gesprochen. Und weitestgehend deutsch gelebt. Sie konnte ja nicht ahnen, dass ein paar Jahrzehnte später deutsche Tourist*innen ihr Heimatland überfluten, sich in Airbnbs einnisten (wodurch Einheimische aus den Städten an die äußersten Ränder vertrieben werden), einfach nicht mehr gehen wollen und viel Geld für Sprachkurse hinblättern. Klar, ist ja alles viel billiger da drüben, mit deutschen Gehältern lebt es sich dort gut.

Was hat das mit mir gemacht?

Naja, einfach ausgedrückt bin ich neidisch. Neidisch, dass sich jetzt so arg viele Menschen Zugang zu einer Kultur einfach verschaffen, die eigentlich meine ist, aber mir mehr oder weniger verwehrt wurde. Warum wurde sie mir verwehrt? Weil jene Kultur damals noch nicht gut genug war, um sie öffentlich leben zu können, ohne sich fürchten zu müssen, dafür diskriminiert zu werden. Und das bedauere ich. Nicht nur für mich selbst. Sondern in erster Linie für das Leid meiner Familie, das sie damals ertragen musste als sie in dieses Land kam. Und auch für mein eigenes Kind, dem ich diese wundervolle Sprache und Kultur nicht weitergeben kann, ohne mich wie eine Hochstaplerin zu fühlen. Denn auch wenn ich mittlerweile ganz okay Portugiesisch spreche (das war harte und jahrelange Arbeit), ist es was anderes, als wenn ich tatsächlich mit allem Drum und Dran aufgewachsen wäre.

Für mich lässt sich die Situation nicht mehr ändern. Aber wir können zukünftigen Generationen helfen, indem wir aus der Geschichte lernen. Und wir unser Denken reflektieren, auf Vorurteile hin untersuchen - und sie eliminieren. Jede Sprache ist auf ihre Art und Weise faszinierend. Deswegen sollten wir sie auch alle gleichermaßen feiern. Alle!

Denn eine Sache muss man jetzt noch mal sehr deutlich sagen: Auch wenn meine Familie vor vielen Jahren noch Diskriminierung erfahren hat, ist meine Position eine ziemlich privilegierte, weil die portugiesische Sprache und Kultur hierzulande einen oberflächlichen Imagewechsel erlebt hat.

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