New Baby, new me

New Baby, new me

Meinung: Über den Identitätswandel als Elternteil

Von  Anna Taylor
"Mit der Geburt des Kindes stirbt man selbst", sagt die Autorin dieses Textes und erklärt, inwiefern das Elternsein einen Identitätswandel vollführt.



Vorsicht, das ist erstmal ein Mimimi-Text aus einer ziemlich privilegierten Position heraus. Falls genau das dein Kommentar dazu sein könnte: besser nicht weiterlesen! 
Und bevor das Jugendamt alarmiert wird oder auch nur das erste "Manche Menschen verdienen es einfach nicht, Kinder zu bekommen" ausgespuckt wird: Ich liebe mein Kind und finde es ganz wunderbar, ja bin sogar der Meinung, es sei das beste Kind auf der ganzen Welt. Also nicht auf diese höfliche Weise, wie viele Eltern das nun mal so über ihre Brut sagen, weil man das nun mal so sagt - ich glaube das wirklich!

Trotzdem trauere ich

Denn die Geburt meines Kindes führte zum Ableben der Person, die ich bis dato war. Dabei bin ich nicht mal so eine Art Elternteil, das sofort alles hingeschmissen hat, um eine Million Erziehungsratgeber zu lesen, dem kleinen Wunder die Windeln zu wechseln oder fortan nur noch in Babysprache zu sprechen. Hinzu kommt, dass ich eine sehr gleichberechtigte Beziehung führe, mein Partner und ich teilen uns die Kindererziehung relativ gut auf (er macht mehr). Wie gesagt: Es liegt nicht daran, dass ich mich Hals über Kopf in die stereotypische Mutterrolle gestürzt habe, dass mein altes Leben passé ist.

Tatsächlich wurde sogar sehr viel dagegen unternommen.

Und dabei arg unter Druck gesetzt. Bis in den neunten Monat hinein habe ich versucht, mein bisheriges Leben mehr oder weniger normal weiterzuführen - natürlich mit verantwortungsvollen Ausnahmen, die dem Baby wirklich schaden würden. Ich bin Fahrrad gefahren, bin auf Konzerte gegangen, habe aufgelegt und mich geweigert, die Tatsache zu akzeptieren, dass ganz bald alles arg anders sein sollte. Nach der Geburt sollte es dann gleich rasant weitergehen. Schnell erholen, um wieder "die Alte" zu sein. Dabei habe ich mich davor gehütet, mit kinderlosen Freund*innen ungehemmt über das Baby zu reden oder ungefragt Fotos zu zeigen (obwohl ich das schon sehr gerne würde, denn wie schon gesagt: mein Kind ist echt cool).

Dafür gab es sogar Anerkennung. Von Freundinnen, die nach mir schwanger wurden, fiel nicht nur einmal der Satz: "Du hast das so cool gemacht, so wünsche ich mir das auch". Doch anstatt geschmeichelt zu sein, fühle ich mich schlecht.

Das würde ich so nämlich nicht mehr machen.

Ganz, ganz ehrlich. Ich hätte lieber direkt mit meinem Umfeld und Freund*innen über meine Sorgen gesprochen. Ein Baby zu erschaffen ist außerdem unglaublich anstrengend. Sowohl Körper, als auch Geist brauchen Ruhe dafür. Ich war so versessen darauf, alles beim Alten zu belassen und den Fakt des Wandlung zu ignorieren, dass ich komplett überrumpelt wurde von der neuen Rolle. All das wegen meinem altbewährten Problem: Ich bin wahnsinnig schlecht in Mathe: Mein altes Leben wollte ich gerne zu 100 Prozent behalten. Gleichzeitig aber auch das neue zu 100 Prozent führen. Doch alles was maximal geht, sind 50/50 und dabei gehen nun mal 50/50 flöten.

Zumal das Festkrallen eh nichts gebracht hat.

Nach und nach wurde mir bewusst, dass egal wie fest ich mich an die letzten Zipfel meiner alten Identität kralle, sie immer mehr zerbröselt.

Carpe jeden Diem so, als wäre es der letzte vor der Schwangerschaft!

Zum Beispiel den Lebensrhythmus einer Nachteule zu pflegen. Spontan mehrtägige Festivals zu besuchen. Ein ganzes Wochenende oder bloß nur einen Tag lang nur im Bett rumzuhängen und Serien zu bingen. Bei spontanen Treffen von Freund*innen eingeladen zu werden. Oder generell eher nicht vergessen zu werden. Die Sache ist: Wir denken meist nur an den Tod als Ende von allem, dabei gibt es einige Lebensereignisse, die für einen gewissen Schlussstrich sorgen. Mir hätte der Tipp, das auszukosten, was man mit und vor allem nach einer Schwangerschaft knicken kann, vielleicht auch nicht die Psyche gerettet, aber es hätte sicherlich für ein größeres Identitätsbewusstsein gesorgt. Was das gebracht hätte? Den Wandel besser reflektieren und letztlich auch würdigen zu können.

Das Leben einer fremden Person

Denn plötzlich war alles anders. Sobald das Kind da ist, scheint da so ein Schild an der Tür zu hängen. "Baby on Board, bitte nicht stören". Das hat natürlich in gewisser Weise gestimmt, gerade die erste Zeit wären mir eher weniger als mehr Besucher*innen lieb gewesen. Und dass man mit einem Neugeborenen nicht einfach mal so zu spontanen Treffen auftauchen kann, ist auch klar. Aber irgendwann verlassen frisch gebackene Eltern eben die Babybubble und können dann sehr einsam dastehen. Für spontane Treffen mit Freund*innen wird man immer seltener gefragt, ob man auch dabei sein will. Und wenn man dann mal weg ist - und das betrifft gerade Mütter - wird dann auch stets zuverlässig die Killerfrage (quasi mit Panik in den Augen) gestellt:

"Uah, wer passt denn auf das Baby auf???"

Als ob die eigene Präsenz ohne Baby-Add on (und umgekehrt!) keinen Sinn mehr machen würde. Ich nehme, an dass ich nicht nur für mich spreche, wenn ich sage: Selbst wenn ich keinen Partner hätte, der genauso viel Liebe für das Kind hat wie ich, dann wäre es halt sonst bei einer anderen Person, die ich für vertrauenswürdig ansehe. Diese nervige Frage muss man sich einfach verkneifen. Getrieben von vermeintlicher Fürsorge zeigt das viel mehr, wie gerne Menschen junge Eltern und vor allem Mütter kritisieren.

Im Körper einer fremden Person

Um diese Identitätsverwirrung komplett zu machen, muss man sich als Mutter auch noch mit einem völlig neuen Äußeren auseinandersetzen. Auch wenn das meiste relativ (!) prompt nach der Geburt verschwindet, ist das Körpergefühl dennoch ein anderes. Und alles hängt ein bisschen mehr. Was ja auch logisch ist, nur eben ungewohnt. In meinem Fall war es so, dass ich vor der Schwangerschaft kaum Oberweite hatte, zwischenzeitlich dahingehend enorm zugenommen habe und sich letztlich, naja, alles gen Schwerkraft beugt.

Der Mutterkörper ist für neun Monate ein Zuhause, erschafft unter anderem Organe, ein Nervensystem und Fingernägel und wird im Anschluss so modifiziert, dass er ein Lebewesen nähren kann. Was der Körper in der Schwangerschaft und vor allem auch danach leistet, ist einfach abgefahren. Meiner Meinung nach hat er dementsprechend das volle Recht dazu, sich nachhaltig zu verändern. Trotzdem ist der Anblick im Spiegel, beziehungsweise das ganze Körpergefühl erstmal ungewohnt. 

Und dann wäre da noch eine andere Tatsache...

Du wandelst dich zu einem verdammten Zombie

Durch kontinuierlichem Schlafentzug. Zumindest die ersten sechs Jahre (ja, haha, kannst ruhig wahnsinnig kichern - so lange dauert es im Durchschnitt, bis Eltern ansatzweise normal schlafen). Mehr zu dem Thema schreibe ich in diesem Text.



Jede Identitätsphase hat mal ein Ende

Der bisherige Text war nicht unbedingt die beste Werbung für Identitätswandel. Deswegen kommen wir besser mal fix zum Fazit. Egal, ob man im Laufe des Lebens Elternteil wird oder nicht: Niemand ist durchgehend dieselbe Person. Es gibt Phasen. Es gibt Wandel. Es ist zwecklos, der Veränderung trotzen zu wollen, denn sie kommt so oder so. Und das ist doch auch wundervoll. Hände hoch - wer würde seinem Teenage-Ich heute noch eine öffentliche Plattform geben? Herrje, niemals!

Wir wachsen mit neuen Aufgaben. Und wir wachsen gerade am Scheitern.

Deswegen ist es total okay, erstmal überfordert zu sein von neuen Rollen. Dass man durch Veränderung der Lebensumstände keine wichtige Rolle mehr an der ein oder anderen Stelle spielt, kann auch wehtun. Keine Frage! Gleichzeitig schafft es Raum für Neues und der Blick aus einer anderen Perspektive kann sich ergeben.

Letztlich muss man eigentlich aber nur eines begreifen: Es gibt nichts öderes, als zu lange auf der Party zu bleiben.



Unterm Strich

Es muss okay sein, als frischgebackenes, glückliches Elternteil auch Trauer um den Verlust des bisherigen Status Quos zu empfinden.

Darüber muss offen gesprochen werden können! Wahrscheinlich wäre es eh viel besser, wenn jede Person sich das schon vor dem Elternwerden verinnerlicht: Dein Leben wird nicht mehr dasselbe sein. Du wirst nicht mehr der*dieselbe sein. Das kann beängstigend sein - und das darf es auch. Du bist danach eine neue Person, aber ich empfehle, dass du dir vor Augen hältst: Du wirst daran wachsen.
 



Postnatale Depression

Solltest du starke negative Gefühle in der neuen Rolle als Elternteil haben und merken, dass deine Emotionen außer Kontrolle geraten, solltest du dir professionelle Hilfe holen. Es ist nämlich ganz natürlich, falls das Ganze eine Belastung für dich ist - da musst du allerdings nicht alleine durch. Die deutsche Depressionshilfe liefert dir Informationen und Anlaufstellen im Falle von postnatalen Depressionen, die im Wochenbett und auch noch viel später auftreten können. Wir dürfen uns für sowas nicht schämen - die Hauptsache ist, sich sobald wie mögliche Hilfe zu holen.

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