Jeden Tag 387 Sehenswürdigkeiten anschauen, den Sonnenaufgang vom höchsten Berg aus genießen oder drei Stunden vor dem hippsten Café der Stadt anstehen? Muss nicht immer sein.
Urlaub ist längst nicht mehr nur Sommer-Sache
Inzwischen ist meine Timeline auch in den kälteren Monaten geflutet von Städtetrips und Fernreisen. Gefühlt 24/7 sehe ich Menschen, die an einem Tag im Infinitypool auf Bali schwimmen, am nächsten den Kilimanjaro besteigen und am übernächsten in New York thriften. Klar denk ich mir da in der ersten Sekunde: "Toll, und das einzige, was ich dieses Jahr geplant habe, ist Tirol?" Dabei habe ich mich ja aus guten Gründen und ganz bewusst für Tirol entschieden und sowieso keine Lust auf Bali... Trotzdem spüre ich sofort irgendwie Druck und fange an, mich und meine Urlaubspläne zu vergleichen.Und in Tirol angekommen, lässt dieser Druck nicht unbedingt nach
Da gibt's dann jede Menge Personen, die aus jeder Sekunde das Maximum rausholen müssen. Die stehen um 07:30 Uhr schon mit gepackten Rucksäcken und Jausenbroten in der Hotellobby, um möglichst jeden Berggipfel an nur einem einzigen Tag zu besteigen. Und dann denke ich sofort, ich müsste es ihnen gleich tun. Immerhin hab ich jetzt schon mal 'ne Woche frei, bin in einem anderen Land und muss doch dann hier auch alles bis zum get no auskosten und wie ein Steinbock durch die Berglandschaft hüpfen.Zum Glück besinne ich mich dann auch immer relativ schnell wieder und erinnere mich, dass es mir besser gefällt, um 10:00 Uhr loszugehen, ein bisschen zu wandern und pünktlich um 17 Uhr wieder im Wellnessbereich zu sein. Ich muss mir dann aber auch wirklich immer wieder ganz bewusst sagen, dass es okay ist, noch beim Frühstücksbuffet zu sein, wenn die anderen losmarschieren. Und es okay ist, mich schon im Jacuzzi beblubbern zu lassen, wenn sie gerade erst wieder außer Atem ankommen. Denn selbst wenn ich das Hotel die ganze Woche nicht verlassen würde: Solange ich danach glücklich und entspannt nach Hause komme, ist doch alles fine. Ich mach den Urlaub ja schließlich für mich, auch wenn ich das manchmal fast vergesse...
Wo wir gerade von Hotels sprechen: Hier stellen wir dir die verrücktesten Hotels der Zukunft vor und hier findest du ein Interview mit Philipp Herdeg, dem Pressesprecher vom Luxushotel Bayerischer Hof.
Der Druck wird größer, je weiter ich von Zuhause entfernt bin
Den Druck, den ich in Tirol verspüre, kann ich noch relativ leicht von mir abschütteln. Immerhin bin ich ja nur drei Stunden von Zuhause entfernt. Wenn ich aber weiter weg bin, wird die Lage schon schwieriger: Dann denke ich plötzlich, dass ich jeden Abend draußen sitzen und den Sonnenuntergang anschauen, nur typisch regionalen Speis und Trank genießen und anschließend eine Abendmeditation unter Sternenhimmel machen muss.Aber um ehrlich zu sein: Die Sonne geht jeden Abend unter, also kann ich auch im Urlaub mal getrost abends eine Serie schauen.
Und versteh mich nicht falsch: Ich lese auch mal gerne ein Buch in irgendeiner besonders schönen Bucht, geh an 'ner krassen Küste schnorcheln oder probiere alles, was die landestypische Küche zu bieten hat. Aber ich will eben auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mir einfach mal Ort Kopfhörer in die Ohren stecke, einen Podcast höre und das Gleiche esse wie Zuhause. Klingt für dich langweilig? Völlig okay.Jede*r sollte im Urlaub einfach das machen, was einem guttut
Denn was bringt mir der Urlaub, wenn ich ihn so verbracht habe, wie ich denke, dass es richtig ist, ich am Ende aber null entspannt bin? Was bringt es mir, von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zu hetzen, tausende Fotos zu schießen und anschließend zwei Stunden anzustehen, um im hippsten Lokal der Stadt mein Food zu fotografieren, wenn ich hinterher gestresster als vorher bin? Logisch, ich mach das auch MAL gerne, aber ganz sicher nicht die ganze Zeit. Den Rest der Zeit verbringe ich eben auch gerne ein bisschen langweiliger und das muss ich mir einfach eingestehen. Auch wenn die Menschen um mich herum ihren Urlaub vielleicht gerne krasser verbringen.Dabei verurteile ich aber niemanden, der*die genau das macht, was mich so unter Druck setzt. Ich muss nur aufhören, mich zu vergleichen.
Ich muss lernen mir einzugestehen, dass es okay ist, Dinge anders zu machen, als die Menschen um mich herum – eine life changing lesson, I guess. Bei Urlaub gibt's kein richtig oder falsch – auch wenn man oft das Gefühl vermittelt bekommt, es sei nur ein richtiger Urlaub, wenn man auch auf einem Elefanten durch den Dschungel geritten ist (was sowieso schon an sich verwerflich ist). Wenn du gern das absolute Maximum aus jeder Sekunde deines Urlaubs rausholen willst: Go for it (also so lange keine anderen Menschen oder Tiere darunter leiden – bitte keine Elefanten reiten im Urlaub), aber wenn du die Dinge im Urlaub lieber etwas entspannter angehen lässt, fühl dich bloß nicht schlecht und go ebenfalls for it!Und sowieso: Daheim bleiben ist auch ok
Ganz grundsätzlich sollten wir uns von dem Gedanken verabschieden, jeden Urlaub woanders verbringen zu MÜSSEN. Vor dem Urlaub mühselig packen, die Hälfte vergessen und nach dem Urlaub Berge an Wäsche waschen darf auch nicht komplett romantisiert werden. Es kann genauso schön sein, einfach mal daheim zu bleiben. Es muss schließlich nicht jeder Urlaub wie die Raffaelo-Werbung oder Into the Wild aussehen.Und wer nach ein paar Tagen Daheim keine Lust auf fassungslose Kommentare hat, dass man die vier freien Tage tatsächlich nicht genutzt hat, um einen Kurztrip nach Lissabon zu machen, sondern einfach nur Zuhause war, der*die macht's einfach wie in der Grundschule nach den Ferien: Ausschmücken und dazu erfinden.
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