Während wir uns in Deutschland eher bedeckt halten was die Ehrung unserer Vorfahr*innen angeht, gibt es in anderen Länder für uns ganz schön skurrile Ahnenkulte.
Das Totenwendfest in Madagaskar
Auf einer Insel vor der südostafrikanischen Küste ehren die Einheimischen ihre Toten auf ganz besondere Weise: Nicht zu verwechseln mit der Sonnenwendfeier, werden beim Famahadina, dem Totenwendfest in Madagaskar, die Gebeine der verstorbenen Angehörigen ausgegraben und neu bekleidet, damit die Toten auch in Zukunft gut ruhen können. In teure Seidentücher gewickelt, werden die Verstorbenen in ihren Särgen herumgetragen. Die Verbliebenen tanzen, singen, essen und weinen. Dann werden die Toten wieder eingegraben.
Das Spektakel ereignet sich ungefähr alle drei bis sieben Jahre oder auch, wenn Stammesangehörige mal wieder ein Fady übertreten haben - ein sogenanntes religiöses Gebot. Beispielsweise der Verzehr von Strahlenschildkröten. Dann müssen die Ahn*innen positiv gestimmt werden: Der Schamane der Madagassen nimmt Kontakt mit den Toten auf und muss entscheiden, ob sie gewendet werden sollen. Das Totenwendfest gehört zu den wichtigsten Ahnenkulten in Madagaskar und ist dementsprechend auch teuer: Die Angehörigen müssen sich oft hoch verschulden. Und die Verbindung zu den Verstorbenen birgt ein nicht allzu kleines Problem: Tote sind wahre Wirte für Viren und andere Krankheiten und somit gilt das Totenwendfest als stetiger Auslöser für die immer wiederkehrende Pest in Madagaskar.
Die Toten im Wohnzimmer in Indonesien
Das indonesische Hochland beherbergt das Volk der Toraja, das den Weg ins Totenreich fast genauso feiert wie Geburtstage: Beerdigungen sind hier pompöse Feste, die jahrelang vorbereitet werden müssen. Je größer die Feier, desto wichtiger waren die Toten zu Lebzeiten. Um so ein Totenfest veranstalten zu können, müssen selbst wohlhabende Familien oftmals jahrelang sparen. Und da die Toten bei den Toraja erst wirklich als tot gelten, wenn sie unter der Erde begraben liegen - bis dahin sind sie dem torajanischen Verständnis nach nämlich nur krank - halten die Toraja es ziemlich pragmatisch: Die toten Familienmitglieder werden wie Schlafende behandelt: Einmal mit Formalin mumifiziert, werden sie mit Essen und Trinken versorgt und fürs nächste Foto auch mal schick angezogen.
Was für westliche Kulturen makaber klingen mag oder gegen die Vorstellung der Totenruhe geht, ist für die Toraja Tradition: der tagtäglich Umgang mit dem Tod, auch als Bewältigungsstrategie. Immerhin hat man jahrelang Zeit, um Abschied zu nehmen. Und wenn dann die mehrtägige Bestattung gekommen ist, wird gefeiert und etliche Wasserbüffel geopfert. Die mystischen Tiere sollen dem Verstorbenen auf dem Weg ins Totenreich helfen. Und dann werden die Gräber in den Berghöhlen geschlossen und die Toten haben ihre Ruhe... zumindest bis sie einige Jahre später erneut heraus geholt werden, um gereinigt zu werden.
Das Totenwendfest in Madagaskar
5 skurrile Ahnenkulte
Die Toten im Wohnzimmer in Indonesien
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Das Knochenorakel der Shang-Dynastie
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Die Mundöffnungszeremonie in Ägypten
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Das Festessen in Papua
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Das Knochenorakel der Shang-Dynastie
Wenn man in der Shang-Dynastie des alten Chinas zwischen 1600 und 1000 vor Christus Fragen an das Leben hatte oder sich in Zukunftsbelangen informieren wollte, gab es die Möglichkeit, sich direkte Antworten von den Weisesten der Weisen zu holen: den eigenen Vorfahren. Um mit den Ahn*innen zu kommunizieren, gab es in der Shang-Dynastie die Orakelknochen, quasi Gute-Frage.net in Oldschool: Hatte man eine dringliche Angelegenheit, in der man Rat brauchte, ging man zum zuständigen Priester, der die Ahn*innen befragte, indem er sogleich den Orakelknochen zur Hand nahm - meist Schulterblätter von Weidetieren oder die Panzer von Schildkröten.
In vorgebohrte Löcher in den kalkigen Platten schob der Priester erhitzte Stäbe, wodurch die Knochen Risse bekamen. Und diese Risse sollten gedeutet werden - für Fragen mit meist nicht unerheblichen Folgen. Für die Ahn*innen gab es hier jeweils zwei komplementäre Antwortmöglichkeiten, beispielsweise: "Soll ich König XY angreifen?" oder "Soll ich König XY nicht angreifen?". Der Priester führte aus, doch das letzte Wort hatte der König: An ihm war es nun, die Risse konkret zu deuten und eine Entscheidung zu treffen. Ob das so unvoreingenommen war, sei dahingestellt. Vielleicht war das aber auch nicht allzu wichtig: Denn oft geht es uns ja noch heute bei Entscheidungsfindungen eher darum, überhaupt eine Entscheidung zu treffen, als um die Möglichkeiten per se.
Die Mundöffnungszeremonie in Ägypten
Die Ägypter*innen glaubten an ein Leben nach dem Tod im Jenseits: Spätestens, seit die Pyramiden und Sarkophage von Tutenchamun und seiner Entourage gefunden wurden, gehört der ägyptische Totenkult zum Allgemeinwissen. Doch damit die Verstorbenen auch gut vom irdischen Leben ins Himmelreich übertreten konnten, mussten einige Dinge bewerkstelligt werden. Ein wichtiger Punkt hierbei war die Mundöffnungszeremonie - ein Ritual zur Belebung und Beseelung der Toten, damit Tutanchamun und Co. mit allen körperlichen Funktionen für das Jenseits ausgestattet waren. Bei dem Ritus wurde der Mund zunächst nur mit einem Stab berührt und daraufhin mit mehreren Werkzeugen umständlich geöffnet. Dann wurden zuerst der Sarkophag und anschließend das Grab versiegelt. Der Verstorbene war bereit für das Jenseits. Doch da der Tote dem Glauben nach trotz des verschlossenen Grabes noch anwesend war, hielten die Angehörigen ein Festmahl vor dem Bestattungsort ab - mit Speisen und viel Wein, um in die Sphären der Verstorbenen zu trinken.
Im Fall des Pharaos Tutanchamun gibt sein Grab übrigens übrigens Hinweise darauf, dass sein Tod geplant gewesen sein könnte: In Pharaonengräbern war es üblich, die Mundöffnungszeremonie und den Zeremonienmeister an die Grabwände zu malen. Sollte ein Pharao aber frühzeitig sterben, mussten die Arbeiten am Grab sofort eingestellt werden. Da Tutanchamun nun mal sehr jung starb, nämlich mit 19 Jahren, hätte es in seinem Grab der Logik halber gar keine Darstellung der Mundöffnung geben dürfen. Doch nun dürft ihr dreimal raten, wer im Fall des sagenumwobenen Pharaos als Zeremonienmeister an die Grabwände gemalt wurde? Richtig, der 50 Jährige Berater Tutanchamuns. Klingt also fast nach Intrige, oder?
Das Festessen in Papua
Ganz weit im Süden dieser Welt, auf Papua-Neuguinea, hatte ein Stamm bis vor rund einem halben Jahrhundert eine ziemlich, naja sagen wir - für allermeisten wohl - schockierende Angewohnheit: Um ihren Vorfahren auch nach dem Tod nahe sein zu können, aßen die Menschen des Fore-Stamms das Fleisch der Verstorbenen - um genauer zu sein: ihre Gehirne - als Ausdruck des Respekts und der Trauer. Doch die Kondolenzen hatten unvorhergesehene Folgen: Durch das Trauerritual verbreitete sich das Kuru-Virus, die menschliche Variante des Rinderwahns, bei dem das Gehirn über lange Zeit hinweg löchrig wird. Als Konsequenz verbot die australische Regierung das Ritual Ende der 50er Jahre, denn bis 1975 (bis zur seiner Unabhängigkeit) gehörte das Land zu Australien.
Folglich sollte es also ruhig geworden sein, um das Kuru-Virus. Doch vor kurzem machten Forscher*innen eine spannende Entdeckung: Nach einer Kuru-Epidemie waren einige der einstigen Kannibal*innen, die am Hirnessen teilgenommen hatten, immun geworden gegen das Virus. Ihre Körper hatten innerhalb kürzester Zeit ein "Anti-Kuru-Gen" entwickelt. Vielleicht ein Hoffnungsschimmer auf der Suche nach einem Impfstoff gegen die sogenannten Prionen-Erkrankungen wie Rinderwahn und die ebenso ähnliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit - dem Ahnenritual sei Dank.
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