Wallows: Tell Me That It's Over

Wallows: Tell Me That It's Over

Das Album der Woche

Oh nein, nicht schon wieder sich selbst überschätzende Schauspieler mit Instrumenten! Aber nicht so schnell…

Klar zuckt man bei so einer Bandgeschichte gerne schnell zusammen:

Der Schauspieler, der mit 13 Reasons Why seinen großen Durchbruch hatte, will jetzt auch den musikalischen Durchbruch. Und neben Dylan Minette ist mit Braeden Lemasters sogar noch ein zweiter Schauspieler in der Band dabei. Kann das wirklich auch nur ansatzweise hörenswert sein, oder wird hier nur vertonte Selbstüberschätzung serviert?



Mehr The Strokes als Scream

Keine Sorge, Tell Me That It’s Over gibt da ziemlich schnell Entwarnung. Ihr zweites Album zeigt: Die Jungs haben kein krankhaftes Bedürfnis, sich selbst in den Mittelpunkt zu schieben. "Hard To Believe" eröffnet die Platte mit gefiltertem Streichersynthie, bevor ein düsteres wabern übernimmt. Darüber mimt Dylan den Julian Casablancas, bis dann zum Ende doch die verzerrten Gitarren einsetzen dürfen und verfremdetes Klaviergeklimper den Song beendet.

Allein schon mit dem Openertrack haben die Wallows also ein ziemlich beachtliches Klangspektrum abgeliefert – die Jungs nehmen ihre Musik auf jeden Fall ernst.


Zu verkopft wird es aber natürlich auch nicht. "I Don’t Want to Talk" kommt als geradliniger Ohrwurmtrack daher. Aber auch hier zeigen die Wallows ihre Liebe für Soundvielfalt: Der Track bringt fiepende Synthies, Mundharmonika und ein Schlagzeugsolo, dass wohl mit einem Guitar Hero Drumcontroller eingespielt wurde, unter einen Hut. Nichts davon klingt überfordernd oder unnötig – man groovt beim Hören einfach locker zu Dylans Gesangsmelodien mit und entdeckt halt nebenher bei jeder neuen Runde etwas Neues.

Kein Song hat sich nach dem ersten Chorus auserzählt, jeder hat noch diesen einen Kniff, der ihn hörenswert macht.

An vielen Stellen erinnern Dylan, Braeden und Cole dabei an die neuen amerikanischen Indierock-Giganten Vampire Weekend oder Haim. Und das nicht ganz ohne Grund: Denn mit Ariel Rechtshaid haben sich die Wallows einen Produzenten ausgesucht, der nicht nur beide Bands mitproduziert und geprägt hat: Ariel versteht auch wie sonst kaum ein anderer, wie man gute Popsongs mit fantasievollen Sounds aufwertet.


 

Keine Rock Apostel

Wenn die Platte dann mit "Guitar Romantic Search Adventure" nach einer guten halben Stunde ausklingt, hat man erstaunlich wenig Grund, genervt zu sein. Auch weil sich die Wallows eben genau verstanden haben, was sie können – und was sie vielleicht lieber anderen Bands überlassen. Fast alle Songs drehen sich um private, zwischenmenschliche Situationen. Große politische Kommentare lassen die Wallows lieber aus. Das mag in einer Zeit, wo so gut wie alles ein Statement sein muss, etwas merkwürdig anmuten. Aber das Trio hat eben verstanden, dass man als Schauspieler im sonnigen LA vielleicht nicht für jeden komplexen Konflikt eine Antwort parat hat. Die Wallows wollen nicht in dreieinhalb Minuten die Welt retten: Sie wollen auf Tell Me That It's Over einfach nur Musik machen und eine Ablenkung bieten – mit beeindruckend kreativen Popsongs.

Weniger Größenwahn kann eine Schauspielerband kaum zeigen.

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Tracklist: Wallows - Tell Me That It's Over


01 Hard to Believe
02 I Don't Want to Talk
03 Especially You
04 At the End of the Day
05 Marvelous
06 Permanent Price
07 Missing Out
08 Hurts Me
09 That's What I Get
10 Guitar Romantic Search Adventure


Tell Me That It's Over von Wallows wurde am 25. März 2022 bei Atlantic Records veröffentlicht.

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