Braucht es wirklich noch ein Radiohead-Nebenprojekt? Auf jeden Fall!
Warum gibt es diese Band überhaupt?
Klingt ganz schön harsch, aber diese Frage haben sich bei The Smile wohl ziemlich viele Menschen gestellt. Klar, ein Soloprojekt ist nicht wirklich was neues, auch Supergroups gibt es mehr als genug – aber die Kombination bei The Smile ist schon ziemlich einzigartig. Hier treffen sich mit Thom Yorke und Jonny Greenwood die beiden kreativen Anführer von Radiohead wieder – brauchen die denn wirklich eine neue Band?Auf diese Frage liefert das Debütalbum A Light For Attracting Attention jetzt zwar nicht wirklich eine Antwort – dafür aber unglaublich gute Musik.
Hier wird nicht gelacht!
Manche Künstler*innen nutzen ein Nebenprojekt ja gerne, um sich mal in anderen Klangwelten auszutoben. Aber bei The Smile wird schnell klar: Hier steckt ganz eindeutig die Radiohead-DNA drin. Abgehackte Synthienoten schrauben sich bedrohlich langsam hoch, während Thom Yorke in seiner einzigartigen Art und Weise ins Mikrofon säuselt – "The Same" fängt genau die Stimmung ein, die der Sänger so gerne heraufbeschwört. A Light For Attracting Attention tritt aber nie wirklich auf der Stelle - kaum ein Song klingt wie der Vorgänger. Auf ein punkiges "You Will Never Work In Television Again" folgt mit "Pana-vision" eine geisterhafte Ballade, nach dem elektronisch verspulten "Waving A White Flag" packen das Trio mit "We Don't Know What Tomorrow Brings" feinsten In Rainbows-Indierock.Für The Smile läuft Thom Yorke im Schnelldurchlauf durch all seine bisher durchgemachten Soundphasen.
Der Sänger hat sich in den letzten Jahren ja sowieso nicht wirklich rargemacht. Die größere Überraschung bei The Smile ist wahrscheinlich, dass Jonny Greenwood nach all den Ausflügen in die Filmmusik ernsthaft wieder die Gitarre in die Hand genommen hat. In "The Opposite" und vor allem "Thin Thing" darf der Ausnahmegitarrist wieder herrlich komplizierte Riffs zum Besten geben. So gitarrenlastig haben sich Yorke und Greenwood schon lange nicht mehr gezeigt – Hail to the Thief und sogar The Bends lassen grüßen.
Aber auch der Neuzugang im Bunde weiß zu begeistern: Tom Skinner, eigentlich Drummer der Sons of Kemet, lässt den beiden Radiohead-Köpfen zwar immer schön das Rampenlicht, aber er begleitet jede Idee der beiden absolut perfekt. Während er in "Speech Bubbles" hauchzart seine Toms streichelt, findet er für "The Smoke" einen grandiosen Begleiter zum Basslauf – und "You'll Never Work in Television Again" bekommt ein Postpunk Feuerwerk unter das Gitarrengeschredder gepackt.
Großartige Druckbewältigung
Man merkt schon: Vor allem Radiohead-Fans kommen hier voll auf ihre Kosten. Thom singt motiviert über demotivierende Aspekte der Gesellschaft, Jonny spielt so viele Instrumente gleichzeitig, dass das Fehlen von Ed und Colin nicht allzuschwer auffällt und Tom Skinner vertritt Phil Selway mehr als würdig.Trotzdem bleibt natürlich die große Frage nach dem Warum. Wieso eine neue Band gründen, wenn der Sound relativ gleich bleibt und die gleichen Köpfe mit dabei sind? Vielleicht weil es für die beiden gar nicht mal so einfach war, einfach eine neue Platte rauszubringen, ohne gleich wieder gegen die eigene Vergangenheit anzutreten. Die Namen Yorke und Greenwood bringen einen großen Teil der Musikwelt komplett zum Ausrasten, während ein auch nicht zu vernachlässigender Teil allein schon beim Lesen die Augen verdrehen muss – und von einem Radiohead-Album erwartet man mittlerweile nicht mehr einfach "nur" ein Meisterwerk, sondern ein erdrutschartiges Ereignis wie damals bei KID A oder OK Computer. The Smile ist für die beiden also eine Möglichkeit, den riesengroßen Druck zumindest ein bisschen hinter sich zu lassen: Hier können sie sich wiederholen, so viel sie wollen und einfach die Musik machen, die sich gerade richtig anfühlt - und liefern so Songs ab, die sich eigentlich nicht mal vor den ganz großen Werken im Radiohead-Katalog verstecken müssen.
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