Diese Band ist purer Cringe – und genau deswegen so großartig.
Ja, schon klar: Mit The 1975 muss man sich erst ein wenig anfreunden.
Und das ist manchmal gar nicht so einfach. Als ich als junger, naiver Musikredakteur zum ersten Mal "The Sound" hören musste, habe ich damals ehrlichgesagt auch die Unfehlbarkeit meiner Chefs infrage gestellt. Abgesehen davon kann einem Sänger Matt Healy mit seinem dezenten Größenwahn schon auch echt auf die Nerven gehen.Aber auf wundersame Weise gehört das alles zum Gesamtwerk mit dazu.
Wenn man The 1975 mal im Kopf hat, ist es nahezu unmöglich, sie wieder nach draußen zu verbannen. Und haben sich die übertrieben catchigen Hooks mal im Ohr festgesetzt, kann man irgendwann nicht mehr darüber weghören, wie viel clevere Sachen sie eigentlich zu sagen haben.
Ob man sie mag oder nicht: The 1975 sind wohl oder übel eine Band, die man nicht mehr ignorieren kann – und auch nicht sollte, wie Being Funny In A Foreign Language eindrucksvoll zeigt.
Zurück aufs Wesentliche.
Nach zwei größenwahnsinnigen und stilistisch komplett durchgedrehten Alben klingt die neue Platte Being Funny in A Foreign Language fast schon ein wenig bescheiden. Vor zwei Jahren durfte noch niemand geringeres als Greta Thunberg das Intro sprechen, dieses Mal singt Matt wieder selber. Die Vorabsingles waren früher noch gesellschaftskritische Manifeste, angereichert mit Donald Trump-Zitaten über Kanye West – dieses Mal ging's bei "Happiness" einfach nur ums verknallt sein. Und jetzt, wo die ganze Platte da ist, merkt man schnell: Das war kein Ausreißer. Being Funny In A Foreign Language sprüht nur so vor Frühlingsgefühlen und quietschbunter guter Laune.Dabei gehen The 1975 nicht nur an die Grenze zum Kitsch – sie spazieren ohne Rücksicht auf Verluste einfach drüber und ziehen alle Zuhörer*innen mit.
Wer jetzt aber fürchtet, dass vor lauter Liebe die zynische Cleverness verloren gegangen ist, kann sich entspannen: Matt Healy textet immer noch wie jemand, der zu viele Tabs im Browser offen hat. Beim ersten Hören klingen alle Songs nach Liebeserklärungen, bis dann plötzlich Textzeilen über die Incelbewegung, weiße Privilegien und Cancel Culture aufploppen und dem scheinbar seichten Pop plötzlich doch ziemlichen Tiefgang verleihen.
Im falschen Jahrzehnt.
Nicht nur bei den Songtexten denken The 1975 dieses Mal ein bisschen anders: Scheinbar haben die Jungs auch fürs Erste genug von wilden Genrebrüchen. Wo Notes On A Conditional Form wie wild zwischen Hardcore, Techno und Indie hin und hersprang, bleibt Being Funny in a Foreign Language deutlich mehr in der Spur. Nach kurzem LCD Soundsystem Zitat im Intro der Platte grooven sich The 1975 in einem kuschligen 80s Pop Spektrum ein. Synthiewände, mächtig viel Saxofon und klirrende Gitarrenriffs wechseln sich flüssig ab.Die Platte sollte organischer klingen als die Vorgänger, deswegen hat sich die Band dieses Mal auch komplett ins Studio gesetzt und anstatt einzelner Spuren nacheinander die Songs komplett am Stück aufgenommen. Außerdem haben sie sich einen mehr als bekannten Produzenten mit dazu geholt: Jack Antonoff durfte nach Lana del Rey, Lorde und Taylor Swift jetzt auch die Soundvision von The 1975 mitproduzieren. Und spätestens nach "Looking For Somebody (To Love)" kann man diesen Einfluss auch nicht mehr überhören.
Was bedeutet das jetzt, wenn sich eine Band, die sich selbst ziemlich wichtig hält, plötzlich nur noch Lovesongs im Kopf hat?
Das klingt ja schon erst mal wie ein Rückschritt, aber vielleicht ist es einfach nur ein veränderter Fokus. The 1975 haben in den letzten Jahren ziemlich viele Fragen über das Leben, das Universum und den ganzen Rest gestellt – Sachen, auf die es meistens keine Antwort geben wollte. Kein Wunder, dass sie darauf keine Lust mehr hatten: Anstatt sich also wieder auf die hoffnungslose Gesellschaft zu stürzen und wieder im Frust aufzugehen, wollten sie sich eben den wenigen übrig gebliebenen schönen Sachen widmen.
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