Sohn: Trust

Sohn: Trust

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Der grüblerische Einzelgänger entdeckt die Macht der Freundschaft.

Egal wie lange man schon dabei ist: Es ist immer eine riesengroße Herausforderung zutiefst persönliche Dinge mit der ganzen Welt zu teilen.

In gewisser Weise lädt man da schließlich wildfremde Leute in den eigenen Kopf ein – und muss dann zum Deeptalk auch noch extra Kaffee servieren. Also nur verständlich, dass sogar jemand wie Christopher Taylor sich am Abend vor dem Albumrelease mit ziemlichen Zweifeln rumschlagen muss. "Wir versuchen alle unser bestes, bitte versucht nett zu sein" twitterte der den meisten wohl als Sohn bekannte Musiker, kurz bevor sein drittes Album die Türen zu seiner innersten Gedankenwelt sperrangelweit aufgerissen hat.

Wirklich Mühe geben muss man sich aber nicht, um nett zu sein – denn in Trust kann man sich sogar ziemlich schnell verlieben.


 

Schwere Wiedergeburt

Dabei waren die Vorzeichen für Sohn erstmal ziemlich mies: Nach Rennen quälte sich der Weltenbummler fast fünf Jahre mit dem potenziellen Nachfolger herum. Zwischen einem Umzug nach Spanien und dem Familienleben als dreifacher Vater ging ihm die Verbindung zur eigenen Musik verloren. Für einen aller letzten Versuch das Album fertig zu machen ging Sohn nochmal nach Los Angeles – der Ort an dem Rennen entstand. Dort kam dann der radikale Schritt: Das Album an dem er quälend lange gearbeitet hatte landete im Papierkorb.

Sohn musste sich vom alten freimachen, um wieder zur Musik zurück zu finden.


Das bedeutete nicht nur die alten Songs mal beiseite zu legen, sondern auch die Arbeitsweise von Grund auf zu verändern. Sohn hatte eigentlich immer gerne alles ganz genau im Griff - für Trust holte er sich trotzdem den Produzenten Yakob mit ins Studio, dem er sogar einiges an kreativer Kontrolle anvertraute. Um nicht schon wieder alles zu zerdenken, überließ er Yakob sogar alle Soundfiles auf dem Computer.

Ein Schritt der ziemlich viel Vertrauen gebraucht hat – und damit auch gleich das Thema und den Titel des neuen Albums festgezurrt hat.




Vertraute Fremde

Neben dem Vertrauen gegenüber anderen Menschen musste sich Sohn aber auch selbst verlassen und sich trauen auch mal anders zu klingen. Zwar klingt Trust immer noch eindeutig nach Sohn, das ist bei seiner Stimme wohl auch kaum anders möglich, aber seine Musik findet jetzt nicht mehr nur im elektronischen Raum statt. "Antigravity" eröffnet das Album mit verzerrten Gitarrennoten, "Figureskating, Neusiedlersee" fügt Streicher und Bläsersätze hinzu, die wohlige Erinnerungen an Bon Iver herbeizaubern und "Riverbank" klingt mit seinem Rhodespiano und Handclapbeat fast schon nach Lagerfeuergospel. Komplett ohne Elektronik kommt Trust natürlich auch nicht aus, vor allem die Rhythmusabteilung in "M.I.A." darf ordentlich wummern. So greifen elektronische und akustische Sounds eindrucksvoll harmonisch ineinander und verschmelzen zu etwas Neuem.

Ein absolut passender Sound für einen mitreißenden Ausflug in die  Welt eines Künstlers, der sich selbst wiedergefunden und gleichzeitig neu definiert hat.

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Tracklist: Sohn - Trust

  1. Start
  2. Antigravity
  3. Figuresskating, Neusiedlersee
  4. M.I.A.
  5. I Won't
  6. Riverbank
  7. Life Behind Glass
  8. Truce
  9. Montardit
  10. Segre
  11. Station
  12. Basis
  13. Caravel

Trust von Sohn wurde am 02. September 2022 digital via 4AD veröffentlicht. Der physische Release folgt am 4. November.

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