Roosevelt - Roosevelt

Roosevelt - Roosevelt

Der Lieblingstonträger der Woche

Lange Wartezeit, hohe Ansprüche, vollste Zufriedenheit. Roosevelt ist nicht aus der Ruhe zu bringen und liefert sein Debütalbum genau im richtigen Moment.

Wo bleibt das Album?

Zum egoFM Fest Anfang April hatte Lola die Gelegenheit, Roosevelt diese Frage zu stellen. Seine Antwort fällt gelassen aus. O-Ton: "Ich weiß nicht, wann es kommt, aber ich werde mir keinen Stress machen und wenn es kommt, wird es gut." Jetzt ist es da - und es ist wirklich gut. Es trägt den Namen des Künstlers und zeichnet seine Geschichte.

Wir spulen auf Anfang und zeichnen nach

Intro. Etwas baut sich auf.

Es rückt aus dem Nichts in den Vordergrund und nimmt Fahrt auf, kommt in Schwung. Im Hintergrund die Gegenschwingung, eine Vibration, die immer langsamer wird. Wir befinden uns in Roosevelts Kindheit, bei den musikalischen Anfängen. Marius Lauber aus Viersen an der holländischen Grenze unternimmt erste Versuche am Klavier, gefolgt von Gitarrenstunden in der 5. Klasse – weil plötzlich alle Schulfreunde ein Instrument in der Hand halten. Ein Interesse an Musik und ein Gespür für Harmonien vibrieren da schon immer irgendwo, die Herangehensweise bleibt experimentell und der Lernrhythmus unbeständig.

Auf dem Album Roosevelt mischen sich am Ende der anderthalbminütigen Ouvertüre die gegenläufigen Ströme zu einem weichen, pulsierenden Klangteppich, dem der erste Track "Wait Up" entwächst. Es ist der letzte Song, der fertiggestellt wurde; uns bringen die End-70er-California-Discosounds in Roosevelts Jugend, der bisher noch Marius ist.

Mit 16 haben die Schulfreunde genug Erfahrung gesammelt, um eine Freizeitband zu gründen, die zwei Jahre später den Namen Beat! Beat! Beat! erhält und reif für die Öffentlichkeit wird. Und plötzlich überrollt der Erfolg die vier Jungs – auf die Debüt-EP Stars folgt ein Jahr später das erste Album Lightmares. Der New Musical Express (NME) lässt die Bezeichnung "die deutsche Antwort auf die Foals" fallen, die an den 18-Jährigen hängt wie ein Untertitel zum Bandnamen – in goldenen Buchstaben.

"Wait Up" hallt mit fast genau denselben Klängen aus wie das Intro. Und im Lebenslauf von Marius schließt sich ein Kreis an einem Punkt, an dem andere Musiker den Schleudersitz erst aktivieren. Denn da summt noch musikalische Energie, die genutzt werden will. Der Abnabelungsprozess von der Indierockband beginnt, der erste Schritt als Solomusiker wird gedacht.

Auf dem, was einige Jahre später sein Debütalbum werden soll, sind wir inzwischen bei "Night Moves" angelangt. Eine Ode an das Nachtleben, wie der heutige Roosevelt sagt. Mehr Beat, mehr Drive, und eine Singstimme, deren Widerhall von Betonwänden voller Graffiti hin- und hergeworfen wird.


Inzwischen macht Marius sein eigenes Ding. Natürlich vermisst er die Bandzeiten manchmal. Aber es gab einfach zu viel, was ausprobiert werden wollte, zu viele dringende Ideen, die der Demokratie einer Band aus vier Freunden zum Opfer fielen. "Belong" begrüßt uns als nächstes auf der Platte und spielt fernab der Indie-Tradition unter anderem mit Laserkanonen- und Drumsounds aus den 80ern.

"Moving On" verdankt seine Individualität vor allem dem völlig unerwarteten, kecken Saxophon auf den letzten Metern. Es ist der Bruch mit der Tradition, das Puzzleteil, das lang gesucht und schließlich in einer ganz anderen Schachtel gefunden wurde. Marius kämpft lange mit dem halb fertigen Song, bis die zweite Hälfte zu ihm findet. Als Antwort auf die zuvor gestellte Frage, wie der Künstler selbst sagt. Was entsteht, ist ein ausgefeilter, vielschichtiger Song, eine vertonte Geschichte, deren Wendepunkt zu Marius' euphorischsten Momenten auf der Bühne und auf dem Album werden soll.

Marius wird klar, dass er sich auch alleine trauen kann, Roosevelt schält sich heraus. Die Beat! Beat! Beat! Vergangenheit verschmilzt mit Einflüssen der Kölner Elektroszene und dem ganz eigenen Output zu Songs, die die persönliche Roosevelt-sprache sprechen. Herzensangelegenheiten von Marius. Wir sind bei "Heart" angelangt.

Dann der Karrieredurchbruch – und da sind sie auch auf dem Album: "Sea" – der Song, der auf YouTube Joe Goddard von Hot Chip auffällt, und "Colours", in das wir uns sofort verlieben. Roosevelt sagt über sich selbst, er spiele alle Instrumente, aber alle schlecht. Gleichzeitig beweist er, dass es nicht nur die Technik an den Saiten oder den Sticks ist, die einen guten Song ausmacht, sondern eben die Komposition der eventuell simplen Einzelteile zu einem neuartigen, komplexen und doch abgerundeten Ganzen. Dabei kann er auf zwei Dinge vertrauen: die Fähigkeit, abwarten zu können bis eine Idee gereift ist und die Gabe, genau diesen Moment zu erkennen, wenn er da ist. Beinahe wie der Hund im Video zum Song "Sea", der instinktiv den Weg zum Meer findet und dort dann erst mal stehen bleibt, um die Eindrücke in sich aufzunehmen.

In Marius' Leben ist mit "Sea" der Stein ins Rollen gekommen.

Die ersten Singles werden auf einem englischen Label veröffentlicht und somit erschließt sich sofort auch Publikum im Ausland. Auf dem Album folgt der Instrumentaltrack "Daytona", der den Song "Fever" vorbereitet.
"Daytona" erinnert an das Intro, 2 Minuten 53 um tief Luft zu holen, abzutauchen und den Kopf abzukühlen. Jetzt nichts überstürzen, lautet die Botschaft, und auch in Roosevelts Karriere sind wir an diesem Punkt angekommen: Die erste Tour bestreitet er mit gerade mal vier Songs. Aber anstelle von Starallüren sind da Vernunft und Gelassenheit: Jetzt erst mal die Notbremse ziehen und das Album fertig machen. Beim Songwriting schließt er immernoch die Augen und wartet, bis die Musik zu ihm findet. Und keine Angst vor ehrlichem Feedback: Menschen, die sich im Club zu Songs wie "Fever" bewegen, versichern ihm, dass Roosevelt auf dem richtigen Weg ist.

Inzwischen sind wir im Jetzt angekommen.

"Hold On" ruft eindeutige Assoziationen zu Totally Enormous Extinct Dinosaurs hervor, ist aber weniger aufgekratzt. Mit dem Dinosaur tourte er schon 2012. Aber anstatt nach dem musikalischen Senkrechtstart abzuheben, hat er sich seine Gelassenheit nicht nur bewahrt, sondern professionalisiert. Er beschreibt sich selbst als zurückhaltend, euphorisch und laut – und er kann auch mal jemand anderem zuhören als sich selbst: Manchmal spielt er Schlagzeug und hört gleichzeitig über In-ear-Kopfhörer Hörbücher. Dem brauchen wir eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Auch auf dem Album sind wir beim letzten Titel: "Close". Hauchend und gedankenverloren schwimmt der Song in den Kopf und füllt ihn aus. Er knüpft an an das Intro und den Instrumentaltrack in der Mitte und bringt das Album ungezwungen, aber auch unweigerlich zum Ende. Doch in den letzten Sekunden stolpert plötzlich der Rhythmus. Drei Tropfen jenseits der bisherigen Tonart und des Takts stellen alles in Frage: War das wirklich der Schluss?

Roosevelt reitet gerade auf der Welle, tritt mühelos an einem Tag zwischen zwei Rockbands auf und gibt am nächsten den Live-Act vor DJ Koze. Jetzt ist es da, sein Debütalbum. Nicht zu früh und nicht zu spät. Mit dem inzwischen vertrauten Frontalportrait auf dem Cover, ein lässiger Blick. Aufs Wesentliche gerichtet. Das war nicht der Schluss. Eher: Vorhang auf, let the show begin.



Tracklist: Roosevelt - Roosevelt

  1. Intro
  2. Wait Up
  3. Night  Moves
  4. Belong
  5. Moving On
  6. Heart
  7. Colours
  8. Sea
  9. Daytona
  10. Fever
  11. Hold On
  12. Close

Roosevelt von Roosevelt erscheint am 19. August 2016 via Universal.

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