Ein zuckersüß-bitteres Album über tiefsitzenden Frust.
Bei manchen Künstler*innen weiß man schnell: Hier wird es an die Substanz gehen.
Und Mitski verliert nach der Albumankündigung nicht viel Zeit, um gleich mal Tränen zu vergießen: "Working for the Knife" erzählt von regelmäßigen Nervenzusammenbrüchen im Kino:"I cry at the start of every movie / I guess 'cause I wish I was making things, too / But I'm working for the knife"
Den Frust, wenn man nicht mehr für sich selbst arbeitet, sondern nur noch für jemand oder etwas anderes, kennt wahrscheinlich jeder Mensch, der zu lange im gleichen Büro gesessen ist.
Aber solche Wörter von Mitski? Die Sängerin, die regelmäßig Bestenlisten anführt und sowohl von Kolleg*innen als auch von der internationalen Musikpresse fast schon abgöttisch verehrt wird?
Tränen im Kinosaal
Das mit der Verehrung kann eben schnell zum zweischneidigen Schwert werden: Mitski hatte sich während der langen Tour zum hochgelobten Be The Cowboy plötzlich von der eigenen Musik entfremdet. Ihre Songzeilen sind zwar längst zu Tattoos auf der Haut von Fans geworden, sie selbst fühlte sich aber so, als würde sie auf der Bühne in eine Rolle hineingezwängt werden. Angeblich wollte sie die Karriere sogar ganz an den Nagel hängen, allerdings war der Vertrag mit dem Label noch nicht abgelaufen.Aber anstatt den leichten Weg zu nehmen und ein bequemes Album zur Vertragserfüllung vorzulegen, zieht Mitski für Laurel Hell die Maske ab – und unter der Maske steckt ganz schön viel Frust.
Nicht nur über die eigene Karriere, auch viel über Beziehungen. "Should’ve Been Me" versucht über beschwingten 80s Pop ein dysfunktionales Verhältnis aufzubrechen, "That’s Our Lamp" versucht vergeblich die Scherben wieder zusammenzukehren und in "The Only Heartbreaker" wird der*die Partner*in angefleht, auch mal einen Fehler zu machen – nur damit Mitski am unvermeidlichen Ende endlich einmal nicht als die Alleinschuldige dastehen muss.
Laurel Hell sucht selten nach einfachen Antworten: Probleme dürfen komplex und vielschichtig sein. Das macht die Platte zu keinem einfachen, aber umso großartigeren Hörerlebnis.
Mit Synthies gegen Herzschmerz
Obwohl die Songtexte nur so vor Herausforderungen und Komplexität strotzen, gönnt sich Mitski beim Sound mehr als nur einmal beschwingte Popeinlagen und greift hemmungslos zum Synthesizer. Man groovt sich also zu ziemlich krassen Gegensätzen ein: "Stay Soft" und "Should’ve Been Me" könnten in jeder Indiedisco laufen (sofern sie denn geöffnet wären), "The Only Heartbreaker" ist wahrscheinlich Mitskis bislang größter Ausflug in die geradlinige Popmusik und auch "Love Me More" vertont den Frust über die eigene Karriere mit ausladendem Poppiano. Aber auch ruhigere Momente finden ihren Platz, wenn "Heat Lightning" Schlafstörungen mit geisterhaftem Klavier hörbar macht legt Laurel Hell einen sowohl düsteren als auch epischen Höhepunkt hin.Für eine Platte, die gar nicht entstehen hätte sollen, klingt das Songwriting auf Laurel Hell also erstaunlich herzergreifend - so wie man es eben von Mitski gewohnt ist. Und auch wenn die meisten Songs entstanden sind, bevor die Pandemie jeden Aspekt unseres Lebens umdefiniert hat, trifft die Platte erstaunlich viele Nerven: Egal ob Homeofficefrust, digitaler Beziehungsstress oder Sehnsucht nach Nähe: Mitski findet für jedes noch so schwierige Thema Platz und liefert zwischen allem Frust eben doch noch den ein oder anderen Funke Hoffnung. Und wenn es nur ein Ohrwurmrefrain ist.
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