Loyle Carner: Not Waving, But Drowning

Loyle Carner: Not Waving, But Drowning

Der Lieblingstonträger der Woche

Loyle Carner legt nach: auf seinem neuen Album kehrt er wieder sein Innerstes nach außen. Untermalt von entspannten Beats, Soul- und Jazzklängen.

Vor ein paar Jahren noch war Benjamin Coyle Larner ein Nobody, der gerne mit seinen Freunden auf dem Schulhof rappt. Mittlerweile ist er ein bisschen älter geworden, kann mit 24 Jahren schon ein zweites Album vorweisen und ist aus unserem Musikprogramm und auch von keinem größeren Festival mehr wegzudenken.

Loyle Carners Geheimrezept?

Seine Liebe zum Oldschool-Sound hat Loyle Carner zu seinem Markenzeichen gemacht. Nicht unbedingt, weil er aus der Masse an Trap und AutoTune-Verfechtern herauszustechen versucht, sondern weil es das ist, was seinen Songs und seinem Flow schon immer am besten steht. Downtempo ist sein präferiertes Tempo. Mit Klavier, sanften Drumbeats und Bläsern hier und da kocht Loyle Carner auf Not Waving, But Drowning wieder einen verführerischen Mix aus Rap mit Boom bap-Appeal, Soul und Jazz.

Dass der Londoner neben seiner Zeit im Studio passenderweise auch gerne in der Küche steht, dürfte mittlerweile allgemein bekannt sein. Dass er an ADHS leidet, ebenfalls. Diese beiden Seiten von sich hat Loyle Carner schon vor einigen Jahren in eine Kochschule für Kinder mit ADHS gesteckt. Wundert deshalb also so gar nicht, dass zwei Songs auf seinem neuen Album Not Waving, But Drowning die Namen berühmter Köche tragen - Ottolenghi und Carluccio.

Kochen ist Meditation

Klar aber auch, dass es in den Songs nicht etwa um Banales wie Kochrezepte geht. Loyle Carner nimmt die Küche oft als Ausgangspunkt für seine Songs, die sich dann in eine ganz andere Richtung entwickeln: In "Ottolenghi" ist das Kochbuch, besagte 'Kochbibel' von Yotam Ottolenghi, der Beginn eines Gesprächs mit Fremden in der Bahn - und führt daraufhin in die innere Gefühlswelt von Loyle Carner. 
"They ask about the bible I was reading. Told them that the title was misleading, labelled it jerusalem. But really it's for cooking middle eastern. [...] Wonder if I'll have a son or a daughter. Ones that I brought up never strong, never telling me to run. Never tried to find a sum, tryna get it done. Yo, I wonder if she'll ever be as clever as her mum, one."

Loyle Carner ist Geschichtenerzähler. Deswegen ist es ihm auch wichtig, dass alles auf Not Waving, But Drowning miteinander verbunden ist. 


Die Tracks auf dem Album sind mit Outros versehen, die smoothe Übergänge schaffen und den Zuhörer durch das große Ganze führen.
Mal hören wir Loyle Carner, wie er sich einen Snack an einem Imbiss holt, mal ist er dabei (und wir auch), als ein Taxifahrer mit dem Sohn telefoniert, und Loyle Carner zeigt ihm Ausschnitte von einem neuen Song.
Zur Mitte des Albums erfahren wir dann auch, was es mit dem Albumtitel auf sich hat: Not Waving, But Drowning ist ein Gedicht der britischen Autorin Stevie Smith. Es erzählt die Geschichte eines Mannes, der ertrinkt und hilfesuchend mit den Armen durch die Luft rudert. Die Passanten am Ufer denken aber, dass er ihnen bloß zuwinkt. Der Ertrinkende ist ein Symbol dafür, dass wir uns im Bezug auf unsere Gefühle oft verstellen und deswegen ebenso schnell missverstanden werden können.


Mamas Boy

Wie schon auf seinem Debüt macht Loyle Carner kein Geheimnis daraus, dass seine Mama eine der wichtigsten Menschen in seinem Leben ist.

Alleine der Albumopener ("Dear Jean") ist dafür Statement genug. Neu ist aber die Tatsache, dass es eine neue Frau in Bens Leben gibt, mit der er seine eigene Familie gründen will. Mit der Liebe kommen aber nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen, sondern gleichzeitig viel Unsicherheit und ungeahnte Ängste, deswegen reicht das Stimmungsbarometer auch von glücklich und entspannt bis ins Melancholische.

Not Waving, But Drowning - auch Loyle Carner selbst droht manchmal in seinen Gefühlen zu ertrinken.

Der Rettungsreifen ist für ihn ganz klar seine Familie, bei der er sich für die emotionale Rückendeckung bedankt und für alles, was er von ihr gelernt hat. Und nachdem Loyle Carner seine Mum auf dem Album mehrfach erwähnt, zitiert und in den vorangegangenen Tracks direkt zu ihr gesprochen hat, bekommt Mama Jean am Schluss (wie schon auf dem ersten Album Yesterday's Gone) selbst einen Auftritt. Wer den Familiennamen Colye Larner in der Tracklist hinter dem feat. entdeckt, ist vielleicht kurz irritiert - so ging es uns zumindest, weil so sehr haben wir uns schon an das Alias mit den verdrehten Buchstaben gewöhnt und schon vergessen, dass Loyle Carner eigentlich Benjamin Coyle Larner heißt.

"Dear Ben" ist ein Brief, ein Gedicht an ihren Sohn, in dem Jean Coyle-Larner ihrem Sohn, kitschig ausgedrückt, ihren Segen gibt für alles, was jetzt kommt und noch kommen mag. Ein Glück hat er, der Junge. Und ein Glück, dass er uns so sehr an seinem Leben teilhaben lässt.



Tracklist: Loyle Carner - Not Waving, But Drowning

1. Dear Jean
2. Angel feat. Tom Misch
3. Ice Water
4. Ottolenghi feat. Jordan Rakei
5. You Don't Know feat. Rebel Kleff & Kiko Bun
6. Still
7. It's Coming Home?
8. Desoleil (Brilliant Corners) feat. Sampha
9. Loose Ends feat. Jorja Smith
10. Not Waving But Drowning
12. Krispy
13. Sail Away (Freestyle)
14. Looking Back
15. Carluccio
16. Dear Ben feat Jean Coyle Larner

Not Waving, But Drowning von Loyle Carner wurde am 19. April 2019 via Universal veröffentlicht.

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