Grossstadtgeflüster sind keine Misanthropen, einfach nur missverstanden. Oder: Wie man in einer Welt voller Bekloppter klar kommt.
"Bisschen stänkern, bisschen Stimmung, bisschen stören."
Grossstadtgeflüster beschreiben die Essenz von Trips & Ticks ganz gut selbst. Das tun Jen, Raphael und Chriz auf dem Song "Das was Peter Pan sagt", dem vierten Song auf ihrem neuen Album, welches sich auch dieses Mal wieder irgendwo zwischen Elektropunk, -pop und -mittelfinger bewegt.
Das Berliner Trio hatte seinen bis dato größten Erfolg mit der 2015er-Single "Fickt-Euch-Allee", die damals auch wegen des dazugehörigen Videos ordentlich viral ging. Dass viral zu gehen bestimmt eine jener nervigen Begleiterscheinungen der Welt ist, gegen die die Grossstadtgeflüster kämpfen, ignorieren wir jetzt einfach mal.
Der Erfolg von "Fickt-Euch-Allee" war damals natürlich auch den zahlreichen Homies (Marteria, Sookee, MCFitti, ...) zu verdanken, die im Musikvideo mal für zwei Sekunden ihre prominenten Nasen in die Kamera halten durften.
Dieses Mal und auf Albumlänge bleiben die drei von Grossstadtgeflüster dann aber doch lieber unter sich und ganz generell eh in den eigenen vier Wänden. Außer Danger Dan von der Antilopen Gang im schon erwähnten Peter-Pan-Song und dem, tja, nun, Andy Kaufman der deutschen Musikszene, HGichT, steckt auf Trips & Tricks kein anderer Feature-Gast den Kopf durch die Tür.
Wäre wahrscheinlich eh schwer die Tür aufzubekommen, stapeln sich dahinter doch leere Pizzaschachteln und kistenweise Pfandflaschen bis unter die Decke.
In "Meine Couch" huldigt Jen ihrem Lieblingssitzmöbel. Von diesem, ihrem Thron, aus regiert sie ihre Welt, die vom Fernseher bis zum Kühlschrank reicht. Hier gibt es alles: Fast Food, Weed, Bierchen - und die absolute Freiheit, nichts zu tun. Und natürlich Mario Kart. Einzig ihre Charakterwahl beim Zocken kann man hier kritisieren – wer nimmt denn bitte Luigi?
Abgesehen davon ist das Stubenhocker-Paradies sympathisch nachvollziehbar für alle, für die der Stress schon mit dem ersten Schritt vor die Tür beginnt. Denn dort warten fanatische Selbstoptimierer, genervte Autofahrer, anstrengende Ich-habs-dir-ja-gleich-gesagt-Menschen - kurzum: immer die gleichen Hackfressen.
Keine Misanthropen, einfach nur missverstanden
Grossstadtgeflüster gehen nämlich mit der Haltung ran: Wir sind die Normalen, ihr die Spackos. Aber da leider ihr in der Überzahl seid, nehmt ihr euch das Recht heraus, uns ein Problem zu attestieren. Kulminiert ergibt das dann den Song "Anpassungsstörung", in dem Jen diese ganze Travestie aufdeckt. Der Albumtitel Trips & Ticks ist also weniger eine Selbstdiagnose, sondern liefert Tipps und Tricks im Umgang mit, eben den anderen, Bekloppten. Ein alternativer Lebensratgeber.Das Album als alternativer Lebensratgeber
Was das Ganze so herrlich leicht macht, ist, dass dies kein bitterböses Anti-alles-für-immer-Album ist. Es steckt immer so viel Kreuzberg, Humor und Ironie in den Texten, dass man schnell durchsteigt, dass Grossstadtgeflüster es zwar durchaus ernst meinen mit dem, was sie da sagen, es aber alles nur halb so schwer nehmen, solange es Alkohol gibt. Anti ja, gegen alle auch, von mir aus auch für immer. Aber kannste ja jetzte nüsch machen, wa?Das ist der Schwung, der sich auch musikalisch von vorne bis hinten durchzieht. Von OK Kid über Frittenbude bis Deichkind kommen hier alle Varianten von Synthieeinsatz zum Zuge. Immer Bumm, manchmal auch Bumm Bumm.
Und jetzt halt die Fresse. Ich hab Feierabend.
Tracklist: Grossstadtgeflüster - Trips & Ticks
01 Feierabend02 Neue Freunde
03 Meine Couch
04 Das was Peter Pan sagt (feat. Danger Dan)
05 Skalitzer Straße
06 Simsalabim
07 Diadem
08 Huxley‘s
09 Anpassungsstörung
10 Auf alles
11 Hallus (feat. HGichT.)
12 Der springende Punkt
13 Trotzdem
14 Meine Mama
15 2080
Trips & Ticks ist am 16. August auf BMG Rights Management erschienen.
Artikel teilen: