Gengahr: Sanctuary

Gengahr: Sanctuary

Der Lieblingstonträger der Woche

Gibt es das Genre Ghost-Indie-Rock? Gengahr wären auf jeden Fall erstklassige Vertreter.


Wenn man der egoFM Spezialredaktion für süßen Nerdkram glauben darf, läuft die klassische Pokémon-Evolution meistens so ab:

Da gibt es die niedliche erste Entwicklungsstufe, die sich dann nach genug Training in eine etwas schrullig aussehende Weiterentwicklung verwandelt. Die ist aber lediglich eine Phase mit abzusehendem Ende – denn erst auf der dritten Entwicklungsstufe kann das Taschenmonster seine volle Pracht zeigen. Jetzt sind Gengahr natürlich kein Pokémon, sondern eine Band, die genau wie eines heißt.

Trotzdem klingen sie auf Sanctuary, ihrem dritten Album, fast schon so als wären sie am kreativen Ziel angekommen.



Jamsession im Lavandiaturm

Typisch für Gengahr war von Anfang an diese leicht entrückte, fast schon geisterhafte Stimmung ihrer Songs: Herbeibeschworen wurde diese bislang immer durch vertrackte Schlagzeuggrooves, manchmal cleane und dann plötzlich doch verzerrte Gitarrenriffs und natürlich die einzigartig hohe Stimme von Sänger Felix Bushe.

Das alles steckt auch in Sanctuary, aber Gengahr haben noch ganz neue Wege gefunden, ihre gewohnte Atmosphäre rüberzubringen.


Nach dem Opener "Everything & More", der sich mit shoegazigen Gitarren ins Ohr schmiegt, darf in "Atlas Please" ein schillernder Keyboardgroove die Hauptrolle übernehmen. "Never A Low" unterstützt dann den üblichen Falsettgesang mit düsteren Synthieflächen und elektronisch angehauchtem Schlagzeug. "Heavenly Maybe" passt dann mit seinem Basslauf perfekt in jede Indie-Disko und lädt zum Mittanzen ein.

In solchen groovigen und tanzbaren Momenten klingen Gengahr fast schon wie ein düsterer kleiner Bruder der Glass Animals. Gengahr können aber auch anders: "You’re No Fun" zieht zum Beispiel das Tempo wieder deutlich an und gibt den Gitarren ihre von früher gewohnte Hauptrolle zurück. Auch "Icarus" klingt wieder gewohnt verschwurbelt rockig, wie man es vom Debütalbum der Londoner kennt. Zum Schluss macht dann Rausschmeißer "Moonlight" den Eindruck , als hätten Gengahr versucht ein Lagerfeuerlied im ganz persönlichen Stil aufzunehmen.

Für sich genommen klingt jeder Song auf Sanctuary ziemlich einzigartig, aber trotzdem greift jeder Song harmonisch ineinander – Das Album klingt abwechslungsreich aber doch wie aus einem Guss.


Das dürfte auch am Produzenten liegen: Für ihre dritte Entwicklungsstufe haben Gengahr nämlich ein bisschen Hilfe bekommen: Bombay Bicycle Club-Frontmann Jack Steadman hatte seine Finger im Spiel und damit dieses Jahr schon an zwei Lieblingstonträgern gehörigen Anteil – reife Leistung!


Auf höchstem Niveau - noch lange nicht am Ende

Mit Sanctuary haben Gengahr auf jeden Fall bewiesen, dass sie ihren eigens erfundenen Sound mittlerweile meisterhaft beherrschen. Aber das ist nicht die einzige gute Nachricht auf ihrem dritten Album – sie haben außerdem noch absolute Experimentierfreude gezeigt. Und auch wenn für die meisten Pokémon auf der dritten Entwicklungsstufe erstmal Schluss ist, dürften Gengahr noch viele weitere gespenstische Sound-Expeditionen vor sich haben.



Tracklist: Gengahr - Sanctuary

01 Everything & More
02 Atlas Please
03 Heavenly Maybe
04 Never A Low
05 Fantasy
06 You're No Fun
07 Soaking In Formula
08 Anime
09 Icarus
10 Moonlight


Sanctuary ist am 31. Januar bei Liberator erschienen.

Design ❤ Agentur zwetschke