Der Tod ist zwar ein Wiener, aber Indie ist nicht tot.
Die Zeit tickt unerbärmlich. Man ist nie wirklich frei. Und jeder Schritt scheint vorherbestimmt.
Klingt ein bisschen wie ein dystopischer Thriller, recht negative Gegenwartsbeschreibung oder eine sehr verkürzte Plotbeschreibung von Dark. Es sind aber vor allem Gedanken, die einem in den Kopf kommen können, wenn man den Albumtitel von fiios Debüt liest. Wir Werden Nur Was Wir Schon Sind ist aber trotz dem leicht dystopischen Namen fast schon das komplette Gegenteil.Der Wiener liefert ein Album voller Abwechslung und herrlich frechem Charme.
Julian Casablancas zieht nach Wien
Wenn wirklich schon alles vorherbestimmt ist, hat sich der Drehbuchschreiber für fiio was ziemlich Kreatives ausgedacht. Eigentlich macht man ja große, spektakuläre Genrebrüche erst später in der Karriere, wenn man so richtig schön viele Menschen damit schocken kann. Insofern hat fiio, wenn man so will, einen recht untypischen Karrierestart hingelegt. Hier wird nämlich gleich das Debüt zum Plottwist.Seine erste große Aufmerksamkeitswelle hat fiio nämlich eigentlich mit betont lässigem, vor Prosecco triefenden Rap anrauschen lassen. Gerade mal zwei Jahre später klingt das Debütalbum jetzt aber mal so ganz anders:
Prosecco wird wahrscheinlich immer noch geschlürft – aber jetzt eben mit Rockgitarren im Ohr.
"Sofia" kracht gleich nach der Einleitung mit einem herrlich kompromisslosen Riff durch die Tür. Es ist wahrscheinlich der achtmilliardste Song mit Vornamen als Titel, aber wenn der Verstärker so schön aufgedreht ist, kann man halt auch nicht nicht mitbrüllen. Tolle Riffs haben auch Songs wie "Disneyland" und "IDGAF", aber fiio kann noch viel mehr. Zum Beispiel riesige Soundwände heraufzimmern, wie in "Ich rieche gern an Büchern" oder auch mal das Tempo rausnehmen und die ruhige Seite von Wir Werden Nur Was Wir Schon Sind ausleuchten. Ab und zu probiert fiio auch mit verspielten Elektro Instrumentals herum, die ziemlich gut zur groovigen E-Gitarre passen und angenehm an die späten The 1975 erinnern. Ganz schön viel Varianz für ein Debüt:
Der Wiener hat nur seinen Stil komplett umgestellt – er probiert auch währenddessen noch ständig neue Kniffe aus.
Was werden wir überhaupt?
Eine gewisse Nostalgie kommt beim Hören natürlich schon auf: Man merkt schon eindeutig, dass sich fiio von den Indiegrößen zwischen The Strokes und sogar ein bisschen bei My Bloody Valentine Inspiration abgeholt hat. Mit dem Kopf ist fiio aber komplett in der Gegenwart geblieben, in der ganz gerne mal Ubers nicht auftauchen, das Tinderdate schon wieder zu viel labert und man nur mit eigenem Podcast ernst genommen werden kann.Fiio singt über die klassische Sinnkrisen, die wahrscheinlich so gut wie jeder Mensch Mitte Zwanzig durchmacht. Dabei erzählt er nicht nur aus seiner eigenen Welt, sondern verwandelt auch Geschichten, die er von irgendwem erzählt bekommen oder die er sonst irgendwo aufgeschnappt hat in Songs. Er verpackt sie aber jedes Mal mit einem unverschämt sympathischen Wiener Charme und leichter Verplantheit. So ist der Titel vielleicht gar nicht so endgültig eingrenzend gemeint, sondern eher beruhigend:
Vielleicht werden wir wirklich nur das, was wir eh schon sind, aber erstmal herauszufinden, was man eigentlich wirklich ist, kann ja auch ganz schön spannend sein.
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