Das Solodebüt des Soulsängers wird zu einem emotionalen Trip in die Heimat.
Alles einsteigen bitte - wir gehen auf Sightseeing Tour.
Aber keine ganz alltägliche: Wir bewegen uns streng genommen keinen Millimeter voran und sehen tun wir auch nichts - dafür hat der Reiseleiter eine hinreißende Stimme und statt Sehenswürdigkeiten bekommen wir Erinnerungen und Gefühle präsentiert.Und trotzdem oder genau deswegen fühlt man sich nach Wait Til I Get Over so, als hätte man die Heimat von Durand Jones grade intensiv kennengelernt.
Rampenlicht aufgedreht
Nein, das hier ist kein sehr denkwürdiger Zufall: Durand Jones ist wirklich der Durand Jones von Durand Jones & The Indications - die Band, die die letzten Jahre damit verbracht hat, den Retro Soul wieder in die Gegenwart zu holen. Da kann es schon ein bisschen verwundern, dass sich Durand Jones jetzt auch noch an einer Soloplatte versucht, wenn der eigene Name schon im eigentlichen Bandnamen auftaucht - aber Wait Til I Get Over schafft da schnell Klarheit:Für sein Solodebüt taucht Durand Jones tief in seine Erinnerungen an seine Heimat ein - für so ein persönliches Thema braucht man eben die komplette kreative Kontrolle.
Abwechslung in Hillaryville
Komplett auf sich allein gestellt gibt sich Durand Jones auch auch ziemlich vielseitig. Er eröffnet mit "Gerri Marie", einer mit Pathos vollgepackten Klavierballade und nach einer kurzen Ortsbeschreibung von Durands Heimat nimmt die Begleitband Fahrt auf und liefert mit "Lord Have Mercy" ein stampfendes Soulbrett. Der Titeltrack "Wait Till I Get Over" schwingt dann mit klassischem Call and Response Gesang in Richtung Gospel und "See It Through" fährt knarzige Blues Gitarren auf. So klingt Wait Til I Get Over abwechslungsreich, ohne sich wirr oder gezwungen anzuhören. Auch wenn die Songs mal mittendrin unerwartete Wendungen servieren. Die flehende Ballade "Someday We'll All Be Free" verwandelt sich zum Beispiel dank einem Gastauftritt von Rapper Skypp in einen explosiven Protestsong.Im vielfältigen Sound spiegeln sich auch Durands ambivalente Gefühle zu seiner Heimat und seiner Jugend wider:
Im Spoken Word Interlude "The Place You'd Most Want To Live" klingt Hillaryville nach einem idyllischen Symbol für Freiheit, aber Durand singt auf der Platte auch über die Schattenseiten seiner Zeit dort. Sein kompliziertes Verhältnis zum Glauben wird Thema, genau wie der Kampf gegen kreative Schreibblockaden in der Kleinstadt und letztendlich auch der Abschied vom Zuhause. Hillaryville wird so zum Symbol für Durands Kindheit und Erwachsenwerden.Den beeindruckendste und ehrlichste Moment der Platte liefert er dann auf "That Feeling" - eine Erinnerung an seine erste queere Romanze und den folgenden Trennungsschmerz: Wenn Durands Stimme und die Instrumente gleichzeitig aufheulen, fällt es da sogar dem eisernsten Herz schwer, nicht ein kleines bisschen zu zersplittern.
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