Bon Iver - i,i

Bon Iver - i,i

Der Lieblingstonträger der Woche

Ist Bon Iver jetzt eigentlich ein Soloprojekt, oder sind Bon Iver eine Band? Vollkommen egal, denn auf der neuen Platte ist für jede*n etwas dabei.

Wie macht man nach dem großen Meisterwerk weiter?


Eigentlich hätte Justin Vernon die Gitarre schon längst an den Nagel hängen können - unter anderem, weil er das bei seiner letzten Platte 22, A Million schon fast getan hat. Und weil es schien, als könnte danach eigentlich nichts Neues mehr kommen.

Das damals dritte Album von Bon Iver, offiziell eine Band, die aber doch sehr stark im Schatten von Mastermind Justin Vernon steht, hatte den typisch melancholischen Indiefolk auseinandergenommen und anders als jemals zuvor wieder zusammengesetzt: Statt harmonischen Gitarren gab es plötzlich zerstückelte, verpitchte Vocalsamples und zerberstende Synthesizer.

Justin Vernon ist das Kunststück gelungen, diese Elemente so stimmig zu verknüpfen, dass Songs mit merkwürdigen Titeln wie "666 ʇ" und "10 d E A T h b R E a s T ⚄ ⚄" gleichzeitig angenehm fremd und verstörend beruhigend wirken. Das Ergebnis war ein absolutes Meisterwerk, mit dem sich Bon Iver jetzt unwiderruflich zu den ganz großen unserer Zeit zählen dürfen.

Drei Jahre später sind Justin Vernon und Kollegen mit dem Nachfolger am Start und wollen beweisen, dass sie diesen Ruf zurecht tragen.

Ob ihnen das gelingt? (Spoiler Alarm: Ja, tut es)



Wiedersehen macht Freude

Auf den ersten Blick wirkt das neue Album wie ein logischer Nachfolger: Mit i,i ein ähnlich konfuser Albumtitel, dazu ähnlich konfuse Songnamen - die dieses Mal immerhin Tastatur-freundlich und ohne abstruse Sonderzeichen auskommen. Und auch Justin Vernons Stimme erklingt am Anfang durch Autotune vertraut verfremdet.

Aber je länger man i,i zuhört, desto schneller wird klar, dass die neue Platte mehr ist als ein Aufguss vom drei Jahre alten Meisterwerk.


Die elektronischen Elemente, die 22, A Million so besonders gemacht haben, rücken auf i,i nach und nach immer mehr in den Hintergrund. Bei Songs wie "Naeem" und "Marion" verschwinden sie beinahe komplett und plötzlich taucht die fast schon im Schrank vergessene Gitarre wieder im Mittelpunkt auf. Man könnte fast meinen: Der Justin Vernon, der vor Jahren mit zwei seiner Alben den melancholischen Indiefolk nahezu perfektioniert hat, wäre zurück. Und auch wenn elektronischere Tracks wie "Jelmore“ wieder an das Jahr 2019 erinnern, fühlt sich i,i doch ein bisschen wie ein Wiedersehen an.

Ein anderer Weg also als der, den andere Genre-Schwergewichte nach dem ganz großen Wurf gewählt haben: Während sich Radiohead zum Beispiel nach ihrem ersten großen Meisterwerk komplett umgekrempelt und mit Kid A die gesamte Musikszene dezent verstört haben, setzen sich Bon Iver auf i,i wieder zu etwas Vertrautem zusammen. Damit dürften sie auch wieder die Fans glücklich machen, denen der Stilbruch auf der letzten Platte zu extrem war.



Meisterhafte Formvollendung

Natürlich könnte man jetzt kritisieren, dass Justin Vernon und Band keine großen Experimente mehr wagen... Aber bevor man es schafft diesen Satz wirklich auszusprechen, ist man wahrscheinlich schon damit beschäftigt den Chorus von "Hey, Ma" mitzuschmettern. Die neuen Songs erinnern sicherlich wieder mehr an den Indiefolk von früher, aber trotzdem schwingen noch zahllose Elemente aus Hip-Hop, Soul und Jazz subtil im Hintergrund mit.

Und genau die geben dem Album so viel Tiefe, dass man sowohl nach dem zweiundzwanzigsten als auch nach dem millionsten Durchhören noch etwas Neues entdecken kann.


Alles verschmilzt so natürlich zu einer Einheit, dass die wilde Genrekombination komplett harmonisch wirkt – und das ist schon eine ziemliche Meisterleistung. 22, A Million hat Bon Iver vielleicht auf den Alternative-Thron geführt, aber i,i ist die Platte, mit der sie klarmachen, dass sie von dort so schnell nicht wieder verschwinden werden.  

Tracklist: Bon Iver - i,i

01 Yi
02 iMi
03 We
04 Holyfields,
05 Hey, Ma
06 U (Man Like)
07 Naeem
08 Jelmore
09 Faith
10 Marion
11 Salem
12 Sh'Diah
13 RABi

i,i erscheint am 30. August auf Jagjaguwar

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