Stachelig, mitreißend, einzigartig - ihr zweites Album macht Billy Nomates endgültig zur britischen Hoffnungsträgerin.
Dinge mit Stacheln haben ein Imageproblem – das sollten wir ändern!
Schließlich gibt's es kaum süßere tierische Besucher im Garten als einen Igel. Auch Stachelschweine sind jetzt vielleicht keine perfekten Haustiere, aber schlagen sich in der Wildnis erstaunlich gut durch. Und ein Kaktus ist wahrscheinlich die widerstandsfähigste Pflanze überhaupt – nicht einmal jemand mit verwelktem Daumen bekommt so ein Gewächs kaputt. Außerdem hat er mit seinen Stacheln gleich eine Verteidigungsmaßnahme eingebaut – ein ziemliches Wunderwerk der Natur.Dieses widerstandsfähige Gewächs hat es auch Billy Nomates angetan: So sehr, dass sie gleich ihr zweites Album nach ihnen benannt hat. Denn auch hier geht es ums Überleben in widrigsten Umständen.
Inspirationsquelle: Besoffener Rüpel
Wenn dir das Leben Zitronen gibt…. Du weißt schon, wie dieser Spruch ausgeht. Aber für Billy Nomates ist diese Lebensweisheit eben besonders essenziell. Das fängt schon beim Künstlernamen an: Billy heißt nämlich eigentlich Tor Maries. Billy Nomates (also Billy ohne Freunde) nennt sie sich, seit sich ein wohl besonders sympathischer Zeitgenosse darüber lustig gemacht hat, dass sie alleine beim Konzert der Sleaford Mods rumstand.Seitdem ist Billy Nomates quasi ihr Ventil, sich über die großen Ungerechtigkeiten des Lebens auszukotzen.
Im Dunstkreis eben jener Sleaford Mods hat sich das Ein-Mensch-Projekt dann auch schnell einen Namen gemacht: Mit kratzigem Drumcomputer, klassischen Post Punk-Instrumenten und Hang zum Sprechgesang hat sie die britische Szene schnell ins Herz geschlossen. Außerdem kam ihr Debüt im ersten Coronalockdown raus und da trafen die frustrierten und gesellschaftskritischen Texte genau den richtigen Nerv.
Mit CACTI legt sie jetzt ihr zweites Album nach und zeigt keinerlei Ermüdungserscheinungen.
Der wohlbekannte Frust zieht sich immer noch durch die Texte von Billy Nomates. Allerdings hat sich der Fokus verändert: Statt sich wie beim Debüt alles zwischen Regierung und Kapitalismus vorzuknöpfen, zettelt Billy hier einen Kampf mit den inneren Dämonen an. Denn auch wenn sie im Lockdown ihren Durchbruch feiern durfte, hat diese Zeit wie bei so vielen einfach zu tiefe Narben hinterlassen. "balance is gone" vermittelt gleich zum Anfang der Platte perfekt das Gefühl, plötzlich komplett im Chaos zu leben. Passend dazu singt Billy auch ein hektisches Duett mit sich selbst, während einzelne Synthienoten über dem großflächigen Bass schweben.
CACTI ist aber viel mehr als eine reine Coronafrustplatte – im letzten Song sehnt sich die Sängerin sogar zurück in den Lockdown. Auch zwischenmenschliche Beziehungen füllen die Songs: Mal wütend anklagend wie in "spite", mal in sich gekehrt wie in "saboteur forcefield". Besonders mitreißend wird es, wenn Billy in "blue bones (deathwish)" ihre eigene Depression zum Tanzen einlädt und sich langsam von ihrer Todessehnsucht trennt. Trotz kratzigen Sound und Punk Attitüde zeigt sich Billy auf CACTI eben auch ziemlich verletzlich.
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